Hamburg steht vor dem Problem, Flüchtlinge adäquat unterzubringen. Und weil das schon seit vielen Monaten so geht, ist die Atmosphäre zwischen den beiden zuständigen Behörden für Soziales und Inneres angespannt.

Die Lage scheint so ernst zu sein, dass sich nun auch ein Literatur-Nobelpreisträger gezwungen sieht, sich zu Wort zu melden. Günter Grass hat diese Woche mit der Aussage überrascht, angesichts des Mangels an öffentlichen Unterkünften Flüchtlinge notfalls in Privatwohnungen zwangsweise einzuquartieren. Eine Maßnahme, mit der nach dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlinge und Vertriebene millionenfach in Deutschland untergebracht wurden.

Die Stadt lehnt solcherlei Zwangsmaßnahmen kategorisch ab. Nicht zuletzt auch, weil sich trotz der aktuell steigenden Flüchtlingszahlen ein Vergleich der Verhältnisse ausschließt. Dennoch steht die Stadt vor dem Problem, die Zuflucht suchenden Menschen adäquat unterzubringen. Und weil das schon seit vielen Monaten so geht, ist die Atmosphäre zwischen den beiden zuständigen Behörden für Soziales und Inneres angespannt.

„Wir machen den Job der Sozialbehörde“, heißt es in der Innenbehörde. „Die bekommen es nicht auf die Reihe, für ausreichend Folgeunterkünfte zu sorgen.“ Das ist die Ausgangslage: Zurzeit erhalten rund 25.000 Menschen in Hamburg Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. 14.000 von ihnen leben in öffentlichen Unterkünften. Die Unterbringung von Flüchtlingen ist aufgeteilt in die Erst- und Folgeunterbringung. Für die Erstunterbringung ist die Innenbehörde zuständig, für die Folgeunterbringung die Sozialbehörde. Rund 3400 Menschen halten sich in den sieben Einrichtungen der Erstunterbringung auf, die eigentlich nur die ersten drei Monate nach der Ankunft umfassen soll.

Mittlerweile leben aber 1474 Menschen schon länger als ein Vierteljahr in der Erstunterbringung, weil es nicht genug Unterkünfte zur Folgeunterbringung gibt – auf die Zufluchtsuchende aber einen gesetzlichen Anspruch haben. Die Probleme fingen im vergangenen Jahr an. Bis August habe es noch geklappt, den Übergang von der einen in die andere Unterbringung zu gewährleisten. Seitdem steigen die Zahlen stetig an. Allein zwischen dem 13. Oktober und dem 24. November ist die Zahl derjenigen, die mehr als drei Monate in der Erstaufnahme leben, um 300 gestiegen.

Innensenator Michael Neumann (SPD) ist mehr als unzufrieden damit, dass es ein Problem im Ressort von Sozialsenator Detlef Scheele (ebenfalls SPD) gibt, das er selbst nicht lösen kann und wofür er keine Verantwortung trägt, heißt es. Auf Arbeitsebene brüstet man sich damit, die Kapazitäten für die Erstaufnahme erhöht zu haben. Die Innenbehörde habe es innerhalb von drei Monaten bis November geschafft fast 1200 neue Plätze zu schaffen.

„Alles starke Worte“, heißt es dagegen aus der Sozialbehörde. Nicht jeder dieser Standorte sei komplett besetzt worden. Einige sind sogar zurückgestellt worden. Zu klein, nicht belegbar, schlechter Untergrund oder kontaminiert – auch bei der Innenbehörde ist nicht alles Gold, was glänzt. Dennoch hapert es bei der Errichtung der Folgeunterbringungen. Das hat auch mit den unterschiedlichen Anforderungen zu tun. Da die Erstaufnahme zeitlich begrenzt sein soll, sind die Standards auch niedriger. Die Folgeunterbringung dient dem „Wohnen auf Dauer“. Während eine Erstaufnahme auch mal auf Flächen, die nur ein Jahr frei sind, aufgebaut werden kann, brauchen Folgeunterkünfte längerfristige Möglichkeiten. Zudem müssen Flüchtlinge sich dort selbst versorgen können. Der Einbau von Küchen wird häufig als Ursache für Verzögerungen angegeben.

Hinzu kommen Gerichtsverfahren, die den Bau der Einrichtungen verhindern. Gegenwärtig gibt es noch Widersprüche gegen die Standorte Berzeliusstraße (Billbrook) und Sophienterrasse (Harvestehude). Letzterer wird immerhin schon umgebaut, weil das gerichtlich nicht untersagt wurde. In der Sozialbehörde verweist man darauf, dass in diesem Jahr 2600 Plätze entstehen sollen – und 2000 für die Erstaufnahme. Im kommenden Jahr sieht der Plan 2800 neue Plätze in der Folgeunterbringung und 320 in der Erstaufnahme vor. Noch im Dezember soll es laut Sozialbehörde neue Plätze für 950 Flüchtlinge in der Folgeunterbringung geben.

In der Innenbehörde weist man dennoch darauf hin, dass man sich mehr Engagement und Durchsetzungskraft der Kollegen wünschen würde. „Da muss man eben mal Gas geben. Wir sind anders strukturiert. Da sticht der Ober den Unter. In der Sozialbehörde wird eher rumproblematisiert.“ Das ist vielleicht nicht ganz fair, vielleicht auch nicht ganz zutreffend.

Scheele gilt als so etwas wie der „Troubleshooter“ des Senats. In der SPD-Fraktion heißt es, dass Scheele sich gerne mal mit Schmutz bewerfen lasse, um ein Ziel zu erreichen. Er war es auch, der bei der Bewältigung des Unterkunftsproblems das Polizeirecht ins Spiel gebracht hatte. Danach soll es Behörden erlaubt werden, auf Verwaltungsschritte wie Beteiligung von Bezirken und Betroffenen, Baugenehmigung und Ausschreibung der Baumaßnahmen zu verzichten.

Neumann dagegen ist anders sozialisiert. Er achtet auf die Außenwirkung. Als langjähriger Fraktionsvorsitzender einer Oppositions- und eben nicht Regierungspartei liegt ihm eher die Vermarktung. Und es ist auch kein Geheimnis, dass Neumann lieber öffentlichkeitswirksam Olympiapläne präsentiert als sich etwa mit Polizeigewerkschaften über die Ausstattung der Polizei zu streiten. Das Verhältnis zwischen beiden Senatoren gilt in dieser Sache als unterkühlt. Neumann, so heißt es, hält die Telefonate mit dem Genossen Scheele gern kurz. Zu einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Scheele, bei der im September das Sofortprogramm zur Unterbringung von Flüchtlingen vorgestellt wurde, entsandte Neumann seinen Staatsrat Volker Schiek.