Hamburgs Bürgermeister sieht die Zukunft der Stadt im Osten. Auf einer Barkassenfahrt zeigt er die Potenziale Hamburgs vor Ort — und spricht über die Schwerpunkte seiner Regierungspolitik.

„Das ist doch toll!“ Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz steht nicht im Verdacht, vor Emotionen überzuschäumen. Doch hier auf dem Wasser des Hammerbrooker Mittelkanals zeigt der 56-Jährige echte Begeisterung. Sein Blick schweift über das grüne Ufer mit seinen weiten Flächen, die so gar nicht in eine Großstadt passen mögen, allerdings schon bald zu einer werden könnten.

Hamburgs Osten ist vom Wasser aus betrachtet abwechslungsreich, grün, faszinierend, kurzum ganz anders, als ein Pendler beim Blick durch die Windschutzscheibe vermuten könnte. Während sich an den Straßen gesichtslose Gewerbebauten aneinanderreihen, wandelt sich das Bild am Wasser radikal. Viele Kleingärten reichen bis an die Kanäle, in denen Hausboote dümpeln. Zwischen dem Grün zugewachsener Ufer tauchen immer wieder ältere Gewerbebauten auf, die noch vor dem Krieg errichtet wurden. Ein altes Klinkergebäude liegt so idyllisch am Fluss, dass man hier gleich einen Biergarten, ein Kino und Büros einrichten möchte. Ein Gedankenspiel, bei dem der Realpolitiker Scholz nicht mitspielen mag: „In der Firma war ich schon, wir wollen doch kein Gewerbe vertreiben.“

Scholz ist ein bodenständiger Visionär. Hier im Osten, nur eineinhalb Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, hat der Bürgermeister die Zukunft der Hansestadt ausgemacht. Hier liegen die Flächen, auf denen Tausende neuer Wohnungen entstehen sollen. Hier gibt es Räume für wachsende Unternehmen. Hier schlummern Erholungsflächen. Und hier soll Hammerbrook wieder das werden, was es bis zu den verheerenden Bombennächten 1943 war – ein lebenswerter Stadtteil.

„Die Stadtentwicklung gleicht in Hamburg auflaufendem Wasser“, sagt Scholz auf der Barkassenfahrt mit dem Abendblatt. „Sie bewegt sich die Elbe hinauf, erst entlang der HafenCity und nun weiter gen Osten.“ Die Gewässer – Elbe, Alster, Bille – sind das große Thema des Bürgermeisters, der in seine zweite Amtszeit drängt. „Wer Hamburg verstehen will, muss die Stadt vom Wasser aus betrachten.“ Für diesen Blick legt sich Scholz auch in seiner Freizeit ins Zeug: Seit einigen Jahren rudert der 56-Jährige auf der Alster und den östlich gelegenen Kanälen. Zuletzt wagte er sich mit seinem Trainer auch auf die Elbe. „Im Ruderboot hat sich mein Blick auf die Stadt verändert.“

Einiges spricht dafür: Diese Perspektive verändert auch seine Politik.

Es ist nicht die erste Bürgermeisterreise mit dem Abendblatt. Im Mai 2012 zeigte Scholz an verschiedenen Orten der Stadt, wohin die Reise Hamburgs gehen soll. Damals rückte er die Schwerpunkte der Senatspolitik – Bildung, Betreuung, Integration – in den Mittelpunkt. Nun steht die Stadtentwicklung im Osten im Mittelpunkt der Tour.

