Familien- und Jugendministerin Manuela Schwesig über die Zustände an der Feuerbergstraße. Mit einem neuen Gesetz will die Ministerin für eine bessere Verteilung der Flüchtlinge in Deutschland sorgen.

Berlin. Ihr Ministerium ist zuständig für Jugendliche – und somit auch für die wachsende Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die derzeit vor allem in den Großstädten stranden. Mit einem neuen Gesetz will Manuela Schwesig (SPD) für eine bessere Verteilung in Deutschland sorgen. Ein Besuch in der Flüchtlingsunterkunft in der Feuerbergstraße (Alsterdorf) hat sie in diesem Vorhaben bestärkt. Aber auch in der Familienpolitik will die 40-Jährige Veränderungen bewirken: So sollen mehr Väter in Teilzeit arbeiten können.

Hamburger Abendblatt: Sie haben sich kürzlich in Hamburg das Jugendheim an der Feuerbergstraße angesehen. Was war der prägendste Eindruck?
Manuela Schwesig: Sehr beeindruckt hat mich ein Gespräch mit einem 15 Jahre alten Jungen, der aus Afghanistan fliehen musste und zunächst nach Pakistan kam. Sein Vater hatte sein Eigentum verkauft, um mit dem Geld Schleuser zu bezahlen, damit wenigstens sein Sohn das Land verlassen konnte. Der Junge hat eine wahre Odyssee durch viele Länder hinter sich, bis er schließlich nach Deutschland und nach Hamburg kam. Er hat mir erzählt, er fühlt sich zum ersten Mal in Sicherheit. Er will jetzt die Sprache lernen, zur Schule gehen , um hier gut Fuß zu fassen. Kontakt zu seiner Familie hat er zur Zeit nicht. Er ist in diesem jungen Alter völlig auf sich allein gestellt.

Und ist auf die Hilfe der dort arbeitenden Sozialarbeiter angewiesen.
Schwesig: Ja, auch mit ihnen habe ich Gespräche geführt. Was sie leisten, ist wirklich bewundernswert, davor habe ich großen Respekt. Sie haben mir ihre Arbeit erläutert und auch klar gemacht, dass sie sich mittlerweile am Rande ihrer Kräfte bewegen. Sie versuchen, alles noch irgendwie zu händeln. Der Zustrom in diese Unterbringung ist zu groß. Es gibt dort Notlager in einer Turnhalle, die eigentlich bei diesem Wetter dringend gebraucht werden würde. Natürlich kann man sagen, dass das immer noch besser ist als das, was die Kinder in ihrer Heimat oder während der Flucht erlebt haben, aber das kann nicht unser Maßstab sein. Jeder Jugendliche hat das Recht, vernünftig zu wohnen und zur Schule zu gehen. Hamburg muss hier entlastet werden.

Die Feuerbergstraße ist vor allem deswegen ein Begriff, weil einige der dort untergebrachten Jugendlichen kriminell werden. Einige Geschäftsinhaber beschäftigen schon Sicherheitskräfte.
Schwesig: Richtig. Aber es stimmt auch, dass die ganz große Mehrheit der Jugendlichen dort nicht in dieser Hinsicht auffällig wird. Die meisten wollen sich hier einleben und einbringen. Aber es gibt eben auch junge Flüchtlinge, die das Leben auf der Straße gewohnt sind und die das hier so weitermachen. Das Spannungsfeld ist auch deswegen so groß, weil so viele junge Menschen hier unter diesen Bedingungen zusammenleben und manche sich in diese kriminellen Gruppen hineinziehen lassen. Das aber müssen wir unbedingt verhindern.

Wie denn?
Schwesig: Wir müssen die Situation entzerren, um individuelle Betreuung in kleineren Wohngruppen oder im Idealfall in Pflegefamilien zu gewährleisten. Das ist aber mittlerweile in den Metropolen wie Hamburg oder München nicht mehr für alle Flüchtlingskinder möglich. Wir müssen die Kapazitäten in ganz Deutschland nutzen, und dafür brauchen wir eine Gesetzesänderung. Die bestehenden Gesetze sehen vor, dass die Jugendlichen dort untergebracht und betreut werden müssen, wo sie erfasst werden. Dahinter steht der Gedanke, dass diese jungen Menschen nach ihrer Fluchtgeschichte nicht auch noch durch Deutschland weitergeschickt werden, sondern an dem einen Ort zur Ruhe kommen.

Das klingt zunächst nicht falsch.
Schwesig: Aber diese Idealvorstellung trägt nicht mehr in Zeiten der großen Flüchtlingsströme und ist in der jetzigen Situation nicht mehr zu halten. Sie wird den Kindern und Jugendlichen auch nicht mehr gerecht. Es ist sicher besser, noch einmal in Deutschland begleitet zu reisen, als in einer überfüllten Unterkunft leben zu müssen. Und es werden ja in den kommenden Jahren dauerhaft Flüchtlinge zu uns kommen, deswegen ist es wichtig, jetzt zu reagieren. Ein Ideal, das in der Praxis nicht mehr annähernd umsetzbar ist, ist eben keines mehr.

Was würde sich konkret ändern?
Schwesig: Nehmen wir das Beispiel des Jungen aus Afghanistan, das ich eingangs geschildert habe. Für ihn könnten wir in einer kleineren Stadt, in einer anderen Umgebung eine bessere Betreuung und Unterkunft suchen, vielleicht in Schleswig-Holstein oder in Mecklenburg-Vorpommern oder in einem anderen Bundesland. Derzeit dürfen die Behörden das nicht.

