Vor der Bürgerschaftswahl am 15. Februar trafen sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Herausforderer Dietrich Wersich (CDU) zum einzigen direkten Duell, veranstaltet von Hamburg 1 und dem Hamburger Abendblatt im Hotel Grand Elysée. Es moderierten die Chefredakteure Michael Schmidt und Lars Haider. Lesen Sie das Gespräch, dokumentiert von Sascha Balasko, Andreas Dey und Peter Ulrich Meyer, auf den folgenden drei Seiten. Hamburg 1 sendet es heute ab 20.15 Uhr
Herr Wersich, was ist das für ein Gefühl, wenn man in der heißen Phase des Wahlkampfs jeden Tag Gas gibt und dennoch weiß, dass man nicht Bürgermeister wird?
Dietrich Wersich: Haben Sie das Gefühl? Ich finde, da sollte man Respekt vor der Entscheidung der Hamburgerinnen und Hamburger haben. Ich bin jeden Tag unterwegs, rede mit den Menschen und bekomme alles andere als Zustimmung (für den Senat, die Red.) mit. Die Leute ärgern sich über das Verkehrschaos, über steigende Kriminalität und die Verwahrlosung der Stadt. Warten wir mal das Wählervotum ab.
Was ist Ihr Ziel in Prozent?
Wersich: Eine absolute Mehrheit wäre schön. Aber Scherz beiseite: Ich möchte das bestmögliche Ergebnis für die Union.
Herr Scholz, wie fühlt es sich für Sie an, vor der Wahl im Prinzip schon zu wissen, dass Sie auch die nächsten fünf Jahre Bürgermeister bleiben?
Olaf Scholz: Ich bin sehr dankbar dafür, dass es auch nach vier Jahren noch ein so großes Vertrauen und eine so hohe Zustimmung gibt. Ich bin lange genug Politiker und weiß genau, dass es etwas Besonderes ist, wenn in Umfragen so gute Werte für mich persönlich und meine Partei gemessen werden.
Haben Sie ein persönliches Ziel, in Prozent?
Scholz: Ja. Aber das sage ich nicht.
Warum nicht?
Scholz: Ich möchte ein starkes Mandat für die SPD. Das habe ich auch vor der letzten Wahl gesagt, und das ist ganz gut ausgegangen.
Verkehr ist das zentrale Wahlkampfthema. Mit keinem anderen Thema haben Sie die Bürger so aufgebracht. Woher kommt diese Fehleinschätzung?Scholz: Wir haben dafür gesorgt, dass wir heute über etwas anderes diskutieren als vor vier Jahren. 2010 waren Schlaglöcher das große Thema, weil über Jahrzehnte nicht genug in die Instandhaltung der Straßen investiert wurde. Wir haben die Mittel dramatisch erhöht und mehr als 400 Kilometer Fahrbahnen in Ordnung gebracht. Zum Thema Verkehr in der Großstadt gehört auch der überregionale Verkehr: Wir bauen die A7 bis Schnelsen achtspurig aus, die Wilhelmsburger Reichsstraße wird verlegt, die Planung für die A26 einschließlich Hafenquerspange ist sehr weit fortgeschritten, und wir haben am Güterbahnhof Maschen zusammen mit dem Bund die zusätzliche Ostumfahrung auf den Weg gebracht. So sorgen wir dafür, dass die überregionale Bahnanbindung Hamburgs besser wird. Innerhalb der Stadt bringen wir den Schienenverkehr so voran, wie das noch nie der Fall war: Die U4 wird bis zu den Elbbrücken verlängert, wir bauen eine komplett neue S-Bahnlinie nach Ahrensburg, die S 4, und wir werden die AKN in wenigen Jahren durch die S21 ersetzen. Wir sorgen so dafür, dass die Straßen entlastet werden und auch alle anderen Verkehrsteilnehmer vorankommen, zum Beispiel Busse und Fahrradfahrer.
Stichwort Busbeschleunigung: Von 259 Millionen Euro sind bisher 60 Millionen Euro ausgegeben. Werden Sie in der kommenden Legislatur genauso weitermachen wie bisher?
Scholz: Das Programm ist auf zehn Jahre ausgelegt. Pro Jahr geht es also nur um einen Teil der genannten Summe. Wichtig ist, dass überall dort, wo das Busprogramm umgesetzt wurde, nicht nur der Busverkehr, sondern auch der Straßenverkehr optimiert wurde und schneller fließt. Das gilt zum Beispiel für die Strecke der Metrobuslinie 5. Die Partei „Die Linke“ sagt immer, es gehe gar nicht um Busbeschleunigung, vielmehr darum, dass die Autos schneller vorankommen sollen. Im Endeffekt stimmt das.
Herr Wersich, Sie sagen, wenn Sie an die Regierung kommen, wird das Busbeschleunigungsprogramm sofort gestoppt. Was heißt das denn genau? Werden dann alle umgebauten Busbuchtungen und Kreuzungen wieder abgerissen?
Wersich: Die Fehler, die Olaf Scholz in der Verkehrspolitik gemacht hat, haben dazu geführt, dass die Menschen täglich im Stau stehen, dass sie ihre Existenzen verlieren und dass sie Lebenszeit verlieren. Olaf Scholz bekommt die Koordination der Baustellen nicht hin. Für die meisten Bürger, mit denen ich spreche, ist es ein Wahnsinn, was bei der Busbeschleunigung passiert. Da werden ganze Viertel zerstört, da werden für Millionenbeträge Bushaltebuchten zurück auf die Straße verlegt und unsinnige Sprunginseln geschaffen. Das werden wir stoppen. Wer möchte, dass der Busbeschleunigungswahn gestoppt wird, der muss am 15. Februar CDU wählen.
