Das Abendblatt skizziert die Spitzenkandidaten der Bürgerschaftswahl. Im ersten Teil wird Herausforderer Dietrich Wersich (CDU) porträtiert, der einst mit seiner Mutter gegen Atomkraft demonstrierte und als Arzt arbeitete.

Dietrich Wersich steht im Nebel. Der historische Schwimmkran „Saatsee“ aus dem Jahre 1917 ist noch zu erkennen, dahinter verschwindet die Landschaft. Jenseits dieser milchfarbenen Wand liegen die Zukunftsorte, die uns der Spitzenkandidat der CDU eigentlich zeigen wollte. Im Nordwesten wächst die Elbphilharmonie, Stein und Glas gewordene Vision des früheren CDU-Senats; im Osten dämmert mit dem Kleinen Grasbrook ein weiteres Chancenland. Dort, wo jetzt noch der Hafen regiert, sollen 2024 oder 2028 Olympische Sommerspiele die Jugend der Welt nach Hamburg locken. Der Nebel verhängt das große Foto. Stattdessen muss Wersich das Unsichtbare vor dem inneren Auge des Zuhörers entstehen lassen.

Es gelingt ihm gut, besser als man es aus seiner Amtszeit als Sozialsenator von 2008 bis 2011 erinnert. „Da drüben ist Olympia“, sagt Wersich und weist in den Nebel. Der 50-Jährige ist Feuer und Flamme für Olympia und wirbt um die Zustimmung aller Bürger. „Ja, ich verstehe die Skepsis der Älteren“, räumt er ein. Man müsse hier aber an die Zukunft denken. „Wir haben eine wunderschöne Stadt geerbt, daraus erwächst die Verpflichtung, eine attraktive Stadt weiterzugeben.“ Olympische Spiele seien ein Jungbrunnen, eine „Jahrhundertchance“.

Er unterstützt das Konzept des Senates für die Bewerbung, verweist aber auf die Urheber: „Die Pläne fußen auf unseren Ideen von 2003 und 2006.“ Er habe der regierenden SPD ein ‚Bündnis für Olympia‘ angeboten, das bislang leider „unbeantwortet“ geblieben sei. „Mit Sommerspielen können wir wichtige städtebauliche Projekte schneller verwirklichen“, klärt er auf. „Viele würden davon profitieren.“ Nicht nur der Tourismus und die Infrastruktur, sondern die Wirtschaft insgesamt - und auch die Kultur. Es ist letztlich die Kultur, deretwegen wir hier zusammen auf dem Kleinen Grasbrook stehen.

An der Australiastraße liegt ein vergessenes Kleinod: das Hafenmuseum, das die Geschichte des drittgrößten Hafens Europas in dem 50er-Schuppen konserviert. Im laufenden Jahr kamen rund 22.000 Besucher in diese „Kathedralen der Arbeit“ mit ihrer dreischiffigen Holzkonstruktion mit erhöhtem Mittelschiff. Wersich will die Außenstelle des Museums der Arbeit politisch in eine andere Dimension schieben. „Große Ideen benötigen Mittel. Die wachsende Stadt braucht wachsende Kultur“, so der gebürtige Lokstedter. „Dieses Museum soll das deutsche Hafenmuseum mit nationaler Bedeutung werden“.

Ihm schweben Besuchergrößen von 500.000 bis eine Million Menschen vor, er sieht die Schuppen in einer Analogie mit der Zeche Zollverein in Essen oder der Völklinger Hütte. „Hafen und Handel haben Hamburg geprägt - hier lässt sich die Vergangenheit und Gegenwart der Arbeit im Hafen erlebbar machen.“ Die Vitrinen in dem mehr als 100 Jahre alten Schuppen erzählen schon davon; eine riesige Uhr, Kranwaagen oder die Lotsenstube erinnern an längst verronnene Zeiten. Wersich will, würde er am 15. Februar 2015 zum Bürgermeister gewählt, Impulsgeber sein und die Stadt insgesamt 60 Millionen Euro investieren lassen. Die andere Hälfte soll der Bund beisteuern.