Wohnungsbau

Seit Altkanzler Helmut Schmidt Visionären in einem flapsigen Interview einst den Besuch eines Arztes empfohlen hat, sprechen Sozialdemokraten nur eher verhalten von Visionen. Aber 20.000 Wohnungen sollen es schon sein, deren Bau Olaf Scholz in dem Areal, das in etwa vom Hauptbahnhof bis nach Mümmelmannsberg reicht, verspricht. Es klingt fast ein wenig trotzig, wenn der Senatschef sagt, er wolle „nie wieder mit dem Bau von Wohnungen aufhören“ und hinzufügt: „6000 neue Wohnungen sind die Untergrenze. 2013 und 2014 lagen wir drüber. Aber so muss es weitergehen, wir müssen 15 Jahre etwas tun.“ 1,74 Millionen Einwohner zählt Hamburg heute. Scholz kennt die Statistiken und die Entwicklungen der vergangenen Jahre. Während ländliche Gebiete immer mehr ausdünnen, zieht es junge, ausgebildete Menschen in die Metropolen. Hamburg ist ein Magnet, und der Bürgermeister ist sich sicher: „Wir werden eines Tages zwei Millionen Einwohner haben.“

Als die Barkasse „Hansa“ in das Billebecken einbiegt, gehen die Augen von Olaf Scholz weiter auf. Am Ufer wechseln sich Wohnbebauung und Gewerbeflächen ab. Der Bürgermeister schwärmt schon von den Wohngebäuden, die hier vorrangig entstehen werden. In guter Qualität und ausgesuchter Wasserlage. Und in einem Mix von hochpreisigen Eigentumswohnungen und Sozialwohnungen.

„In Hamburg leben viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit normalem Einkommen“, sagt Scholz. Ganz Sozialdemokrat ist er davon überzeugt, dass ein Nebeneinander von Gutverdienern und weniger Wohlhabenden das gesellschaftliche Klima positiv beeinflusst. Genauso überzeugt ist der in Rahlstedt aufgewachsene Politiker, dass Familien und Kinderlose in einem Viertel gut zusammenpassen. Jede dritte der rund 6000 Wohnungen, die in Hamburg gebaut werden soll, ist eine Sozialwohnung. Hamburg gilt inzwischen bundesweit als Vorreiter, was die Bekämpfung von Wohnungsnot in Ballungsgebieten angeht. Scholz und seine für das Wohnungsbauprogramm zuständige Bausenatorin Jutta Blankau genießen in Berlin einen guten Ruf, sagen selbst Kritiker.

Es wird in Hamburgs Osten die Herausforderung werden, die Stadtteile aufzuwerten, ohne das Wohnen für Durchschnittsverdiener unbezahlbar zu machen. Viele in der Opposition zweifeln am Erfolg dieser Mission. Ohne den Staat wird es nicht gehen. 100 Millionen Euro zahlt die Stadt jedes Jahr für den Bau von Sozialwohnungen. Ohne privates Kapital geht es ebenso wenig. „Wir werden bei der Gestaltung der Zentren von Billstedt, Horn und Mümmelmannsberg auch auf private Investoren angewiesen sein“, sagt der Bürgermeister. Staatliche Förderung soll in erster Linie in Bildungs- und Kultureinrichtungen und in eine bessere Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr fließen.

Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe

Es geht dem Sozialdemokraten dabei nicht nur um den Bau von Wohnungen. In Hamburgs Osten mit seinen derzeit rund 800 Unternehmen soll auch das Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe wieder belebt werden. Der Ansatz ist unter internationalen Städteforschern anerkannt. „Die stadtplanerische Idee von der funktionsgetrennten Stadt haben wir aufgegeben“, sagt Scholz. Abgesehen davon, dass die Trennung von Wohn- und Gewerbegebieten nur viel innerstädtischen Verkehr erzeugt, lässt die technische Entwicklung inzwischen zu, dass Betriebe unweit von Wohngebieten produzieren können. Um entsprechende Gesetze auf Bundesebene ändern zu können, sucht Scholz Bündnispartner in anderen Bundesländern. Auch in Hamburg wird noch viel Überzeugungsarbeit nötig sein – das Murren der Handelskammer und der betroffenen Firmen ist unüberhörbar. Sie fürchten Klagen der neuen Nachbarn wegen Lärm, Verkehr und Schadstoffemissionen.