Man hat den Eindruck, dass in der Innenstadt der Autoverkehr zugunsten von Fahrradfahrern zurückgedrängt werden soll. Herr Wersich, werden Sie auch weitere Fahrradstraßen schaffen?
Wersich: Im Moment werden die Autofahrer gegängelt und schikaniert. Es wird an der Alster eine Fahrradstraße gebaut auf eine Art, wie es keiner will. Wir brauchen einen modernen Verkehrsmix aus Fahrrad, Zufußgehen, öffentlichen Verkehrsmitteln, Autos und Leihautos – deshalb hat die CDU auch Leihfahrräder eingeführt. Aber wir brauchen nicht einen Mann im Rathaus, der bestimmt, mit welchem Verkehrsmittel die Bürger fahren sollen. Das sollen die Menschen selber entscheiden.
Wie wollen Sie die Zahl der Baustellen reduzieren? Es muss doch an vielen Stellen gebaut werden, allein wegen der Straßenschäden.
Wersich: Das ist richtig. Aber Olaf Scholz übertreibt an der Stelle. Die CDU hat 2010 noch 97 Millionen Euro für die Sanierung der Straßen bereit gestellt. 2013/2014 waren es 90 Millionen, das ist also gar mehr geworden. Aber was die Leute nicht verstehen ist, dass man mit Maßnahmen von gestern den Verkehr von morgen bewältigen will. Und ich bin richtig ärgerlich über die 200 Millionen Euro, die noch für Busbeschleunigung ausgegeben werden sollen, anstatt es in moderne Verkehrstechnik wie Telematik zu investieren. Die Menschen in St. Georg, in Eidelstedt, an der Fuhlsbüttler Straße, am Mühlenkamp, sind zu Recht auf Zinne.
Eine Stadtbahn wird es nicht geben, lautet Ihre Aussage, Herr Scholz. Es gibt aber viele Verkehrsexperten, die sich vehement dafür aussprechen. Warum sind Sie so vehement dagegen?
Scholz: Wir müssen realistisch sein und unsere Stadt so sehen, wie sie ist. Hamburg ist gebaut, Wege und Straßen sind begrenzt, rechts und links stehen Häuser und Bäume. Und deshalb kann man hier und heute nicht machen, was in anderen Städten möglich war, wo es große Prachtstraßen gibt, wo es Heerstraßen gab, wo Paraden abgehalten werden sollten. Dort sind in der Neuzeit breite, mehrspurige Straßen entstanden, mit ausreichend Platz für eine Straßenbahn dazwischen. Die Situation in Hamburg ist anders. Wir müssen den vorhandenen Straßenraum aufteilen. Da brauchen wir auch Platz für die Autofahrer: 730.000 Pkw sind in Hamburg zugelassen, außerdem kommen täglich mehr als 330.000 Pendler in die Stadt. Und trotzdem wollen wir auch für die Busse und den Radverkehr mehr Raum schaffen. Daher dürfen wir unseren Straßenraum nicht allzu sehr begrenzen. Es gibt einen guten Grund, warum alle Senate, die mal für eine Stadtbahn waren, sie dann doch nicht eingeführt haben: Weil es nicht vernünftig ist. Was wir brauchen, ist mehr Platz für alle Verkehrsteilnehmer. Für eine Stadtbahn würden aber 200 Kilometer Fahrbahn dauerhaft beseitigt. Und bei der Stadtbahn handelt es sich ja nicht mehr um die niedliche Straßenbahn, sondern um Züge, die auf eigenen Strecken durch die Stadt geführt werden. Diese Strecken wären Schneisen durch die Viertel, die nur schwer zu überwinden wären.
Was fänden Sie denn vernünftig?
Scholz: Ich finde es richtig, die Verkehrsinvestitionen zu ergänzen, die wir bereits auf den Weg gebracht haben und die jetzt realisiert werden. Zum Beispiel um eine komplett neue U-Bahn-Strecke, die U5 von Bramfeld über die Innenstadt bis zum Osdorfer Born im Westen. Das ist ein Projekt, so groß wie das unserer Vorväter, die vor hundert Jahren die Hochbahn auf den Weg gebracht haben. Aber diese neue U-Bahn schafft viel mehr Kapazitäten, sie betrifft kaum den oberirdischen Straßenraum, und sie führt nicht dazu, dass wir weniger Straßenraum haben werden.
Herr Wersich, Sie sind ja wieder für die Stadtbahn, nachdem Schwarz-Grün schon mal dafür war und nachdem Ihr Bürgermeister Christoph Ahlhaus sie dann gestoppt hat. Auf der anderen Seite wollen Sie aber keine Baustellen in der Stadt: Wie soll das gehen? Wenn Sie 100 Kilometer Stadtbahn schaffen wollen, würde es doch auf Jahre oder Jahrzehnte gigantische Baustellen geben.
Wersich: Basta-Politik ist an dieser Stelle nicht richtig. Die Stadtbahn ist in der Hälfte der Zeit zur Hälfte der Kosten mit dem Dreifachen an Strecke zu realisieren. Daher setzen ja auch vergleichbare Städte wie Marseille, Barcelona oder Zürich auf die moderne Stadtbahn. Wenn man solche weit reichenden Entscheidungen trifft, dann muss man sich von Experten beraten lassen, dann muss man in Alternativen denken und sollte nichts ausschließen.