Ein CDU-Spitzenkandidat, der auf seiner Tour durch die Stadt eine Schnittstelle von Kultur und Wirtschaft ansteuert, mag nur den überraschen, der Wersich nicht kennt. Der 50-Jährige hat schon drei Berufsleben hinter sich: Zehn Jahre arbeitete der studierte Mediziner als Arzt, parallel war er Geschäftsführer des Altonaer Theaters und später auch der Hamburger Kammerspiele. Erst 2004 wechselte er hauptamtlich in die Politik, 2004 als Staatsrat, 2008 dann als Präses der Sozialbehörde. Nach dem schwarz-grünen Knall durfte er noch einige Monate Zweiter Bürgermeister sein.

Es ist Dietrich Wersichs persönliches Pech wie das seiner Partei, dass nicht er Ole von Beust beerben sollte, sondern der damalige Innensenator Christoph Ahlhaus. Eine Fehlentscheidung mit Folgen: Bei der vergangenen Bürgerschaftswahl gewann Scholz 48,4 Prozent, die Ahlhaus-Union bekam mit 21,9 Prozent nicht einmal die Hälfte davon. Seit vier Jahren muss Wersich die Trümmer zusammenfegen. In der jüngsten Abendblatt-Umfrage konnte er den Abstand zu Scholz von 26,5 Prozent auf 18 Prozent verkürzen. Damit bleibt er ein Außenseiter aufs Amt. Doch Wersich gibt sich kampfeslustig – zumal der amtierende Bürgermeister am 2.Oktober die wohl größte Niederlage seiner Amtszeit einstecken musste. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hielt die notwendige Fahrrinnenanpassung der Elbe weiter auf.

Der Hafen

Auch der Hafen liegt an diesem Vormittag in dichten Nebel gehüllt. „Es gibt keinen Plan B zur Elbvertiefung“, sagt Wersich und weiß sich dabei mit Scholz einig. „Wir müssen alles tun, damit Hamburgs Hafen ein starker Hafen bleibt. Er ist für die Stadt ein entscheidender Ort der Wertschöpfung“, sagt er und macht damit deutlich, dass bei ihm die (besonderen) Interessen dieses Wirtschaftszweiges Gehör finden. Allerdings glaubt der Unionspolitiker, dass „allein Rekorde beim Containerumschlag die Zukunft des Hafens nicht sichern werden“. Weltweit zeige sich, dass allein das Umschlagen von Containern oder Stückgut nicht mehr ausreiche. „Wir benötigen eine Reindustrialisierung des Hafens“, sagt er. Neben dem Ent- und Beladen von Schiffen müssten auf dem Gelände Produktionsstätten angesiedelt werden.

Das dafür am besten geeignete Instrument sei ein Hafenentwicklungsplan. Das zuletzt 2012 von den Sozialdemokraten beschlossene Papier sei längst überholt, sagt Wersich. Er will als Bürgermeister schon im Frühjahr das Gespräch mit der Hafenwirtschaft suchen, um einen neuen Plan aufzustellen. Wersich schwebt vor, „die gesamte Leistungspalette des Universalhafens“ zu stärken. Der geplante Central-Terminal- Steinwerder biete hierzu eine große Chance.

„Hamburg ist für viele bayerische und baden-württembergische Unternehmen das Tor zur Welt“, sagt der Unionspolitiker. Häufig würden aber große technische Anlagen nicht mehr als Ganzes durch das Land transportiert werden können. Die Windenergiebranche sei ein Beispiel dafür. „Daher sehe ich in der Endmontage im Hamburger Hafen eine Möglichkeit, die Wertschöpfung zu erhöhen.“ Wersich nennt das „Industrie an der Kaikante“, die der Hansestadt einen enormen strategischen Vorteil beschere.

Den seinerzeit von CDU-Bürgermeister Ole von Beust betriebenen und vollzogenen Ausstieg Hamburgs aus dem Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven verteidigt Wersich. „Es geht doch nicht darum, dass Hamburg sich finanziell an anderen norddeutschen Häfen beteiligt.“ Ein gewisses Maß an Konkurrenz sei unverzichtbar. „Notwendig ist dagegen eine gemeinsame weltweite Vermarktung.“ Natürlich mit Hamburg als dem zentralen Anlaufpunkt im nördlichen Mitteleuropa.

