Streitgespräch nach den Pariser Anschlägen: Die Religionsführer in Hamburg suchen den Dialog. Aber auch die Konflikte werden sichtbar. Schura-Vorsitzender: „Die Muslime fühlen sich gedemütigt.“
Hamburg. Am Anfang ihres Gesprächs demonstrierten die Hamburger Religionsführer noch Geschlossenheit. Doch je länger der Religionsgipfel zum aktuellen Thema „Religion und Gewalt“ dauerte, desto mehr traten die Konflikte hervor. „Die Dominanz des Westens ist zu stark. Die Muslime fühlen sich gedemütigt“, sagte Mustafa Yoldas, Schura-Vorsitzender. Der Arzt und Religionsrepräsentant ist einer von 200.000 Muslimen, die in Hamburg leben. Deutlicher Widerspruch kam vom katholischen Weihbischof Hans-Jochen Jaschke.
Am Religionsgipfel nahmen außerdem der jüdische Landesrabbiner Shlomo Bistritzky sowie der Buddhismus-Lehrer und Vorsitzende des Interreligiösen Forums, Oliver Petersen, vom Tibetischen Zentrum teil. Gastgeberin des Abendblatt-Gesprächs in ihrer Kanzlei war die evangelische Bischöfin für Hamburg und Lübeck, Kirsten Fehrs.
Hamburger Abendblatt: Herr Yoldas, wie viel Zeit haben Sie seit dem 11. September 2001 dazu genutzt, um immer wieder zu erklären: Der Islam ist eigentlich eine friedliche Religion?
Mustafa Yoldas: Ich habe die Hälfte meiner Haare verloren. Und die andere ist ergraut. Regelmäßig werde ich von den Medien gefragt, wenn der Name Islam mit Gewalt in Verbindung gebracht wird. Es ist zermürbend, immer meine Religion verteidigen zu müssen. Immer muss ich Rechenschaft ablegen über die Untaten einiger radikaler Terroristen.
Was sind das für Menschen?
Yoldas: Ich empfinde keine Sympathie für sie, auch wenn sie sich auf meine Religion berufen. Und ich grenze mich von ihnen ab. Die Grundbotschaft des Islam wird von diesen Leuten pervertiert. Von ihnen werden wir als Verräter betrachtet. Gerade weil wir mit den sogenannten Ungläubigen wie Christen und Juden reden. Ich persönlich habe keine Angst vor diesen Leuten.
Sind auch Hamburger Muslime gewaltbereit?
Yoldas: Ich kenne niemanden, der bei den Anschlägen applaudiert. Ich selbst allerdings bin in einschlägigen Salafisten-Blogs ein rotes Tuch. Sie missbrauchen den Islam als Deckmantel für ihre kriminelle Energie.
Hat sich die Schura in ausreichendem Maße von islamistischer Gewalt distanziert?
Shlomo Bistritzky: Ich war bei der Kundgebung in Hamburg am vergangenen Montag dabei und habe es das erste Mal so deutlich gehört – das ist jedenfalls meine Beobachtung. Das muss allerdings immer wiederholt werden – in Deutschland genauso wie im Ausland.
Hans-Jochen Jaschke: Wir als Katholiken sagen bei vielen Gelegenheiten, dass sich Religion und natürlich auch Islam und Gewalt ausschließen müssen. Wir haben den Vorteil, dass der Papst für uns alle öffentlich spricht. Gemeinsame Zeichen des Friedens werden seit den Gebetstreffen der Weltreligionen ab 1986 in Assisi gesetzt. Ich erwarte auch von führenden muslimischen Autoritäten auf der Welt, dass sie ächten, wenn Gewalt im Namen des Islam ausgeübt wird. Und ich bin betroffen darüber, dass nach den Anschlägen in Paris die ebenfalls ermordeten Juden nur am Rande erwähnt werden. Wir brauchen deshalb öffentliche Signale, die sich von jeder Judenfeindschaft distanzieren.
Bistritzky: Das würde eine noch größere Wirkung entfalten, wenn sich auch Muslime davon distanzierten.
Kirsten Fehrs: In Hamburg gibt es seit Jahrzehnten eine gewachsene, höchst lebendige interreligiöse Kultur. Es gibt ein gelebtes religiöses Miteinander. Mustafa Yoldas muss ich an dieser Stelle ein Kompliment machen: Er grenzt sich sehr klar ab, mit allen Konsequenzen für seine persönliche Situation.