Das Versprechen der SPD, diese U-Bahn zu bauen, geistert schon seit 1970 durch die Stadt. Jetzt soll sie 2040 fertig werden. 70 Jahre für die Erfüllung eines Wahlversprechens... Ich mache Herrn Scholz das Angebot, dass wir nach der Wahl parteiübergreifend unter Einbeziehung von Experten ohne Tabus und Denkverbote eine gemeinsame Verkehrskonzeption für die kommenden 30 Jahre entwickeln. Da, wo eine U-Bahn sinnvoll ist, bauen wir die U-Bahn aus. Und da wo eine Stadtbahn sinnvoll ist, bauen wir eine Stadtbahn. Es kann nicht sein, dass nach jeder Legislaturperiode solche Entscheidungen immer wieder in Frage gestellt werden.
Scholz: Es stimmt nicht, dass man das eine und das andere miteinander kombinieren kann. Eine Stadtbahn macht unter 50 Kilometer Streckenlänge keinen Sinn. Tatsächlich bräuchte man sie aber nur auf ganz wenigen Strecken, etwa auf denen, für die wir die neue UBahn planen. Daher wäre es unvernünftig, 200 Kilometer Fahrbahn zu beseitigen für ein System, das nur an ganz wenigen Stellen einen Nutzen hat. Die Experten, die ich gefragt habe, meinen, es sei besser, das bisherige System auszubauen.
Was sagen Sie zu dem Angebot der CDU, einen Verkehrsfrieden herzustellen?
Scholz: Ich bin immer dafür, miteinander zu sprechen. Ausdrücklich wünsche ich mir, dass die Planungen, die wir in der nächsten Legislaturperiode in der Bürgerschaft zur Abstimmung stellen werden, auch realisiert werden können, wenn die Planungen in den 20er Jahren fertig sind.
Wersich: Wir reden über Milliardeninvestitionen. Da ist es nach kluger hanseatischer Art besser, in Alternativen zu denken und nicht von vornherein gute Lösungen auszuschließen. Ich appelliere daran, dass wir einen parteiübergreifenden Konsens hinbekommen.
Kommen wir zu einem anderen Thema, das die Bürger sehr bewegt: Olympische Spiele in Hamburg. Herr Bürgermeister, können Sie den Hamburgern genau sagen, was die Spiele kosten würden, wenn sie im Detail darüber entscheiden müssen?
Scholz: Wir werden bei der Volksabstimmung alles das, was man an Kosten zu diesem Zeitpunkt kennt, auch transparent darstellen können. Für die Sportstätten kann man auf Grundlage der Planungen aus 2002 annehmen, dass sie etwas mehr als zwei Milliarden Euro kosten würden. Das sind in etwa die gleichen Kosten, die in Berlin für die Sportstättenentwicklung auch anfallen würden. Im Übrigen kann man sagen, dass sich diese Kosten durch das, was vom Bund beigesteuert wird, und durch Einnahmen refinanzieren lassen. Andere Dinge wie das Olympische Dorf wollen wir so planen, dass sie hinterher nutzbar sind, so dass keine zusätzlichen unnützen Kosten für die Stadt anfallen. Es gilt die klare Ansage: Wir werden keine neuen Schulden für Olympia machen. Ab 2020 gilt die Schuldenbremse des Grundgesetzes, in Hamburg haben wir sie auch in die Verfassung geschrieben. Darauf kann man sich verlassen.
Herr Wersich, wie würden Sie als Bürgermeister um Olympia kämpfen?
Wersich: Olympia ist eine Jahrhundertchance für unsere Stadt. Der Bürgermeister gehört an die Spitze dieser Bewegung, wir brauchen da Leidenschaft. Es ist ein Super-Konzept, das 2003 erstellt und 2006 erneuert worden ist. Wir können mit Olympia wieder Weltstadt werden, und ich appelliere an alle: Wir haben eine so tolle Stadt geerbt, weil Generationen vor uns so kluge Entscheidungen getroffen haben. Lasst uns das zutrauen, lasst uns der Jugend die Chance auf Olympia geben. München wäre wahrscheinlich heute noch das Dorf am Rande der Alpen, wenn die nicht 1972 Olympischen Spiele gehabt hätten. Da liegt eine riesige Chance für Hamburg, und wir sollten sie mit beiden Händen packen.
Hat der Senat alles getan, damit Hamburg gute Chancen hat?
Wersich: Ich finde es richtig, dass auf den Planungen, die wir 2006 erstellt haben, aufgebaut wird. Die Politik könnte das aber noch mit etwas mehr Leidenschaft unterstützen. Wir haben das ja angeboten, da wäre sicher mehr möglich. Aber es gibt zum Glück ja sehr viele Unterstützer wie die Brüder Braun vom Miniaturwunderland oder Alexander Otto, die super Aktionen starten.
Neues Thema: Flüchtlinge. Herr Wersich: ist Hamburg an der Kapazitätsgrenze angekommen, oder können wir noch sehr viel mehr Menschen aufnehmen?