Auf die Frage, ob er mit Widerstand aus der Wirtschaftsbehörde rechne, zeigt Scholz das Lächeln desjenigen, der die Macht besitzt, im Zweifel Entscheidungen durchzudrücken. Seine Antwort ist hingegen diplomatisch: „Wir ziehen alle an einem Strang und haben beispielsweise die Entwicklung des Billebogens der HafenCity GmbH übertragen.“ Die Verantwortlichen hätten gezeigt, dass sie einen Stadtteil entwickeln könnten.

Neuland will Hamburg auf dem Gelände des ehemaligen Huckepack-Bahnhofs in Rothenburgsort betreten. Scholz spricht von der „Speicherstadt des 21. Jahrhunderts“, was bedeutet, dass bis zu sechsgeschossige Gewerbebauten errichtet werden, in denen unterschiedliche Gewerke unterkommen. Aber nicht nur das: „Wir wollen die Gebäude so konzipieren, dass ihre Räumlichkeiten heute als Werkstatt und in zehn Jahren möglicherweise von einem Industriebetrieb genutzt werden können.“

Von „Grenzen des Wachstums“ will Scholz – bislang – nichts hören. Kritik an einer „Tonnenideologie“, an der Zubetonierung der Stadt findet er abwegig und verweist auf die vergleichsweise dünne Besiedelung der Hansestadt. Von 100.000 Wohnungen innerhalb von zehn Jahren spricht er und davon, dass die Zwei-Millionen-Metropole nicht sein politisches Ziel sei, sondern „dass es passieren wird“.

Dass Kritiker inzwischen die Qualität der rasch hochgezogenen Neubauwohnungen bemängeln, nimmt er zur Kenntnis. Auch dass Wohnungsbaugesellschaften vermehrt über zu hohe Preise für öffentliche Grundstücke klagen, ist ihm nicht verborgen geblieben. „Die Preise müssen Wohnungsbau ermöglichen“, sagt Scholz zurückhaltend, wohl wissend, dass der Landesrechnungshof sofort aufmerken würde, würden staatliche Grundstücke verscherbelt. Das Zauberwort, auch hier in Hamburgs Osten, heißt „Konzeptausschreibung“. Dabei erhält nicht der Bauträger den Zuschlag, der das meiste Geld für ein Grundstück bietet, sondern derjenige, dessen Konzept am besten in die Stadt passt. Scholz will die Fehler der 60er-Jahre, als auf der grünen Wiese Hunderte Sozialwohnungen hochgezogen wurden, nicht wiederholen. „Das passiert uns nicht.“

Über eines aber wird mit diesem Bürgermeister nicht zu reden sein: über die Vertreibung von Kleingärtnern. Während die Barkasse den Bullenhuser Kanal entlangfährt, an dessen Ufer verwunschene Gärten zu sehen sind, zeigt Scholz wiederholt auf die Gartenkolonie Billerhude. „Die Kleingärten werden bleiben. Das garantiere ich.“ In diesem Moment ist der Bürgermeister im Wahlkampfmodus. Die Hamburger SPD ist stets die Partei der Kleingärtner gewesen.

Verkehr

Eher dickköpfig ist der Bürgermeister in der Verkehrspolitik – obwohl die Kritik hier Tag für Tag wächst. Das Busbeschleunigungsprogramm – immerhin 259 Millionen Euro schwer – treibt Anwohner auf die Barrikaden, in Winterhude und auf der Uhlenhorst sammeln wütende Bürger schon Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Denn die Verbesserungen für Busfahrer gehen zu Lasten der Autofahrer – Fahrspuren und Parkplätze fallen weg, die Bauarbeiten sorgen für zusätzlichen Unmut. Scholz hält an der Busbeschleunigung fest, auch weil er eine Stadtbahn weiterhin vehement ablehnt. „Sie kommt nicht, sie wird nie was werden.“ Der Grund ist für Scholz einfach: Es fehlt an Platz. So würde eine Trasse in der Stadt 100 bis 200 Kilometer Fahrbahn beanspruchen.