Hierin und in der Umsetzung großer Infrastrukturprojekte sieht der CDU-Politiker Möglichkeiten für Kooperation der fünf norddeutschen Bundesländer, wohl wissend, wie peinlich genau jedes Bundesland darauf achtet, nicht über den Tisch gezogen zu werden. Deshalb betont Wersich im Gespräch die Strahlkraft des Hamburger Hafens für den Norden. Der größte Teil der in der Hansestadt angelandeten Waren werde in der Metropolregion verarbeitet. Das sichere über die Grenzen der Stadt hinaus hochqualifizierten Arbeitskräften Jobs und Einkommen.

Hinzu komme, dass Hamburg als „exzellenter Eisenbahnhafen“ gelte. Die Schienenanbindung an das „Hinterland“ sei europaweit einzigartig. „Hier muss Hamburg dafür sorgen, dass die Verbindungen leistungsfähig bleiben.“ Womit wir beim Geld sind. Was die Investitionen in die Infrastruktur angehe, wirft Wersich den regierenden Sozialdemokraten vor, dass sie bislang kein zusätzliches Geld dafür zur Verfügung gestellt hätten. „Bislang kommt das Geld aus der HHLA-Milliarde.“

Der CDU-geführte Senat hatte 2008 die HHLA für rund eine Milliarde Euro an die Börse gebracht. Bis 2014 flossen aus dem Verkaufserlös rund 100 Millionen Euro der Hamburg Port Authority (HPA) zu. Vom kommenden Jahr an, so die Pläne der SPD, sollen die Investitionen der HPA über den Haushalt der Hansestadt finanziert und der Wirtschaftsbehörde zugeordnet werden. Vorgesehen sind bislang rund 72 Millionen Euro - also fast ein Drittel weniger als zuletzt.

Wersich will das leidige Thema Finanzierung aus der Welt schaffen. Pro Jahr 150 Millionen Euro würde er für die Hafeninfrastruktur zur Verfügung stellen, verspricht er, ganz Wahlkämpfer. Das Geld soll allerdings nicht allein in „Betongold“ fließen. Um die Luftqualität zu verbessern und die Umwelt zu schützen, schlägt der Christdemokrat vor, alle Schiffe der stadteigenen Unternehmen „auf Gasantrieb, moderne Filter und Katalysatoren umzurüsten“. Und dann sagt er doch einen Satz, der viele in Hamburg aufhorchen lassen dürfte: „Der Hafen allein wird nicht reichen, um unseren Wohlstand im 21. Jahrhundert zu sichern.“

Wissenschaft

Auch deshalb drängt Wersich zum Aufbruch. Das Ziel ist die Universität, vor uns das Audimax, hinter uns die Universitätsbibliothek. Bauten, die die besten Jahre lange hinter sich haben und von einer Epoche künden, in der der Optimismus groß war und das Gespür für Ästhetik gering. Nun gärt es mal wieder an der Universität. Ein großes Plakat am Audimax kündet davon.

Jetzt, im Dezember, haben die Studenten Wochen des Widerstands ausgerufen. Dietrich Wersich und seine CDU haben den Bereich Wissenschaft als eine Achillesferse des SPD-Senats ausgemacht. „Für eine Stadt des Wissens reicht eine tolle Lebensqualität nicht aus. Da muss man mehr investieren.“ Jährliche Etatzuwächse für Hochschulen in Höhe von 0,88 Prozent seien in Wahrheit eine Kürzung, die Grundfinanzierung nennt er einen „politischen Skandal“.

Die Kürzungen einen Studenten und Dozenten im Protest. Allein für die Sanierung der in die Jahre gekommenen Universitätsgebäude seien 1,4 Milliarden Euro notwendig, sagt Oppositionschef Wersich. Was er nicht erwähnt: Die von der Union eingeführten Studiengebühren fehlen an allen Ecken und Enden. Immerhin jährlich rund 40 Millionen Euro hatten diese eingebracht, ehe die SPD sie zum 1. Oktober 2012 beerdigte. Wersich will die Gebühr zwar nicht wieder einführen, aber durch Umschichtungen im Haushalt den Wissensstandort Hamburg stärken. „Die Zweckentfremdung der freigewordenen BAföG-Mittel durch den SPD-Senat zur Haushaltskonsolidierung ist politischer Betrug. Dies verschärft den Rückstand Hamburgs gegenüber anderen Hochschulstandorten. Wir wollen in der kommenden Legislaturperiode zusätzlich 150 Millionen Euro investieren“, verspricht der CDU-Politiker. Um den Verfall der Universitätsinfrastruktur zu stoppen, schlägt Wersich eine Sanierungsoffensive vor. 1,2 Milliarden Euro innerhalb der kommenden zehn Jahre sollen aufgebracht werden, damit Labore und Bibliotheken auf dem neuesten Stand sind, Fahrstühle fahren und es nicht durch die Fenster zieht.