Wersich: Die Hamburger wollen helfen. Für mich sind Flüchtlinge in allererster Linie eines, nämlich Mitmenschen. Wir müssen aber auch alles dafür tun, um die Flüchtlinge gerechter über die Stadt zu verteilen. Wir wollen integrieren und nicht internieren, das heißt, wir brauchen noch mehr Personal für die Begleitung und Integration der Flüchtlinge. Und wir müssen die Anwohner noch besser einbeziehen, damit die Hilfsbereitschaft nicht kippt. Die meisten Hamburger sehen die Not und das Elend der Menschen, und sie wollen helfen. Unsere Stadt ist weltoffen, und ich appelliere an alle, sich nicht aufhetzen zu lassen, auch nicht von den Ereignissen in Paris. Dazu, Herr Scholz, gehört aber auch, dass wir die Probleme in den Griff bekommen. Derzeit gibt es etwa 40 bis 80 minderjährige Flüchtlinge, die als Intensivtäter allen auf der Nase herumtanzen. Das kann nicht sein und kann die Akzeptanz für die Flüchtlinge beschädigen. Hier brauchen wir auch entschlossenes Handeln der Stadt. Ich schlage vor, dass wir eine Taskforce aus Jugendämtern und Polizei machen.
Ihr Parteifreund Joachim Lenders spricht davon, dass 80 minderjährige Flüchtlinge die Stadt terrorisieren. Sind Sie da auf Stimmenfang am rechten Rand?
Wersich: Nein. Politik muss die gestellten Aufgaben wahrnehmen. Wir müssen die Sicherheit gewährleisten, wir dürfen nicht weggucken. Das heißt natürlich auch, dass wir unsere Gerichte so ausstatten müssen, dass sie die Flut an Asylbewerberverfahren bewältigen können. Wir haben ja auch gemeinsam in Berlin das Asylrecht dahingehend konkretisiert, dass die Verfahren von Menschen, die nicht verfolgt sind, schneller beendet werden können, damit wir wirklich denen helfen können, die an Leib und Leben bedroht sind.
Wie sehen Ihre Lösungsvorschläge konkret aus?
Wersich: Man muss sich konsequent kümmern. Man muss diese Jugendlichen voneinander trennen und besser verteilen. Wir brauchen aber für Intensivtäter, die immer wieder kriminell und gewalttätig werden, auch die Möglichkeit der geschlossenen Unterbringung. Und im letzten Schritt geht es auch darum, Jugendliche in ihre Heimatländer zurückzuführen, wenn sie sich hier nicht dauerhaft integrieren wollen. Da dürfen wir nicht hilflos zugucken, da müssen wir uns wehren.
Von den Vorgängersenaten haben Sie, Herr Scholz, das Heim in der Feuerbergstraße geerbt, das seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten für Schlagzeilen sorgt. Was machen Sie, damit dort endlich einmal Ruhe einkehrt, dass von dort nicht weiter kriminelle Jugendliche kommen?
Scholz: Wir haben zunächst dafür gesorgt, dass die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge künftig bundesweit gerecht verteilt werden. Bislang ist es so, dass sie dort bleiben, wo sie ankommen: in Hamburg, München, Berlin und Frankfurt. Aber diese Städte können die Frage nicht für ganz Deutschland lösen. Und weiter werden wir eine Einrichtung schaffen, in die die jungen Flüchtlinge kommen, die besondere Disziplinprobleme haben, um sie ein wenig von allen übrigen zu trennen.
Und wo?
Scholz: Das wird in einem Gewerbegebiet in Hammerbrook sein. Wir werden sicherstellen, dass das pädagogisch begleitet wird. Wir wollen, dass alle auf den geraden Weg kommen und das tun, was alle anderen auch tun: zur Schule gehen, sich ordentlich verhalten. Schließlich: Wer kriminell wird, kommt schnell auf unsere Obacht-Liste für Intensivtäter. Wir erhöhen damit den Druck des Staates. Ein erheblicher Teil der jungen Leute ist auch schon in Untersuchungshaft oder im Gefängnis. Und wir brauchen in Hamburg wieder eine geschlossene Unterbringung, die von einer früheren Regierung abgeschafft wurde. Wir sind dabei, einen Standort zu wählen – entweder außerhalb oder innerhalb Hamburgs.
Herr Scholz, ein Gericht hat gerade entschieden, dass ein Flüchtlingsheim in Harvestehude – einem eher wohlhabenderen Stadtteil – nicht gebaut werden darf. Was bedeutet das für die gerechte Verteilung der Flüchtlinge über die gesamte Stadt?
Scholz: Diese Entscheidung des Gerichts werden wir nicht hinnehmen. Die beteiligten Behörden werden rechtlich dagegen vorgehen, und wir sind optimistisch, dass wir die jetzt getroffene Entscheidung in den späteren Instanzen korrigieren können. Ich sage ausdrücklich: Es kann nicht sein, dass es die einen Stadtteile in der Stadt gibt, in denen Flüchtlingsunterkünfte errichtet werden, und die anderen, in denen das nicht geht. Das wäre nicht fair. Noch mal: Wir werden das nicht hinnehmen.
Der nächste Bereich behandelt das Thema Hafen, Wirtschaft und Elbe: Die Elbvertiefung wird zu einer unendlichen Geschichte. Man kann die Prognosen zum Beginn der Baggerarbeiten fast nicht mehr zählen. Wer von Ihnen wagt denn eine weitere Prognose, wann es endlich losgeht?
Scholz: Wir werden mit der Elbvertiefung erfolgreich sein. Das kann man nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und dem Plädoyer des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs sagen. Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Zweifel an der Notwendigkeit der Elbvertiefung für die wirtschaftliche Entwicklung Hamburgs und auch Deutschlands. Wir glauben, dass wir die verbliebenen Fragen, die mit Blick auf die Bewertung bestimmter ökologischer Kriterien gestellt worden sind, zügig beantworten können. Abgewartet werden muss zunächst die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie. So will es das Bundesverwaltungsgericht.
Ihnen werden mangelnde Vorbereitung und Planungsfehler vorgeworfen. Wie verträgt sich das mit Ihrem Anspruch, ordentlich zu regieren?
