Helmut Eidenmüller war 40 Jahre in der Sozialbehörde tätig – und übt scharfe Kritik. Nach der Ansicht von Eidenmüller reichen die Maßnahmen für den Schutz von Kindern in Hamburg nicht aus.

Hamburg. Jahrzehntelang hat sich Helmut Eidenmüller als Mitarbeiter der Sozialbehörde für das Wohl der Kinder in Hamburg eingesetzt. Jetzt erhebt er Vorwürfe gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber, den Senat und Ämter. „Diese haben beim Umgang mit misshandelten Kindern erhebliche Defizite gezeigt“, sagte Helmut Eidenmüller, der von 1971 bis 2011 für die Sozialbehörde tätig war, zuletzt als Leiter des Referats Familienpolitik. Heute ist er Landesvorsitzender des Deutschen Familienverbands Hamburg. „Der Senat hat es jahrelang versäumt, für eine Struktur- und Konzeptionsreform in der Jugendhilfe zu sorgen.“

Als Anlass für seine Kritik nimmt Eidenmüller den Fall Yagmur: Das dreijährige Mädchen starb an den Folgen massiver Gewalt durch seine Mutter. Vergangene Woche ist die Frau zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt worden. Gegen Yagmurs Vater verhängte das Gericht viereinhalb Jahre Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen. Und wer trägt die politische Verantwortung für Yagmurs Tod? Für Helmut Eidenmüller ist die Antwort eindeutig: „Die Sozialbehörde trägt die Verantwortung für das Gesamtsystem.“

Seiner Ansicht nach zeige der Fall Yagmur ebenso wie die anderen Todesfälle infolge von Kindesmisshandlung und Vernachlässigung, dass die Maßnahmen für den Schutz von Kindern in Hamburg nicht ausreichten. Auch die Änderungen zur Verbesserung des Kinderschutzes, die Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) nach Yagmurs Tod angekündigt hatte, sieht Eidenmüller kritisch. „Die Ansätze des Senats sind zu begrüßen“, räumte der 68-Jährige ein. Gleichzeitig fordert der Sozialpädagoge, dass das derzeitige Konzept des Kinderschutzsystems weiter auf den Prüfstand gestellt wird. „Die Rahmenbedingungen lassen sich nicht zum Nulltarif ändern.“ Um gefährdete Kinder besser zu betreuen und die Kooperation zwischen den beteiligten Institutionen zu intensivieren, seien mehr Personal und mehr Budget unverzichtbar.

Das Personal in den überlasteten Stellen des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) aufzustocken sei ein richtiger Schritt, sagte Eidenmüller. Ihn habe erschreckt, dass ein Sozialpädagoge im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Fall Yagmur gesagt habe, dass der ASD nicht handlungsfähig sei. „Das zeigt die Resignation und Depression, die bei einigen ASD-Kollegen vorherrscht“, sagte er. „Sie haben Angst, Fehler zu machen. Das ist ein Alarmzeichen.“ Damit zwischen den beteiligten Institutionen keine Informationen verloren gehen, ist es aus seiner Sicht wichtig, eine Zentralstelle in der jeweils örtlich zuständigen ASD-Stelle des Jugendamts einzurichten. „So hätten Ärzte, Justiz, Polizei und das Kinderkompetenzzentrum des UKE in Kinderschutzfällen verantwortliche Ansprechpartner.“

Die Kita-Pflicht, die die Sozialbehörde für Kinder aus besonders kritischen Familienverhältnissen einführen will, befürwortet der Jugendhilfe-Experte zwar. „Aber die Rahmenbedingungen sind inakzeptabel“, so Eidenmüller. Angesichts der momentanen Personalsituation in den Kitas sei die Umsetzung zudem unrealistisch. Nach dem Plan des Sozialsenators soll die Kita-Pflicht für alle Mädchen und Jungen gelten, bei denen es einen Verdacht auf Kindeswohlgefahr gibt.

Helmut Eidenmüller regt zudem an, dass beim Thema Prävention der Blick stärker auf die Eltern gerichtet wird, bei denen bereits bei der Geburt des Kindes ein Verdacht auf Überforderung oder Bindungsstörung besteht. „Die Kinder dieser Eltern sind bereits in jungen Jahren extrem gefährdet.“ Der 68-Jährige fordert ein flächendeckendes Risiko-Screening in den Geburtskliniken. Das bedeutet: Falls notwendig, soll es verpflichtende therapeutische Hilfsangebote sowie engmaschige gesundheitliche Untersuchungen durch Familienhebammen geben.

Darüber hinaus hält Eidenmüller, seit rund 20 Jahren Lehrbeauftragter an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie im Rauhen Haus, Verbesserungen in der Ausbildung der Sozialpädagogen für dringend notwendig. „Den angehenden Sozialpädagogen müssen die veränderten Anforderungen in ihrem Beruf und rechtlichen Geschäftsgrundlagen besser vermittelt werden, auch im Dialog mit Fachbehörden.“ Gleichzeitig müssten sie wissen, dass die politischen Akteure anerkennen, dass Sozialpädagogen scheitern können. „Beziehungsarbeit ist nicht Mathematik“, betont Eidenmüller. „Kein politisches Konzept ist ein Garant dafür, dass es funktioniert.“