Die Polizei spricht von einer abstrakten Gefahr für Juden in Hamburg. Michael Lohse, Geschäftsführer eines koscheren Lebensmittelladens teilt diese Einschätzung – ist aber nicht verunsichert.
Hamburg. Für Michael Lohse ist eine Ausreise nach Israel kein Thema. Der 68-Jährige steht in seinem Hamburger Geschäft Deli King, einem koscheren Lebensmittelladen und Restaurant. Er trägt ein weißes Hemd, weinrote Schürze, dunkle Kippa und runde Hornbrille. Die Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt in Frankreich und das Attentat in Paris haben ihn erschüttert, aber nicht verunsichert. „Die Verhältnisse in Frankreich sind völlig anders – soziologisch und demografisch“, sagt er.
Knapp 3000 Juden leben in Hamburg. Es gibt ein paar jüdische Cafés, kulturelle Veranstaltungen und eine jüdische Schule. Meist wird der Glaube im Privaten gelebt. Viele hätten die größten Befürchtungen, ihr Jüdisch-Sein nach außen zu transportieren, meint Michael Lohse.
Anders als manche seiner Hamburger Glaubensbrüder geht der 68-Jährige offen mit seinem Glauben um. Er trägt die Kippa auch auf der Straße, an den Fensterscheiben des Deli King steht groß „koscher, authentisch, jüdisch“. Natürlich gebe es eine potenzielle Gefahr – doch die schätzt er für sich persönlich eher abstrakt ein. Aus Gesprächen wisse er aber, das viele seiner Glaubensbrüder das vollkommen anders sehen.
Von einer tiefsitzenden Angst, wie die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Charlotte Knobloch sie beschreibt, könne aber keine Rede sein. „Manche sind beunruhigt, aber zwischen beunruhigt sein und in tiefer Angst ist ja ein himmelweiter Unterschied“, sagt er. „Wir passen schon auf, aber das wir nur noch aus der Tür treten nachdem wir uns zweimal umgeschaut haben, das ist nicht der Fall.“
Präsenz von Sicherheitskräften ist derzeit erhöht
„Hamburg ist nicht Paris“, sagt auch der Sprecher der Hamburger Polizei. Gleichwohl hat das Hamburger Landeskriminalamt Erfahrungen mit muslimischen Antisemitismus. „Radikale Islamisten sind nach unseren Erfahrungen meist per se antisemitisch eingestellt“, erklärt der Pressesprecher.
Vor zahlreichen Synagogen und jüdischen Gemeindezentren wird dieser Tage die Präsenz von Sicherheitskräften erhöht, berichtet Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. „Es gibt mehr Wachsamkeit, aber Angst oder Panik gibt es nicht.“ Auch in Hamburg werden jüdische Einrichtungen, wie die Joseph-Carlebach-Schule im Grindelviertel, von der Polizei bewacht.
„Antisemitsmus wird heute offener geäußert“
Es ist nicht nur islamistischer Terror vor dem sich Juden in Deutschland fürchten – immer wieder gibt es antisemitische Angriffe von Rechtsradikalen. Michael Lohse hat außerdem beobachtet, dass Antisemitismus heute viel offener geäußert wird, als noch vor 25 Jahren: „Dieser diskrete Antisemitismus ist einem offenen, ungeschönten, selbstbewussten Antisemitismus gewichen.“
Anders als die Polizei hat Michael Lohse mit muslimischem Antisemitismus in Hamburg noch keine Erfahrungen gemacht. Und auch das Deli King wurde vor eineinhalb Jahren sehr gut im Grindelviertel aufgenommen. Neben dem koscheren Geschäft gibt es indische, libanesische und chinesische Restaurants, ein türkisches Café und einen türkischen Gemüseladen. „Zu allen Kollegen und Nachbarn haben wir ein vorzügliches Verhältnis“.
Während er mit seinen koscheren Lebensmitteln im Laden eher die Mitglieder der jüdischen Gemeinde anspricht, wird das Café von Juden und Nicht-Juden genutzt. Und so soll es künftig auch bleiben. „Wir sind ein öffentliches Lokal.“