Scholz: Da zitiere ich mal die Bundeskanzlerin, die vor kurzem beim Neujahrsempfang der CDU-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg gesagt hat: Hamburg ist nicht schuld. (lacht.)
Herr Wersich, da müssen Sie nachbessern. Frau Merkel muss in Zukunft immer sagen, dass Hamburg schuld ist.
Wersich: Nein, ich finde, Herr Scholz hat den Mund immer sehr voll genommen. Er hat immer seine Vorgänger kritisiert und gesagt, im Oktober rollen die Bagger an. Jetzt ist viermal Oktober gewesen und es ist noch kein Bagger gerollt. Aber ich will auch eines klar sagen: Wir brauchen die Fahrrinnenanpassung. Wir dürfen in Hamburg nicht nur darüber reden, wie wir leben wollen, sondern wir müssen auch darüber reden, wovon wir in Zukunft leben wollen. Der Wohlstand muss erarbeitet werden. Deswegen ist Ihr Wahlkampfmotto „Hamburg weiter vorn“, Herr Scholz, so gefährlich und so selbstgefällig.
Wir haben im vierten Jahr hintereinander eine sinkende Arbeitsproduktivität pro Stunde. Wir sind das einzige Bundesland gewesen, indem die Arbeitslosenquote gestiegen ist. Wir lagen beim Wirtschaftswachstum im vergangenen Halbjahr am Ende aller Bundesländer. Wer die Stadt liebt, muss ehrlich sein. Dazu gehört, diesen Fakten ins Auge zu schauen. Wir müssen wieder mehr tun für den wirtschaftlichen Wohlstand in der Zukunft. Dazu gehören mehr Investitionen in den Hafen und die Verkehrsinfrastruktur. Aber es muss auch Schluss gemacht werden mit dem Sparkurs an den Universitäten. Was da im Moment passiert, sind Fehler, die Hamburgs Zukunft kosten. Herr Scholz, sprechen Sie nicht mit den Studenten? Sie sind nicht einmal bereit, die Tarifsteigerungen an den Universitäten auszugleichen. Das führt dazu, dass Studienplätze gestrichen werden. Sogar im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften, wo wir guten Nachwuchs brauchen, werden Kapazitäten abgebaut. Das ist eine falsche Politik.
Warum hat die Kanzlerin das nicht auch so klar gesagt bei Ihrem Besuch?
Wersich: Doch, sie hat sogar vom BAföG-Betrug gesprochen. Herr Scholz war so stolz, dass er die Studiengebühren abgeschafft hat. Also 40 Millionen Euro dafür, die Unis billiger, aber kein Euro dafür, sie besser zu machen. Dann einigen sich Bund und Länder darauf, dass den Ländern mehr Geld zur Verfügung gestellt wird, indem der Bund die BAföG-Millionen übernimmt. Und Hamburg steht an der Spitze der Bundesländer, die keinen zusätzlichen Euro aus diesen Mitteln für die Hochschulen ausgibt. Dazu hat die Kanzlerin sehr deutliche Worte gefunden: Das ist politischer Betrug und das ist Betrug an der Zukunft der Stadt.
Scholz: Wer Hamburg liebt, sollte auch kein Zerrbild zeichnen. Wir sind die erfolgreichste Wirtschaftsregion Deutschlands. Die Arbeitslosigkeit ist geringer, als sie 2010 war. Wir haben weit über 50.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr als vorher. Wir haben sprudelnde Steuereinnahmen, weil die Wirtschaft so stark wächst. In den letzten zehn Jahren ist die Hamburger Wirtschaft dreimal überdurchschnittlich gewachsen, zweimal davon in dieser Legislaturperiode.
Alle Prognosen für das nächste Jahr sind sehr, sehr günstig. Wir haben dafür gesorgt, dass mit neuen Technologieparks aus Hamburger Wissenschaft noch mehr Hamburger Innovationen werden, Beschäftigung und Arbeitsplätze. Wir werden immer wieder neue Unternehmen ansiedeln. Das war vor einigen Jahrzehnten die Luftfahtindustrie. Das ist heute die Windkraftbranche, bei der immer mehr Unternehmen in Hamburg ihre Hauptsitze eröffnen. Das gilt auch für ganz neue Unternehmen, zum Beispiel in der IT-Branche. Die Games-Sparte beschäftigt heute 5000 Menschen. In Hamburg werden unter allen Bundesländern mit die meisten Unternehmen gegründet. Gute Tendenzen also.
Und das Stichwort Wissenschaft?
Scholz: Selbstverständlich muss man viel für die Wissenschaft tun. Darum geben wir jedes Jahr fast eine Milliarde Euro für Hochschulen und Wissenschaft aus. Die Universitäten haben steigende Etats und hohe Millionen-Rücklagen. Fast eine Milliarde Euro wird für Wissenschafts- und Forschungsbauten ausgegeben. Und wir haben seit Jahrzehnten erstmals wieder ein Max- Planck-Institut in Hamburg gegründet. Mir fällt aber auf, dass jemand in der politischen Debatte immer ausweicht, wenn es um Wirtschaft geht und dann lieber über etwas anderes redet. Es ist doch offensichtlich, dass dies eine erfolgreiche Stadt ist. Ich kann nur den Rat geben, ganz freundlich, dass man eine Stadt, von der jeder weiß, dass sie wirtschaftlich gut funktioniert, und von der die Unternehmen denken, dass sie gut regiert wird, nicht schlecht redet, weil man im Wahlkampf ist.