Ist die Kultur des guten religiösen Miteinanders jetzt gefährdet?
Oliver Petersen: Hamburg ist bundesweit die Hauptstadt des interreligiösen Dialogs. Das ist ein gutes Fundament. Ich selbst bin seit 1984 engagiert. Es gibt gemeinsame Projekte – vom Religionsunterricht für alle bis zur Akademie der Weltreligionen. Ich wünsche mir aber, dass weltweit in der Theologie ein Bekenntnis abgelegt wird: Wir dürfen mit unseren je eigenen religiösen Glaubenswahrheiten anderen Menschen nicht vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. Wir brauchen eine globale Ethik aus säkularer Sicht.
Wie es der Dalai Lama im Sommer in Hamburg vorgeschlagen hat...
Petersen: Aus buddhistischer Sicht ist das Herzstück der Religion nicht der Glaube, sondern die Schulung des Geistes – die Entwicklung positiver geistiger Einstellungen. Wenn man aber darauf beharrt, dass der eigene Glaube die einzige Art und Weise ist, richtig zu leben, dann wird es kein Ende der Konflikte geben.
Warum ist es ausgerechnet der Islam, der im Fokus von religiös motivierter Gewalt steht?
Fehrs: Es ist zwar zahlenmäßig so, dass die Mehrheit der Akteure auf diesem Gebiet Islamisten sind. Aber jede Religion trägt die Gefahr in sich, dass es religiös motivierte Gewalt geben kann. Damit meine ich Extremisten genauso wie Fundamentalisten und psychisch kranke Täter mit wahnhaften Vorstellungen.
Jaschke: Dass der Islam im Fokus steht, hat mit weltweiten Zusammenhängen zu tun. Der Zusammenprall der Religionen hat nicht nur religiöse, sondern auch politische und ökonomische Ursachen. Muslimische Länder fühlen sich durch die westliche Welt unter Druck.
Petersen: Der Mensch hat keinen angeborenen Trieb zur Gewalt, Er hat ein Verhaltensprogramm. Wenn ein Mensch sich ausgegrenzt fühlt, reagiert er mit Schmerz, sagt die Gewaltforschung. Dann ist er bereit, Gewalt auszuüben. In Deutschland scheint es so zu sein, dass vor allem muslimische Jugendliche diesen Schmerz besonders empfinden. Deshalb muss versucht werden, Ausgrenzung auch in Hamburg zu minimieren.
Yoldas: Die Radikalisierung in der muslimischen Welt hat viele Ursachen. Zum einen: Gewalt ist ein Mittel der politischen Auseinandersetzung von denjenigen, die herrschen, und von denen, die in der Opposition stehen. Zweitens: Wir Muslime sind von der Erblast des Kolonialismus durch Frankreich und England noch nicht losgekommen. Die islamische Welt befindet sich deshalb in einer Identitätskrise. Und drittens: Wir haben das Problem, dass wir uns bedroht fühlen. Die Amerikaner haben mindestens elf Militärbasen im Nahen Osten, wo sie jedes islamische Land angreifen können, ohne in der Luft aufzutanken. Die Dominanz des Westens ist zu stark. Die Muslime fühlen sich dadurch gedemütigt.
Jaschke: Ich akzeptiere nicht, was Sie da sagen. Der interreligiöse Dialog verkommt, wenn wir uns in politische Diskussionen verstricken. Ich wehre mich nachdrücklich gegen pauschale Erklärungen, die allein den „Westen“ zum Schuldigen machen wollen.
Yoldas: Ich distanziere mich von den Untaten der Isis. Distanzieren Sie sich von den Untaten des Westens in der islamischen Welt, zum Beispiel vom christlich begründeten Irak-Krieg von George Bush oder die christlich begründeten Massaker von Breivik, Herr Jaschke?
Jaschke: Untaten des Westens in der islamischen Welt sind natürlich schärfstens zu verurteilen. Es gibt die unabhängigen, die internationalen Gerichte, selbstverständlich auch für die Amerikaner. Wir können politisch unterschiedlicher Meinung sein, Herr Yoldas. Aber schlimm ist immer die Vermischung von Religion und Politik.
Yoldas: Genau. So ist das.