Eine Politik gegen das Auto lehnt Scholz ab. „Wir haben über 700.000 Autos in der Stadt und 300.000 Einpendler. Es geht also darum, den Straßenraum so zu gestalten, dass er von allen genutzt werden kann.“ Autofahrer gegen Radler, Busnutzer gegen Fußgänger – in diesen Kategorien denkt der Bürgermeister nicht. „Viele haben ein Auto und fahren Rad oder nutzen den Nahverkehr – so wie sie es gut finden. Ich möchte ihnen nicht vorschreiben, was sie tun sollen.“

Zugleich gilt für Scholz: Wer das Fahrradfahren attraktiver macht, erhöht die Kapazität der Straßen. Er sei schon immer für die Förderung des Radverkehrs gewesen, betont er. Dabei war ihm diese in seiner Regierungserklärung nur einen Halbsatz wert. Ein Widerspruch? „Ich mag keine halbgaren Pläne, sondern fertige Konzepte“, sagt Scholz. Als erfahrener Politiker verfügt er über ein Sensorium für den Wandel in der Bevölkerung; während früher Fahrradförderung eher ein Hobby von Liegeradfetischisten war, ist Radeln heute eine Massenbewegung. Im Mai 2013 sind alle Bezirksamtsleiter zum Anschauungsunterricht in die Radstadt Kopenhagen gereist – sie seien „begeistert zurückgekommen“, erzählt Scholz. Bis Hamburg mit seinem Radverkehrsanteil von heute 13 Prozent zu Kopenhagen aufschließt, dürfte es indes noch dauern: Die Dänen fahren 40 Prozent der Wege mit dem Rad. Aber das Ziel ist klar: Von Skandinavien will der SPD-Senat lernen. Scholz betont oft und gern, Hamburg sei die skandinavischste Stadt Deutschlands.

Stadtentwicklung ist ohne Verkehrsplanung undenkbar. Das war in der Hansestadt nicht immer so. Die Bewohner der Großsiedlungen am Osdorfer Born oder in Steilshoop warten noch heute auf den Anschluss an das öffentliche U-Bahn-Netz. Im Jahr 1973 hatten die Sozialdemokraten in bunten Broschüren den Bau der U4 für Ottensen und Lurup schon „in zwei Jahren“ versprochen. „Die neue Schnellbahn bietet mehr als 150.000 Hamburgern in dicht besiedelten Stadtteilen und Neubaugebieten eine bessere Verbindung zur City“, hieß es seinerzeit. Als wegen der Ölkrise die öffentlichen Einnahmen einbrachen, verschwanden die fertigen Pläne in den Schubladen der Baubehörde. Bis heute leiden die Bewohner von Lurup oder Steilshoop unter dieser Entscheidung. Unter Stadtentwicklern ist längst klar: Wirtschaftlich gesunde Stadtteile benötigen eine einfache und schnelle Verkehrsanbindung an die Innenstadt. Am besten schienengebunden. Buslinien reichen da nicht aus.

Nach 40 Jahren könnte nun wieder Bewegung in die Sache kommen. Hochbahn-Chef Günther Elste und Verkehrssenator Frank Horch stellten kürzlich ihre Planungen für eine U5 von Bramfeld/Steilshoop über Winterhude zum Hauptbahnhof und weiter in Richtung Westen nach Lurup und zu den Arenen vor. Bislang gibt es aber nur die Idee. Ihre Umsetzung dürfte bis in die 2030er-Jahre dauern. Die Opposition spricht von einer Wahlkampf-Show; Scholz bevorzugt die Formulierung von der „langfristigen“ Planung. „Wer den Bau einer U-Bahn innerhalb einer Wahlperiode zusagt, sagt nicht die Wahrheit“, betont er. „Ich habe entschieden, die U4 bis zu den Elbbrücken weiterzubauen und sie an die S-Bahn anzuschließen.“ Dieser Übergang, dessen ist Scholz sich sicher, ist von geradezu existenzieller Bedeutung für die HafenCity. „Wer aus Hamburgs Süden kommt oder von der HafenCity aus dort hin will, der muss keinen Umweg über die Innenstadt nehmen.“ Die Verlängerung zu den Elbbrücken sei 2011 beschlossen worden; 2018 sei sie fertig. Auch Rothenburgsort wird von der Station an den Elbbrücken erheblich profitieren. „Zumal wir durch Brücken sicherstellen wollen, dass man am Elbufer durchgehend zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sein kann.“