Wersich setzt – und damit knüpft er an vergangene CDU-Zeiten in Hamburg an – auf die Gründermentalität von Wissenschaftlern und Studierenden. „Wir benötigen Schnittstellen zwischen Hochschulen und Wirtschaft, damit wissenschaftliche Erkenntnisse rascher zu einem marktreifen Produkt werden.“ Die Freiheit der Forschung will der Politiker, wohl wissend um die Sensibilität der Wissenschaftler, nicht antasten. „Grundlagenforschung ist unverzichtbar. Auf ihrer Basis entstehen erst die Produktideen.“

Aber wenn Wissenschaftler eine Ausgründung umsetzen wollten, dann müsse die Stadt für ein unterstützendes Netzwerk sorgen. Die erneuerbaren Energien oder die Gesundheitswirtschaft seien Bereiche, in denen Wersich für Hamburg große Chancen sieht. „Die Frage ist ganz einfach“, sagt er: „Werden wir emissionsfreie Busse kaufen, wenn sie auf dem Markt sind, oder entwickeln wir sie selber?“ Er wünscht sich mehr „Ehrgeiz bei der Forschung“, in Hamburg „muss ein anderer Wind wehen“

Verkehrspolitik

Inzwischen ist die Verkehrspolitik in der Hansestadt zu einem der Top-Themen im heraufziehenden Wahlkampf geworden. Die CDU und die Stadtbahn, das ist eine lange Geschichte. Die alte, noch von Rot-Grün zwischen 1997 und 2001 ersonnene Trasse von Steilshoop nach Winterhude, stoppte Bürgermeister Ole von Beust kurz nach Einzug ins Rathaus. Unter Schwarz-Grün sollte dann eine Stadtbahn von Bramfeld über Winterhude nach Altona führen – doch nur wenige Tage nach dem Koalitionsbruch war es erneut ein CDU-Bürgermeister, dieses Mal Christoph Ahlhaus, der die Planungen stoppte. Nun in der Opposition fordert die Union wieder den Bau dieser modernen Straßenbahn, dieses Mal vom Rübenkamp über Deelböge weiter Richtung Hagenbecks Tierpark. Am Ende sollen nach Vorstellung der Union 17 Stadtbahnlinien mit einer Gesamtlänge von 93,4 Kilometern durch Hamburg gleiten.

Wersich ist ein Straßenbahn-Fan von Kindesbeinen an. Als Vierzehnjähriger habe er 1978 den Trauerzug begleitet, der gegen das Ende der Straßenbahn in Hamburg protestierte – nicht die einzige Demonstration des Johanneum- Schülers. Ende der Siebziger Jahre protestierte er in Brokdorf gemeinsam mit seiner Mutter gegen den Bau des Atomkraftwerks – 32 Jahre vor der Energiekehrtwende der Kanzlerin. „Ich war kein Systemveränderer, sondern kämpfte für die Bewahrung der Schöpfung.“ Heute will Wersich aber ein System verändern – das Bussystem. „Die SPD ist dem Irrglauben erlegen, dass der Verkehr mit Bussen zu bewältigen sei.“ In der Bürgerschaftsdebatte 1957 über die Zukunft der Straßenbahn seien viele Städte als Beispiel genannt worden, die sich von dem alten Zopf Straßenbahn getrennt hätten. „Alle diese beispielhaften Städte haben längst wieder eine Straßenbahn.“