Noch einmal zur Elbvertiefung: Was ist der Plan B?
Scholz: Es wäre falsch, einen Plan B zu haben, denn dann dürften wir den Plan A gar nicht verfolgen. Jeder Eingriff in die Natur – und das ist die Elbvertiefung – muss begründet sein. Sie ist für die Zukunft Hamburgs, der Hamburger Wirtschaft und den Hafen wichtig. Wir sind nicht maßlos. Die Vertiefung ist nicht so gerechnet, dass wirklich alle, selbst die größten Schiffe jederzeit vollbeladen mit 19.000 Standardcontainern in den Hafen einlaufen können. Aber es ist sichergestellt, dass diese Schiffe aneinander vorbeifahren können und in längeren Zeitfenstern zu uns kommen können. Alles ist gut bedacht. Aber man sollte sich die Dinge nicht schönreden: Wenn wir keinen Erfolg vor dem Bundesverwaltungsgericht haben sollten, wird das wirtschaftliche Folgen haben. Die Stadt wird das überleben, aber es wird Wachstum kosten. Deswegen möchte ich, dass wir Erfolg haben. Auch vor Gericht.
Wersich: Schönreden war ein schönes Stichwort: Es wird nicht reichen, sich nur auf die Fahrrinnenanpassung zu konzentrieren. Wir müssen mehr in die Hafeninfrastruktur investieren. Hundert Millionen Euro im Jahr reichen nicht aus. Wir wollen zusätzlich 50 Millionen zusätzlich in den Hafenausbau investieren. Wir müssen mehr Industrie ansiedeln und die Verkehrsinfrastruktur in Kooperation mit den Nachbarländern ausbauen. Im Norden ist es aber so: Die SPD zögert, und die Grünen blockieren. Das ist eine ganz schwierige Situation für Hamburg.
Scholz: Gestatten Sie mir diesen Nachsatz: Ja, es war richtig, dass mit dem Regierungswechsel 2011 die Politik des früheren Senats beendet wurde, für den Hafen kein Geld auszugeben.
Wersich: Ist doch. Das stimmt doch gar nicht. Scholz: Wenn Sie jetzt sagen, es soll mehr Geld ausgegeben werden, dann ist das eine gute Kehrtwende und zwar in Richtung hin auf die Politik, die wir seit 2011 in Hamburg machen. Es war die Politik des früheren Senats zu sagen, der Hafen soll sich selber finanzieren. Das ist in jeder Zeitung dokumentiert. Wersich: Nein, also Herr Scholz, die CDU hat beschlossen, dass die HHLAMilliarde in die Entwicklung des Hafens gesteckt wird. Der SPD-Senat hat das weit er geführt, jetzt ist die HHLAMilliarde verbraucht. Jetzt geht es in der kommenden Legislaturperiode darum, wie viel Geld wir in den Hafen stecken. Es müssen mindestens 150 Millionen Euro pro Jahr sein.
Scholz: An dieser Stelle sei gesagt, dass Herr Wersich freundlich geflunkert hat.
Der nächste Themenblock befasst sich mit den Bereichen Stadtentwicklung, lebenswerte und saubere Stadt: Herr Wersich, beim Thema Wohnungsbau könnten Sie doch mal über Ihren Schatten springen und sagen: Die Leistung des Senats ist gar nicht so schlecht.
Wersich: Nein. Die Wohnungen sind nicht billiger geworden. Leider hat auch der Wegzug von Familien ins Umland wieder zugenommen. Wir brauchen noch sehr viel mehr günstigere, kleinere Wohnungen für Studenten, Auszubildende und Rentner, die nicht viel Geld haben. Wir haben in unserer Regierungszeit 35.000 neue Wohnungen gebaut. Vieles von dem, was heute in der Stadt realisiert wird, hat früher seinen Ursprung. Wir sind in der Zielsetzung absolut einig: Wir brauchen, wir wollen mehr Wohnungsbau für Hamburg. Aber wir dürfen nicht Wohnungsbau um jeden Preis machen. Die soziale Durchmischung, der Charakter der Stadtteile muss erhalten bleiben. Man muss also auch auf Qualität achten.
Was würden Sie als Bürgermeister machen, damit die Mieten sinken?
Wersich: Ich glaube, dass es schwierig wäre, wenn jemand das versprechen würde. Häufig ist es ja eine Frage der Größe, ob man sich eine Wohnung leisten kann oder nicht. Ich habe als Student in einem Studentenwohnheim gelebt. 20 Quadratmeter sind eben günstiger als 50 Quadratmeter.
Herr Bürgermeister, 6000 Wohnungen werden gebaut, wahrscheinlich müssen es in Zukunft noch mehr werden. Wie schaffen Sie es denn, dass der Druck auf die angesagten Stadtteile abnimmt und sich das Interesse der Menschen auch auf andere Bereiche der Stadt richtet?
Scholz: Indem wir mehr angesagte Stadtteile haben und dafür sorgen, dass man überall in Hamburg gut wohnen kann. Das gilt für unsere Pläne in Wilhelmsburg und in Harburg, aber auch unsere Planung nach Osten, stromaufwärts an Bille und Elbe. Es soll nicht so sein, dass sich nur bestimmte Einkommensgruppen bestimmte Stadtviertel leisten können. Bei jedem größeren Bauvorhaben soll deshalb ein Drittel geförderter Wohnraum entstehen. Wir haben das engagierteste und erfolgreichste Sozialwohnungsbauprogramm der ganzen Republik auf den Weg gebracht - mit mehr als 2000 Sozialwohnungen im vergangenen Jahr.