Jaschke: Es kann keinen Kreuzzug des Westens im Namen der Religion geben. Das ist Unsinn und nicht die Grundhaltung des Westens, auch wenn ein Präsident so etwas einmal gesagt hat. Umgekehrt darf Religion nicht als Abwehrkraft gegen den Westen instrumentalisiert werden.
Fehrs: Die Diskussion zeigt, dass wir auch deutliche Unterschiede beim interreligiösen Dialog haben. Nicht allein in religiösen, auch in politischen Fragen. Das müssen wir aushalten. Und jede Seite sollte die Fähigkeit mitbringen, Selbstkritik zu üben.
Petersen: Alle Seiten müssen Kritik zulassen. Ich erwarte vom Westen, dass er hinterfragt, ob er nicht zu einseitig ökonomisch interessiert und egozentrisch auftritt.
Fehrs: Religion ist nicht nur eine rationale Angelegenheit. Es geht um Emotionen, tiefe Glaubensüberzeugungen, Gefühle von Trost und Liebe. In jeder Religion haben wir Gebote, die uns anleiten, wie der Mensch mit seinen aggressiven Anteilen leben kann, dass es nicht zu Mord und Totschlag kommt. Wir können durch Religion die Achtung vor den anderen lernen und leben. Religionen haben vor allem eine friedensstiftende Kraft.
Bistritzky: Es gibt in jeder Religion Menschen, die sie missbrauchen und Gewalt ausüben. Auch im Judentum. Denken wir an Baruch Goldstein, der 1994 in Hebron im Namen der Religion muslimische Palästinenser getötet hat. Das ist aber der einzige Fall, der mir im Bezug auf das Judentum in diesem Zusammenhang einfällt. Zum Terror in Paris muss ich sagen: Die Attentäter waren nicht unterdrückt, auch nicht in London. Wir reden hier von Europa. Und dennoch gibt es Anschläge auf die westliche Welt.
Yoldas: Ich distanziere mich von den Leuten, die den Namen meiner Religion missbrauchen. Und ich erwarte das auch von Juden und Christen.
Der Schriftsteller Salman Rushdie hat gesagt: Religion ist das Gift im Blut. Verstehen Sie, dass Menschen sich von Religion abkehren?
Jaschke: Religion kann ein Gift sein. Das Gift ist die Ideologie. Aber eine gute Religion zeigt auch Weite, Toleranz und Aufklärung.
Petersen: Auch Buddhisten können zu religiös motivierter Gewalt greifen. Ideologie gehört nicht zum Wesen von Religion. Wir müssen Religion mit den positiven Seiten der Moderne versöhnen und lernen, in Freiheit über den Egoismus hinauszuwachsen.
Fehrs: Tatsächlich hat Religion eine heilsame Dimension. Doch das ist derzeit öffentlich weniger im Blick. Die Thematisierung des Religiösen ist für das friedliche Zusammenleben von Zivilgesellschaften ein ganz wichtiger Aspekt. Das auszuschließen könnte gerade für einen laizistischen Staat wie Frankreich ein Problem sein.
Welche positiven Kräfte können die Religionsgemeinschaften in Hamburg für das gute Miteinander entfalten?
Bistritzky: Wir sollen weiter auf Dialog setzen. In den Moscheen, Kirchen, Synagogen und religiösen Zentren. Die Unterschiede werden bleiben, aber wir sollten als Bürger unser Zusammenleben in der Stadt gestalten.
Auf welche Weise?
Jaschke: Wir haben das interreligiöse Forum und bundesweit den Tag der Religionen. Wir brauchen weitere Zeichen.
Fehrs: Das eigentliche Geheimnis von Friedlichkeit ist Begegnung, die gebildete Begegnung, bei der man die anderen Religionen näher kennenlernen kann. Die neue Aufgabe wird sein, dass wir an Orten der Weltreligionen in Hamburg einladen und dort ein Zeichen des Miteinanders setzen. Dazu werden wir gemeinsam etwas planen.
Yoldas: Ja, wir lassen uns nicht auseinanderdividieren und wollen, dass Hamburg die Hauptstadt des interreligiösen Dialogs bleibt. Das hat nicht zuletzt dazu geführt, dass der Salafist Pierre Vogel und Pegida in Hamburg nicht Fuß fassen konnten.