Das Busbeschleunigungsprogramm lehnt Wersich radikal ab. Wir stehen an der Langen Reihe, und der Kandidat schüttelt den Kopf. „Schauen Sie: wenn hier der Bus steht, steht alles.“ In St. Georg wächst der Widerstand gegen Dauerbaustellen, den Abbau der Ampeln, Sprunginseln und Busse, die auf der Fahrbahn halten. „Der größte Zeitfresser ist der Fahrkartenverkauf im Bus. Aber wir verbuddeln 259 Millionen auf Hamburgs Straßen.“ Dafür habe kaum noch jemand Verständnis. „Es ist ein Ärgernis, dass für ein so kurzsichtiges Programm so viel Bürgerakzeptanz zerstört wird.“

Die steigenden Einwohnerzahlen und das wachsende Verkehrsaufkommen erforderten eine zukunftsfähige Mobilität. „Eine Stadtbahn kostet nur ein Viertel bis ein Zehntel einer neuen U-Bahn und ist schneller zu bauen“, zählt Wersich die Vorteile auf. Den Ausbau der U4, mindestens aber eine Stadtbahn bis nach Wilhelmsburg, Kirchdorf und Harburg bezeichnet er weiterhin als notwendig, um den „Sprung über die Elbe“ zu vollenden. Die jüngsten U-Bahn-Planungen des Senats hingegen hält er für Wahlkampfgetöse. „Die SPD hat schon 1970 U-Bahnen versprochen und dann nicht gebaut. Das sind Wiederholungstäter.“

Sicherheit

Wiederholungstäter, das meint Wersich, seien die Sozialdemokraten auch beim Thema Innere Sicherheit. 2001 lag hier der entscheidende Grund, warum die Hamburger nach 44 Jahren SPD den Wechsel wählten – in der Person des Populisten Ronald Barnabas Schill und seiner Partei Rechtsstaatliche Offensive. Verbrechen, die unübersehbare Verwahrlosung des Hauptbahnhofs und das weit verbreitete Gefühl der Unsicherheit kosteten Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) das Amt. Doch so recht zünden will das Thema 2014 noch nicht. „Hier ist etwas ins Rutschen geraten, das Viertel droht zu kippen“, sagt Wersich beim Bummel durch St. Georg.

Auf dem Hansaplatz beklagt er, „die Stadt werde unsicherer und dreckiger“, seitdem die SPD regiert. Wersich verweist auf Thies Hartmann von der IG Steindamm. Der beklagt, dass der Hansaplatz wieder zu „einem Treffpunkt für öffentliche Besäufnisse geworden sei“, der Straßenraum verwahrlose und die Prostitution nehme zu. „Der Staat muss die Hausordnung durchsetzen“, sagt Wersich. „In einer Millionenstadt muss es Regeln geben.“ Man dürfe nicht hinnehmen, dass wild campiert werde, der öffentliche Raum vermülle oder aggressiv gebettelt werde. „Sauberkeit macht Plätze erst attraktiv.“ Wersich nennt es einen schweren Fehler, den Bezirklichen Ordnungsdienst aufzulösen. „Hamburg muss wieder mehr tun für Sicherheit und Sauberkeit. Deshalb wollen wir mehr Polizisten ausbilden und wieder einen wirksamen Ordnungsdienst einführen.“

Zugleich setzt er sich von Hardlinern in der Partei ab. Früh hat er beispielsweise für einen toleranteren Umgang mit Drogenabhängigen plädiert. Nicht die Bestrafung, sondern die Ausstiegshilfe für die Betroffenen sollte im Mittelpunkt staatlichen Handelns stehen. Wersich macht unmissverständlich klar: Hamburg ist Heimat für viele Menschen aus aller Welt. „Und das ist gut so.“

Wohnungsbau

Beim Thema Wohnungsbau hat die Union einen schweren Stand. SPD-Bürgermeister Olaf Scholz machte das Thema in den vergangenen dreieinhalb Jahren zum Kernthema. Mit Erfolg. Im vergangenen Jahr erreichte der Senat, dass in Hamburg mehr als 6000 Wohnungen gebaut wurden. Auch in diesem Jahr wird das selbst gesteckte Ziel übertroffen werden. Zugleich hat Scholz die Entwicklung des Hamburger Ostens als nächstes Wohnungsbauprojekt bereits ausgegeben. Während wir durch die Hafencity fahren, weist Dietrich Wersich darauf hin, dass viele dieser Bauprojekte möglich wurden, weil ihre Planung bereits zu schwarz-grünen Zeiten startete. „Scholz profitiert von unserer Vorarbeit.“ Es sei die Union gewesen, die aus der HafenCity-Idee „einen realen Stadtteil“ gemacht habe. „Für den Bau von 35.000 Wohnungen wurden von uns die Voraussetzungen geschaffen.“