Diese Marke wollen wir auch in den nächsten Jahren verfolgen. Das kostet übrigens Subventionen in Höhe von 123 Millionen Euro, was ich aber für notwendig halte. Das Wichtigste ist jedoch, dass es genügend Wohnungen gibt. Deswegen haben wir in den letzten vier Jahren Baugenehmigungen für 36.000 neue Wohnungen erteilt. Nach zehn Jahren CDU-Regierung fehlten 40.000 Wohnungen – eine Folge der Tatsache, dass es in diesen ganzen zehn Jahren nur 35.000 Baugenehmigungen gab. In den letzten beiden Jahren unserer Regierungszeit lag die Zahl der genehmigten Wohnungen sogar bei 10.000. Das zeigt, dass noch eine Steigerung möglich ist.
Zur lebenswerten Stadt gehört auch die sichere Stadt. Die Zahl der Wohnungseinbrüche steigt, die Aufklärungsrate ist niedrig. Wie wollen Sie da Abhilfe schaffen?
Scholz: Wir haben dafür gesorgt, dass bei der Vollzugspolizei keine Stellen gestrichen werden. Im Übrigen auch nicht bei der Feuerwehr. Wir haben die Ausbildungskapazitäten bei der Polizei erhöht, damit wir immer genügend Polizisten in unserer Stadt einsetzen können, die für Sicherheit sorgen. Und wir haben auch dazu beigetragen, dass mehr Polizeivollzugskräfte in den Polizeikommissariaten eingesetzt sind und damit auch bei den Bürgern tätig sein können. Das alles zusammen mit einer effizienten Polizeiarbeit ist die einzige Möglichkeit, wie man dafür sorgen kann, dass man der Kriminalität Herr werden kann. Das ist eine Daueraufgabe. Und deshalb werden wir auch dauerhaft mehr Polizisten beschäftigen als andere Länder.
Herr Wersich, was macht die SPD in der Inneren Sicherheit falsch?
Wersich: Erst einmal die Fakten. „Hamburg weiter vorn“, wird ja plakatiert. Man hat aber offenbar die Realitäten abgeschnitten. Wir haben wieder 14.000 Straftaten mehr. Das ist der höchste Stand seit acht Jahren. Und das in nur drei Jahren Regierung Olaf Scholz. Wir sind bei der Aufklärungsquote auf dem letzten Platz aller Bundesländer. Da kann man wirklich nicht von „Hamburg weiter vorn“ sprechen. Egal, wo ich unterwegs bin, auf den Wochenmärkten in Billstedt, Wilhelmsburg, Winterhude: Die Leute sagen, es ist wieder dreckiger geworden in der Stadt. Die Verwahrlosung nimmt wieder zu. Es war ein schwerer Fehler, Herr Scholz, dass Sie den Bezirklichen Ordnungsdienst abgeschafft haben. Damit haben Sie auch der Polizei keinen Gefallen getan. Denn es nützt nichts, wenn die Polizei irgendwelchen Müllsündern hinterherlaufen soll. Die Polizei muss sich auf ihre Kernaufgabe konzentrieren, die Verbrecher zu jagen.
Scholz: Ein Hinweis: In Ihrer Regierungsverantwortung wurden Polizeikommissariate geschlossen. Eine gute, effiziente und gut finanzierte Polizei ist die Grundlage für die Innere Sicherheit. Darauf kann man sich verlassen. Das gilt, das hat in den vergangenen vier Jahren gegolten und das wird auch für die kommenden fünf Jahren gelten.
Kommen wir zum Thema Kita. Herr Wersich, die SPD und der Bürgermeister tun genau das Gegenteil, von dem, was Sie vorher gemacht haben: Die Kita-Gebühren wurden abgeschafft. Warum ist die Entlastung von Eltern, wie es der Bürgermeister macht, falsch?
Wersich: Nein, das ist gut. Aber die Frage ist sicherlich, ob wir nur auf das Thema billig setzen oder ob wir auch auf die Qualität achten. Die Eltern sagen ja zu Recht, dass wir mehr für die Qualität machen müssen. Wir brauchen eine bessere Betreuung, und es wird auch die Gretchenfrage kommen, wie die Kita-Kräfte künftig bezahlt werden. Das ist kein gut bezahlter Beruf. Auch hier ist die Frage an Olaf Scholz: Sind Sie bereit, in Zukunft die Tarif-Steigerung bei den Kita-Kräften voll zu finanzieren? Oder bleibt es auch hier bei der Ansage, dass die Steigerung nicht mehr als 0,88 Prozent betragen darf? Das sind die Fragen, die sich die Eltern stellen.
Scholz: Ich finde, man muss sich die Leistungen der letzten Jahre einmal klar machen. Wir geben nicht mehr 400 Millionen Euro pro Jahr aus, sondern mehr als 600 Millionen Euro. Diese Summe steigt weiter. Das hat dazu geführt, dass wir eine fünfstündige kostenfreie Kita- und Krippenbetreuung haben. Ein flächendeckendes Angebot für Ganztagskrippen und Kitas. Ich glaube, das ist richtig, und dies er Weg muss weitergegangen werden. Dazu haben wir mit den Trägern, die solche Kitas betreiben, Vereinbarungen geschlossen, an die wir uns halten werden. Das bedeutet, dass wir noch viel mehr Geld dafür ausgeben müssen. Und die Steigerungen sind sogar höher als das, was sonst für den Haushalt gilt.