Die Barkasse „Hansa“ unterquert derweil die alten Elbbrücken, und Scholz zeigt auf die Fläche zwischen der Autobahn und der Eisenbahntrasse. Drei Hochhäuser kann er sich hier vorstellen – ein Tor zu Hamburg.

Olympia

Das Tor zur Welt sollen Olympische Spiele in Hamburg aufstoßen. Nein, wetten will er nicht, dass die Spiele im kommenden Jahrzehnt in der Hansestadt bejubelt werden. Aber überzeugt ist er sehr wohl von der Hamburger Bewerbung. „Wir haben ein gutes Konzept. Das sind die kompaktesten, bescheidensten, bürgernahsten Spiele der Geschichte.“

Währenddessen blickt er von der Barkasse auf den Kleinen Grasbrook, der noch nicht viel mit den bunten Animationen der Behörde gemein hat. Doch zwei Dinge werden deutlich: Hamburg hat Raum für Olympia – und es wären Spiele im Herzen der Stadt.

Der Kleine Grasbrook klingt nach großer Entfernung, er ist nur einen Steinwurf entfernt. Wo eben noch die HafenCity vorbeizog, folgt schon bald das Areal, auf dem 2024 oder 2028 die Stadien und das Olympische Dorf in die Höhe wachsen sollen. „Natürlich kostet das viel Geld“, sagt Scholz. „Aber es ist Geld, das der Stadtentwicklung einen Schub verleihen würde – nach Süden wie nach Osten. Und es würde die Stadt international bekannter machen, so wie es 1972 bei München war.“

Olympia ist ein Thema, bei dem Scholz Feuer gefangen hat. Seine Antworten werden fließender, die Begeisterung schwingt mit. „Hamburg ist sehr bekannt, aber nicht so bekannt, wie die Hamburger es gerne hätten“, sagt er. Olympische Spiele würden deshalb beileibe nicht nur den Sport und Tourismus fördern, sondern die Stadt insgesamt, auch in Wirtschaft und Kultur. „Olympia hat große Nutzen für uns alle.“ Er ist im Thema: Das Zentrum der Olympischen Spiele – mit Olympiastadion, Olympiahalle und -schwimmhalle – würde zusammen mit dem Olympischen Dorf auf dem Kleinen Grasbrook mitten im Hafen liegen und einen neuen Stadtteil begründen. Dieser soll nach den Spielen als Scharnier die Stadtmitte Hamburgs im Norden, die Elbinsel Wilhelmsburg im Süden und dem Hamburger Osten verbinden. Von dieser unscheinbaren Insel sollen die Spiele der kurzen Wege möglich sein – sämtliche Austragungsstätten wären in weniger als 30 Minuten erreichbar. „Das macht die Qualität dieser Bewerbung aus.“

Die Skepsis mancher Hamburger teilt der Bürgermeister nicht. „Auf Risiken zu achten ist klug, man sollte sich von ihnen aber nicht übermannen lassen.“ Der Hafenwirtschaft, die mit unüberhörbarem Grummeln auf die Pläne reagiert hat, verspricht Scholz: „Hier können alle sicher sein, dass es keine Beeinträchtigungen gibt“. Vielmehr könnten nötige Betriebsverlagerungen Anlass sein, den Hafen fortzuentwickeln.

