Die Opposition nutzt die Untersuchung zum gewaltsamen Tod des dreijährigen Mädchens für Angriffe auf den Senat - und wird bald Rücktritte fordern. Offiziell sei der PUA jedoch kein Wahlkampfmittel.
Irgendwann musste Melanie Leonhard einsehen, dass sie keine Chance haben würde. Die SPD-Obfrau im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum gewaltsamen Tod der dreieinhalb Jahre alten Yagmur hatte vielen der Änderungs- und Ergänzungsanträge zugestimmt. Am Ende waren es 281. Dabei hätte sie mit ihrer Mehrheit im PUA missliebige Stellen etwa zu der politischen Verantwortung der SPD-Akteure einfach aus dem PUA-Bericht streichen können. Dass sie das nicht getan hat, überraschte sogar die Opposition.
Leonhard wollte einen Bericht über die Rolle der Politik und Verwaltung im Zusammenhang mit dem Tod Yagmurs vorlegen, der ohne Ergänzung bleibt. Zwar wird der PUA am kommenden Donnerstag einen Abschlussbericht verabschieden. Doch CDU, Grüne, FDP und Linke werden sogenannte Minderheitenvoten abgeben und diese dem etwa 500 Seiten langen Bericht anhängen.
Nun kommt nach gut neun Monaten die politische Aufarbeitung des tragischen Todes von Yagmur zum Abschluss, der erst kürzlich strafrechtlich zumindest vorerst ein Ende fand. Die Mutter ist zu lebenslanger Haft verurteilt worden, weil sie das Kind über Jahre misshandelt und schließlich getötet hatte. Der Vater muss für viereinhalb Jahre ins Gefängnis, weil er seine Tochter nicht schützte. Bei der Urteilsverkündung befand sogar der Richter, dass es vonseiten der Behörden „Versäumnisse und Fehlentscheidungen" gegeben habe und diverse „Unzulänglichkeiten zutage getreten" seien.
Diese Unzulänglichkeiten und Versäumnisse hat der PUA klar benannt: Niemand hatte einen Zusammenhang zwischen den lebensgefährlichen Verletzungen des Mädchens und der Mutter erkannt. Die Justiz leistete nur Dienst nach Vorschrift. In den Jugendämtern gab man sich leichtfertig mit einfachen Antworten zufrieden und gab das Kind in die Familie zurück – anstatt in die sichere Pflegefamilie. Auch ließ man die Eltern den Kita-Besuch beenden. Und als Yagmur die Kita noch regelmäßig, aber blutverschmiert besucht hatte, reagierte keine Erzieherin.
Für diese Versäumnisse soll es nach Ansicht der CDU nun personelle Konsequenzen geben. Zwar sagt der PUA-Vorsitzende André Trepoll (CDU), dass die Eltern schuldig seien. „Es gibt aber eine gesellschaftliche und politische Mitverantwortung.“ Deshalb liefen bei den Christdemokraten die Vorbereitungen in dieser Woche auf Hochtouren. Mindestens Andy Grote (SPD), Bezirksamtsleiter Hamburg-Mitte, wird sich in wenigen Tagen mit einer Rücktrittsforderung konfrontiert sehen. Der gemeinsame PUA-Bericht weist ihm eine politische Verantwortung zu. Nur wie die genau aussieht, darüber ist man bei Christ- und Sozialdemokraten unterschiedlicher Meinung.
Für die CDU liegen die Verfehlungen Grotes klar auf der Hand. Für sie hat sich im Lauf der 100 Stunden Untersuchungsarbeit, verteilt auf 20 Sitzungen, gezeigt, dass im Jugendamt Mitte personelle Überlastung herrschte, was zu Fehlern führt. „Die Zusammenhänge zwischen individuellen Fehlern und den Rahmenbedingungen hat die SPD stets bestritten“, sagt CDU-Obmann Christoph de Vries, der für seine Fraktion im Untersuchungsausschuss für die Abteilung Attacke zuständig ist. Auch die Umstände, unter denen Grote in sein Amt gekommen ist, sprechen laut CDU gegen Grote. Er folgte auf Markus Schreiber (SPD), der im Zusammenhang mit dem Methadon-Tod des Pflegekindes Chantal seinen Hut nehmen musste. Für die CDU ein ähnlicher Fall.
SPD-Frau Melanie Leonhard hält dagegen, dass weder die Bezirksamtsleiter noch Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) persönlich die Entscheidungen im Fall Yagmur getroffen hätten. Zwar sei die Personalausstattung angespannt gewesen, dennoch sei das für die Fehler nicht ursächlich.
Ähnlich wie die CDU äußert sich auch Christiane Blömeke von den Grünen. Zwar habe sich aus ihrer Sicht die SPD konstruktiv an der Aufklärung des Falls und der Verbesserung des Kinderschutzes beteiligt. „Am Ende hat die SPD sich aber zu sehr vor ihren Senat gestellt.“ Und auch Finn Ole Ritter (FDP) bemängelt, dass die Personalsituation in den Jugendämtern im PUA-Bericht aus seiner Sicht zu wenig gewürdigt werde.
Es ist unwahrscheinlich, dass ein Bezirksamtsleiter oder gar der Sozialsenator zwei Monate vor der Bürgerschaftswahl den Hut nehmen muss. Aber an der sich zuspitzenden Angriffslust der CDU zeigt sich, dass die Oppositionsfraktionen aus dem Untersuchungsausschuss ihren Honig für den beginnenden Wahlkampf ziehen wollen. Anders als die SPD haben sie nicht die Möglichkeit, mit Wohltaten auf sich aufmerksam zu machen. So war es kein Zufall, dass die SPD-Fraktion in dieser Woche mit dem Versprechen an die Öffentlichkeit ging, die Betreuung von Krippenkindern zu verbessern.
Offiziell haben alle Beteiligten es weit von sich gewiesen, den PUA als Wahlkampfmittel zu benutzen. Dennoch war allen klar, dass er es von Anfang an war. Immerhin hat sich erst spät abgezeichnet, dass es auch so kommen würde. Als Erste scherten die Linken aus. Mehmet Yildiz verweigerte sich den Beratungen und kündigte einen Minderheitenbericht an. Und die Grüne Christiane Blömeke sorgte für fraktionsübergreifendes Unverständnis, weil sie im PUA-Bericht eine Enquetekommission für die nächste Legislatur forderte. Ein Unding, schließlich muss erst die Bürgerschaft gewählt werden.
Dabei war der Verlauf des PUA selbst von großer Sachlichkeit geprägt. Das dürfte nicht zuletzt auch dem PUA-Vorsitzenden André Trepoll zu verdanken sein. Für ihn gab es sogar Lob von Melanie Leonhard. „Er hat alle Zeugen fair behandelt, sich in keiner Weise inquisitorisch verhalten“, sagt die Familienpolitikerin. Anders als in vorangegangenen Untersuchungsausschüssen habe in diesem Ausschuss keine Atmosphäre wie vor Gericht geherrscht.
Wie auch immer die Konsequenzen für die politischen Akteure aussehen, eine bittere Erkenntnis von Trepoll bleibt: „Man hätte Yagmur retten können – mehr als einmal. Das Kinderschutzsystem hat es nicht geschafft, Yagmurs Recht auf eine gewaltfreie Erziehung durchzusetzen.“