Herr Wersich, Sie sagen, Kita-Betreuer verdienen zu wenig. Wenn die CDU die Wahl gewinnt, verdienen die Kita-Betreuer dann mehr? Und wenn Sie an vielen Punkten ein Mehr fordern, wie halten Sie dann die Schuldenbremse ein mit dem neuen CDU-geführten Senat?
Wersich: Zwei Dinge dazu: Wir waren es, die mit den Kita-Trägern vereinbart haben dass die Tarif-Steigerungen ersetzt werden. Der neue Senat hat versucht, diese Regelung zu Gunsten der pauschalen Erhöhung zu kippen. Da sind Sie nicht ganz ehrlich, Herr Scholz. Und ich erwarte, dass das Abschließen von Tarifen die Sache der Tarifpartner ist. Ich aber stehe dazu, was wir damals vereinbart haben: Die Stadt muss die Tarifsteigerung vollständig ausfinanzieren in den Kitas. Wir greifen nicht in die Tarifverhandlungen ein. Aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen bezahlt werden.
Es ist aus der Opposition einfach zu sagen, man gibt mehr Geld aus. Wenn Sie Bürgermeister wären, Herr Wersich, müssten Sie auch die Schuldenbremse einhalten. Wie machen Sie das bei den ganzen Ausgaben, die Sie jetzt schon versprochen haben?
Wersich: Ich habe ja selbst schon regiert. Es ist nicht so, dass ich am Tor stehe, rüttele und sage, ich will hier rein, und nicht weiß, wovon ich rede. Ich mache mir keine romantischen Vorstellungen. Wir haben auch die schwerste Finanzkrise 2009/2010 bewältigt. Deswegen haben wir zu den Haushaltsberatungen ganz genau gesagt, dass wir eine Reihe von Umschichtungen vornehmen wollen: Maßnahmen aus dem Sanierungsfonds, aber auch zentrale Reserven in dreistelliger Millionenhöhe. Dieses Geld wollen wir verwenden, um mehr zu investieren in die Infrastruktur, in den Hafen und in die Bildung. Dieser Spielraum ist da. Das haben wir nachgewiesen. Und dazu gehört auch, dass wir das wahnsinnige Busbeschleunigungsprogramm stoppen. Mit diesen 200 Millionen Euro können wir eine Menge wichtiger Dinge für Hamburg tun.
Was sagen Sie dazu, Herr Scholz?
Scholz: Ich halte mich an die Fakten. Zu den Fakten gehört, dass der Haushalt im Jahr 2014 mit einem Überschuss abgeschlossen wurde – die Frage ist nur noch, wie hoch er ausfällt. Und das ist uns gelungen, weil wir uns um gute Haushaltspolitik gekümmert haben und nicht ständig irgendwelche Rücklagen und irgendwelche Reserven angezapft haben. Wir sind mit dem Geld auch wirklich ausgekommen. Die Planung des vorherigen Senats für die jetzige Legislaturperiode sah über zwei Milliarden Euro neue Schulden vor. Das ist jetzt nicht so gekommen, weil wir es besser gemacht haben. Und ich glaube, es ist gut, wenn es auch in Zukunft besser gemacht wird.
Zwei Dinge fallen im Wahlkampf auf, Herr Wersich: Sie haben kein Schattenkabinett und Sie äußern sich nicht zu Koalitionen. Nicht weit weg von Hamburg gibt es eine Große Koalition. Können Sie sich so etwas auch hier vorstellen?
Wersich: Wir sind bereit. Wir können und wollen regieren. Ich bin bereit, Verantwortung für die Stadt zu übernehmen. Aber ich sage auch ganz klar, nicht um jeden Preis. Es muss sich etwas ändern bei Verkehr, bei Infrastruktur, mehr Sicherheit und Sauberkeit in der Stadt. Unter diesen Bedingungen bin ich bereit, in einer Regierung Verantwortung zu übernehmen. Und wir werden entsprechende Angebote machen. Aber erst nach der Wahl. Erst einmal ist der Wähler dran, zu entscheiden und sein Urteil abzugeben.
Herr Bürgermeister, bei Ihnen sind drei Varianten möglich. Erstens: Es kommt noch einmal zu einer absoluten Mehrheit. Zweitens eine Koalition mit den Grünen. Und jetzt gibt es die theoretische Chance, dass die FDP doch noch einmal reinkommt. Wären denn auch Gespräche mit Frau Suding möglich, die vielleicht einfacher sind als mit Herrn Kerstan und Frau Fegebank von den Grünen?
Scholz: Ich glaube nicht, dass die FDP in die Bürgerschaft kommt. Im Übrigen finde ich, dass man immer vor der Wahl sagen soll, was man nach der Wahl macht. Das habe ich vor der letzten Wahl auch im Hinblick auf die Koalitionsfrage getan. Damals habe ich gesagt: Ich möchte ein starkes Mandat für die SPD, und wenn es nicht reicht, dann frage ich die Grünen. Es gab ein starkes Mandat für die SPD. Und ich sage jetzt das gleiche. Es gibt nur diese beiden realistischen Varianten: Entweder ein starkes Mandat, das der SPD ermöglicht, die Stadt weiter so zu regieren, wie wir das bisher gemacht haben und sie weiter nach vorne zu bringen, oder einen Koalitionspartner. Und dann wissen wir, wen wir fragen: die Grünen.
Wir geben das Duell in gekürzter Form wieder. Zum besseren Verständnis haben wir sprachliche Korrekturen vorgenommen. Zudem haben Olaf Scholz und Dietrich Wersich diese bearbeitete Version vorab erhalten und einige ihrer Aussagen präzisiert. Die Redaktion