„Olympia kann damit einen zusätzlichen Schub für die Modernisierung des Hafens und für eine höhere Flächeneffizienz geben.“ Die mit einer Olympia-Bewerbung verbundenen Investitionen in die Infrastruktur – in Straßen, Fuß- und Fahrradwege, S- und U- Bahnen, in den Wohnungsbau und in die Sport- und Freizeitanlagen – würden langfristig die Lebens- und Freizeitqualität bereichern.

Elbvertiefung

Allerdings sind die Hamburger Olympia-Pläne gegenwärtig ein Nebenkriegsschauplatz für den Hafen. Zwar steigt der Containerumschlag, aber die Frachtraten sind über Jahre gefallen, die Sorgen um die Weltkonjunktur wachsen. Zu allem Überfluss hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 2. Oktober eine weitere Vertiefung der Elbe-Fahrrinne ausgesetzt. Nun muss das Europäische Verwaltungsgericht in Luxemburg entscheiden. Damit muss die Hafenwirtschaft weitere lange Monate warten, die Konkurrenz triumphiert..

In der Bürgerschaft sprach Scholz ungewohnt pathetisch von einer „schicksalshaften Entscheidung für ganz Europa.“ Auf der Barkasse ringt er um die richtigen Worte und versucht sich in Diplomatie. Aber man sieht ihm an, wie sehr das Urteil ihn verärgert. „Europa ist eine gewachsene Kulturlandschaft. Die Idee, diesen Lebens- und Wirtschaftsraum überhaupt nicht mehr zu verändern, ist absurd“, sagt Scholz. „Folgt man diesem Anspruch, ist die Lüneburger Heide auch nicht mit EU-Recht vereinbar.“ Schließlich sei die Heidelandschaft einst durch Kahlschlag entstanden. Der Bürgermeister sieht Europa in der Pflicht. Von seinen Gesetzgebern erwartet er mehr Klarheit - und mehr Realismus. Und er stellt die Frage, ob solche Angelegenheiten überhaupt gerichtlich zu klären seien. „Die Flüsse sind die Lebensadern Europas“, sagt Scholz. „Das Schicksal vieler Millionen Menschen wird von der Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie durch den Europäischen Gerichtshof abhängen.“ Und nicht etwa von Parlamentariern, die in freien Wahlen gewählt wurden.

Scholz ärgert vor allem, dass Umweltverbände in Hamburg etwas stoppen, was in Rotterdam möglich ist. „Es gibt Leute, die sagen: Rotterdam hätte die ganze Küste bis Stade weggebaggert“, sagt der Sozialdemokrat, und seine Stimme klingt sarkastisch. Sind die Hamburger Umweltverbände BUND und Nabu kompromissloser? Scholz antwortet zunächst nur mit einem Wort: „Tja.“ Und dann: „Das ist ein Unterschied.“ Der Frage, ob der Donnerstag im Oktober der bisher bitterste seiner Amtszeit war, weicht der Hafen-Bürgermeister aus. Wer ihn kennt, weiß, das es so war.

Bis zuletzt hatten Politik und Wirtschaft aufgrund des Verlaufs der Verfahrens auf ein grünes Licht aus Leipzig gehofft und insgeheim auch damit gerechnet. „An der Notwendigkeit der Elbvertiefung hat das Gericht erkennbar keinen Zweifel. In seinem Beschluss verlangt es nur wenige Ergänzungen und hat erklärt, dass etwa 100 Seiten der 6600 Seiten umfassenden Unterlagen betroffen seien. Und es geht davon aus, dass die zusätzlichen Auflagen erfüllbar sind. Die Elbvertiefung wird kommen“, sagt Scholz. Die Planungsbehörden hätten einen guten Job gemacht. Doch das Warten geht weiter. 2001 hatten die Planungen zur Vertiefung der Elbe begonnen. Nun dürfte es bis 2017 dauern - wenn sie überhaupt jemals kommt. Dringender denn je benötigt Hamburg einen Plan B.