Stellenweise wurde die Benutzungspflicht für Radwege abgeschafft. Das führt zu Konflikten auf der Fahrbahn. Eine Hindernistour in Altona.
Lurup. Wenige Minuten nach unserem Start auf der Luruper Hauptstraße passiert es: An einer Baustelle auf der vierspurigen Fahrbahn ziehen wir auf die linke Nebenspur, radeln dort mit sanftem Tempo 20, um schließlich wieder hinter der Absperrung nach rechts zu schwenken. Ein Nissan Micra mit „PI“-Kennzeichen zieht dicht an uns vorbei, man spürt förmlich, wie die Fahrerin ärgerlich hochschaltet, Gas gibt und uns dann mit strengem Kopfschütteln bedenkt. „Zwei Radfahrer mitten auf der Straße, das geht doch nicht“, sagt ihr Blick. „Da gibt es doch einen Fahrradweg“.
Ähnlich reagiert wenig später ein Golf-Fahrer, der auf die Straße einbiegen will. Auch er schüttelt den Kopf, deutet achselzuckend auf den Radweg, als wir auf der Fahrbahn vorbeirollen. Weiter Richtung Innenstadt rauscht ärgerlich hupend wieder ein Auto dicht vorbei. Wieder jemand mit Pinneberger Kennzeichen. „Eigentlich habe ich mit mehr Ärger gerechnet“, sagt Benjamin Harders, als wir kurz stoppen.
Der 29-Jährige gehört zur Altonaer Bezirksgruppe des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Die Luruper Hauptstraße und ihre Radwege waren aus ADFC-Sicht lange ein großes Ärgernis für Radfahrer im Bezirk. An der Einfallstraße aus Schleswig-Holstein bis ins Herz von Altona ist der Radweg an etlichen Stellen holprig, eng oder verläuft mitten über Bushaltestellen.
Dennoch gab es hier eine Benutzungspflicht für Radfahrer, an jeder Einmündung wiesen die blau-weißen Hinweisschilder mit dem stilisierten Rad eindeutig darauf hin, dass man hier zwingend den Radweg nutzen musste. Doch wie derzeit vielerorts in der Stadt ging der Fahrrad-Club gegen die Benutzungspflicht an, weil der Radweg nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche. 1,50 Meter muss er laut Richtlinie breit sein, was nur die wenigsten Hamburger Radwege schaffen.
Teils mit Klagen konnten ADFC-Mitglieder erreichen, dass die Behörden seit einigen Jahren die Benutzungspflicht auf maroden Radwegen immer mal wieder aufheben mussten. An der Hoheluftchaussee, dem Eppendorfer Baum und der Eppendorfer Landstraße soll sie demnächst abgeschafft, die Schilder demontiert werden. Auf der Luruper Hauptstraße ist dies nun gerade geschehen, nur an der Kreuzung zur Elbgaustraße gilt sie noch für ein kurzes Stück.
Demnächst sollen hier erstmals in Hamburg auch neue Schilder aufgestellt werden, die extra darauf hinweisen, dass dort nun Radfahren auf der Straße zulässig ist. Bestellt hat der Bezirk die neuen Schilder schon, die bald überall in der Stadt aufgestellt werden könnten, wenn wieder einmal eine Benutzungspflicht endet – und Autofahrer irritiert reagieren könnten.
Fahrradlobbyist Harders hat daher zur Probefahrt auf der Fahrbahn eingeladen. Der junge Wirtschaftsingenieur trägt schwarze Schuhe, Anzughose, ein helles, gebügeltes Hemd und entspricht auch sonst nicht mehr dem alten Klischee des verhärmten Radfahrfanatikers. Er arbeitet als selbstständiger Vermögensberater, „mit ausgewähltem Kundenkreis“, wie er sagt. Fährt Rad in der Stadt, aber nicht nur. Das Fahrrad, sagt er, das sei für ihn vor allem ein modernes, urbanes Fortbewegungsmittel.
„Aber mich ärgert, dass Radfahrer so stark benachteiligt werden im Straßenverkehr.“ Anfang des Jahres gehörte er daher zu den Mitgründern der Altonaer Bezirksgruppe des ADFC, der das Radfahren auf der Straße propagiert, damit auch Radfahrer zügig vorankommen, wie Benjamin Harders sagt. Zudem sei das Radeln auf der Straße weniger gefährlich als auf dem Radweg, wo man aus dem Blickfeld der Autofahrer gerät. „Keiner will einen absichtlich überfahren, das passiert so oft, weil man nicht gesehen wird.“
Tatsächlich rollt es sich auch auf der relativ viel befahrenen Luruper Hauptstraße gut dahin. Bis auf die wenigen kritischen Blicke, reagieren die Autofahrer meist souverän, ziehen mit deutlichem Abstand vorbei. Ein bisschen eng wird es nur, wenn Zweite-Reihe-Parker den Weg versperren und man als langsamstes Fahrzeug ein schnelles Ausweichmanöver fahren muss. Merkt der das hinter mir? Passt er auf? Ein mulmiges Gefühl bleibt, Autofahrer riskieren hier ihren Lack, Radler ihre Haut – trotz aller Beteuerungen des ADFC.
Nicht alle teilen daher den Feldzug für das Radfahren auf der Straße. „Man muss auch an ältere, nicht so fitte Menschen denken“, sagt etwa Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhof. Die per Gericht erzwungene Aufhebung der Benutzungspflicht an der viel befahrenen Hoheluftchaussee sieht er eher kritisch, „Da gehört schon Mut zu.“
Doch anderseits kamen die Behörden der Stadt bisher auch nicht so recht voran mit dem Neubau von Radwegen oder Radfahrstreifen. Der Streit um die Benutzungspflicht ist deshalb auch ein Streit um das richtige Tempo beim Ausbau des Radverkehrs in Hamburg. Mehr als deutlich machen die Gerichtsbeschlüsse gegen den Radwegzwang, dass dabei lange geschlurrt wurde in Hamburg. Große Teile des 1500 Kilometer langen Netzes entsprechen nicht mehr den heutigen Standards. Doch das soll sich nun ändern, verspricht der Senat.
Die Verkehrsbehörde plant von Oktober an einen großen Radwege-Check, dem dann eine Prioritätenliste mit Baumaßnahmen folgen soll. Doch bis daraus neue Wege und schützende Streifen auf den Fahrbahnen werden, dürfte einige Zeit vergehen. Zeit, in der sich ADFC und Behörden um die Rechtmäßigkeit von anderen Benutzungspflichten streiten können.
Einen solchen künftigen Konfliktfall haben wir bei dieser Tour bald erreicht. An der Trabrennbahn, am Übergang zur Bahrenfelder Chaussee, gilt plötzlich die Benutzungspflicht für den Radweg. Statt auf dem glatten Asphalt holpern wir nun wieder über enge Wege, müssen an Bushaltestellen absteigen, hier schieben, dort warten.
Besonders eng wird es schließlich an der Stresemannstraße. Diese Straße ist nun das neue Ziel von Harders und seinen radelnden Mitstreitern. Auch hier soll die Benutzungspflicht fallen, fordern sie. Denn dann könnte man von der Landesgrenze bis in Zentrum so radeln, wie es am besten sei. Auf der Fahrbahn.