Den „Sprung über die Elbe“ hat der damalige Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) entwickelt und mit dem bürgerlichen Senat angeschoben. Die Internationale Gartenschau und die Internationale Bauausstellung hätte es ohne Union nicht gegeben, so Wersich. „Und wir sind uns doch alle darin einig, dass vor allem von der Bauausstellung entscheidende Impulse für die Stadtentwicklung ausgingen.“ Die Christdemokraten hätten mit ihrem Konzept von der „Wachsenden Stadt“ Hamburg aus dem Dornröschenschlaf geweckt, fügt der CDU-Spitzenkandidat selbstbewusst hinzu. Dabei ging es keineswegs nur um den Bau von Wohnungen. „Dass Hamburg heute auf junge, gut ausgebildete Arbeitskräfte so anziehend wirkt, hat auch mit den Konzepten aus jenen Jahren zu tun.“

Dietrich Wersich weiß um die Sensibilität des Themas Stadtentwicklung und der Sanierung von Stadtvierteln. Nicht ohne Hintergedanken spricht er daher von „Aufwertung ohne zu verdrängen“. Als die Union noch an der Macht war, wurden städtische Grundstücke vornehmlich nach dem Höchstpreisverfahren verkauft. Mit anderen Worten: der Investor, der am meisten zahlte, erhielt den Zuschlag. Gerade in beliebten, innenstadtnahen Quartieren führte das dazu, dass überwiegend teure Wohnungen errichtet wurden.

Die Aufwertung der Viertel wie St. Georg oder Ottensen vertrieb Haushalte mit unterem und mittleren Einkommen. Erst unter den Sozialdemokraten kamen Genossenschaften und der städtische Wohnungskonzern Saga GWG bei der Vergabe von Grundstücken wieder besser zum Zuge – auch wenn für sie selbst heute noch nicht alles im Lot ist.

Den Vorwurf, zu CDU-Zeiten habe die Saga keine oder nur wenige Sozialwohnungen bauen „dürfen“, weist Wersich zurück. „Damals stand die Sanierung der Wohnungen des Unternehmens im Vordergrund.“ Darin habe mit der Unternehmensleitung, die auch heute noch Verantwortung trage, kein Dissens bestanden. Im Übrigen seien viele jener Flächen, die heute bebaut würden, in jenen Jahren entwickelt worden. In dem Ziel, sozial durchmischte Stadtteile zu entwickeln, ist der CDU-Politiker sich mit dem SPD-Senat einig. „Das kann allerdings auch bedeuten, dass in einigen Stadtteilen hochpreisig gebaut werden muss.“ Als Vorbild nennt Dietrich Wersich Viertel in Wilhelmsburg. „Die IBA hat gezeigt, wie man in einem Quartier hochpreisige Wohnungen bauen kann, ohne dass die Mieten flächendeckend steigen und die angestammte Bevölkerung vertrieben wird.“

Bei der Fahrt durch die Stadt wird deutlich: Wersich ist mit sich und seiner Stadt im Reinen. Politisch liegen keine Welten zwischen dem Herausforderer oder dem Bürgermeister, eher unterschiedliche Positionen. Wersich grenzt sich ab, indem er sich als Politiker bewusst zurücknimmt. Wie gefällt ihm das Stadtbild? „Hamburg hat eine tolle Architektur. Jede Zeit hat ihr Gesicht. Mir gefällt nicht jedes Haus, aber ich sage nicht überall: Ich kann es besser.“ Was würden Sie denn anders gestalten? „Mein Ziel ist es, Kreativität und Ideen der Menschen freizusetzen. Ich bin nicht der bessere Oberbaudirektor, ich will keine Wersich-Bauten.“

Und dann fällt ein Satz, den Wersich gerne sagt: „Ich möchte ein Ermöglicher sein an der Spitze. Das Engagement der Bürger droht verloren zu gehen, wenn alles wie jetzt wieder im Rathaus bestimmt wird.“

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