Rechnen Sie da mit Widerstand aus den Flächenländern?
Schwesig: Es gibt einen Ministerpräsidentenbeschluss, der diesen Weg vorsieht. Es gibt die grundsätzliche Bereitschaft aller Bundesländer zu helfen. Allerdings ist es schon so, dass manche Länder noch Vorbehalte haben: Einige sind sehr offensiv und sehen auch die Potenziale, die diese Jugendlichen mitbringen. Zum Beispiel mein Heimatland Mecklenburg-Vorpommern bereitet sich gerade darauf vor. Andere Ländervertreter haben auch Bauchschmerzen und fragen sich, ob sie das alles bewältigen können – vielleicht auch, weil sie die Medienberichte aus Hamburg gelesen haben.

Steuern die Schleuser ganz bewusst auch Hamburg an?
Schwesig: Solche Erkenntnisse haben wir, ja. Große Drehkreuze mit Flughäfen oder Häfen sind attraktiv, zudem gibt es dort schnelleren Anschluss an Verwandte oder Landsleute und manchmal eben auch gezielt an kriminelle Gruppen. Wer Kapitaldelikte begeht, kommt eben schneller an Geld, um Kosten für die Schleusung zurückzuzahlen.

Seit Jahresbeginn gibt es das „ElterngeldPlus“. Was daran ist besser als das bisherige Elterngeld?
Schwesig: Bislang war es so, dass Mütter und Väter, die während des Elterngeldbezugs Teilzeit arbeiten wollen, weniger erhalten als diejenigen, die ganz aussteigen. Mit dem neuen ElterngeldPlus gilt jetzt: Wer Teilzeit in der Elternzeit arbeitet, bekommt doppelt so lange Elterngeld. Wer sich gemeinsam um das Kind kümmert, wird länger gefördert.

Es gibt viele Frauen, die lieber wieder früher in den Job in Teilzeit einsteigen wollen. Und es gibt gleichzeitig viele Väter, die nicht nur zum Gutenachtkuss nach Hause eilen, sondern mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten. Auch für die wäre die Ausübung ihres Berufs in Teilzeit attraktiv. Wir möchten mit dem ElterngeldPlus unterstützen, dass beide Partner Zeit für die Familie, aber auch Möglichkeiten im Job haben. Viele können es sich ja auch nicht leisten, ein ganzes Jahr aus dem Beruf auszusteigen.

Teilzeit hat keinen so guten Ruf bei vielen Unternehmen.
Schwesig: Stimmt. Teilzeitarbeit wird leider in Deutschland nicht genügend wertgeschätzt. Nur wer ständig präsent ist, gilt als Leistungsträger in unserer Arbeitswelt. Jetzt bedeutet Teilzeit oft nur den B-Klasse-Job, also schlechtere Bezahlung und weniger Entwicklungsmöglichkeiten. Das möchte ich ändern und halte deshalb an der Idee meiner Familienarbeitszeit fest.

Was heißt das?
Schwesig: Mit geht es darum, dass die Arbeitszeit für Familien besser verteilt und dass die Rushhour, in der alle stecken, entzerrt wird. Denn der ganz normale Wahnsinn der Familien ist, dass man Zeit für den Job braucht und gleichzeitig auch für die Kinder oder pflegebedürftigen Eltern da sein möchte. Es muss für Männer und Frauen möglich sein, in Familienphasen Teilzeit, zum Beispiel 32 Stunden, zu arbeiten, auch ohne große Nachteile zu haben. Damit würden wir Eltern sehr entlasten. Das ElterngeldPlus ist der erste Schritt hin zu einer Familienarbeitszeit.

Wird eine Ausweitung der Teilzeitarbeit nicht auf größere Widerstände stoßen?
Schwesig: Klar, damit tun sich einige schwer. Aber die Arbeitswelt muss flexibler werden. Das haben einige Wirtschaftsvertreter – wie etwa der Chef des DIHK, Eric Schweitzer – schon erkannt. Denn sie wissen: Nur so bleiben ihnen Fachkräfte und vor allem die hoch qualifizierten Frauen erhalten. Der gesellschaftliche Wandel ist aber sicher noch nicht abgeschlossen, bei vielen ist die Vollarbeitsstelle noch immer die einzige Chance, Karriere zu machen. Am Ende zerreißt das aber die Frauen und die Männer; beide haben das Gefühl, ihren Aufgaben und ihren Wünschen nicht mehr gerecht werden zu können. Dann stecken im Regelfall eher die Frauen zurück. Das kann auch die Wirtschaft nicht wollen.

Sie beschreiben die „gestresste Generation“. Glauben Sie, dass ein solches Modell zu einer Entschleunigung führt?
Schwesig: Viele Paare wünschen sich eine Entschleunigung. Da kann das Modell, in dem beide Partner Vollzeit-nah arbeiten, aber eben mit mehr Freiräumen, eine gute Unterstützung sein.

In höher qualifizierten Berufen ist Teilzeit dank totaler Vernetzung aber oft nur ein Wort. Muss da nicht dann auch ein Sinneswandel eintreten?
Schwesig: Absolut. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen sich fragen, ob das wirklich gut ist und etwas bringt. Wenn es keine Zeiten gibt, in denen die Menschen abschalten können, erhöht das auf Dauer sicher nicht die Produktivität, sondern verstärkt nur den Verschleiß.

Am Sonnabend sind Sie Gast des Hamburger Presseballs im Hotel Atlantic. Worauf freuen Sie sich?
Schwesig: Mein Mann und ich gehen sehr gern tanzen. Das werden wir beim Hamburger Presseball sicherlich auch tun. Überhaupt bin ich gern in der Hansestadt und freue mich auf gute Gespräche in lockerer Atmosphäre.