Der Cuxhavener Paradiesvogel Bernhard Jaeger hat den Nachlass einer Freundin vermacht bekommen. Und eine der seltenen Bürgermeister-Stolten-Medaillen entdeckt. Die Stücke sollen zurück nach Hamburg.
Altstadt. Überraschungen sind die Würze eines intensiven Sammlerlebens. Und so war Bernhard Jaeger elektrisiert, als ihm die Bedeutung des untertassengroßen Bronzetalers aus dem Nachlass einer Freundin bewusst wurde: Nach der Ehrenbürgerwürde zählt die Bürgermeister-Stolten-Medaille zu den höchsten Auszeichnungen der Hansestadt Hamburg. Binnen 89 Jahren wurde diese Ehre nur 63 verdienten Bürgern zuteil – entsprechend selten ist das gute, pfundige Stück.
Vor allem bleibt es ein Geheimnis, wem dieses Fundstück wann verliehen wurde. Das ist ähnlich spannend wie der Lebenslauf des heutigen Besitzers, eines in Bergedorf geborenen Bremers, der über Australien und Celle in seinen aktuellen Wohnort Cuxhaven kam. Markenzeichen: Leidenschaft für alles Historische aus Norddeutschland mit speziellem Faible für Keramik-Kaffeefilter und alte Blechdosen. Von den roten Lederschuhen ganz zu schweigen. Doch der Reihe nach.
„Es handelt sich um eine echte Rarität“, weiß Münzprofi Joachim D. Matthies, der seit Jahrzehnten mit einem kleinen Geschäft an den Colonnaden präsent ist und als Koryphäe auf dem Fachgebiet gilt. Maximal alle zehn Jahre tauche diese Medaille auf einer Auktion auf. Da der Interessentenkreis indes begrenzt sei und es sich eben nicht um eine Münze handele, beziffert er den materiellen Kurs auf 500 bis 600 Euro.
Kaum etwas wert, dennoch unbezahlbar
Der ideelle Wert ist unschätzbar. Weil man die Bürgermeister-Stolten-Medaille eigentlich gar nicht kaufen kann. Sie erinnert an den Hammerbrooker Schlossermeister und Journalisten Otto Stolten, der 1901 als erster Sozialdemokrat in das Parlament der Hansestadt gewählt wurde. Nach der Bürgerschaftswahl 1919 rückte das sozialdemokratische Urgestein in den Senat und das Amt des Zweiten Bürgermeisters auf. Mit seinem Ausscheiden dort während der Weimarer Republik wurde sein politisches Wirken mit der nach ihm benannten Medaille gewürdigt.
Zu den weiteren Trägern gehören namhafte Persönlichkeiten wie Max Brauer, Kurt Sieveking, Alfred Toepfer, Paul Nevermann, Kurt A. Körber oder Karl Schiller. Neben dem Versandhaus-Granden Werner Otto wurden in den letzten Jahren auch die früheren Bürgermeister Klaus von Dohnanyi und Henning Voscherau im Namen und Sinne des 1928 verstorbenen Johannes Ernst Otto Stolten geehrt. Sie alle haben sich um Hamburg verdient gemacht.
„Obwohl diese Medaillen meist in Privatbesitz verbleiben, gelangen Einzelstücke auch in den Münzhandel“, sagt Dr. Ralf Wiechmann, Numismatik-Experte des Hamburg Museums. In der Dauerausstellung „Hamburg im 20. Jahrhundert“ ist jenes Exemplar zu sehen, das Senator Paul Neumann 1955 verliehen bekam. Wiechmanns Einschätzung: „Die Stolten-Medaille ist ein Kunstwerk en miniature.“ Vorne ist ein Profil des Namensgebers abgebildet; die Rückseite zeigt das von zwei Löwen umrahmte Hamburger Wappen. Am Rande steht das Credo der Hanseaten, die von jeher ein Kreuz mit den Orden hatten: „Das Gemeinwohl ist das höchste Gesetz“.
Eines Tages kam auch die Künstlerin Gerda Sautter de Hotzen aus Celle, eine Schülerin des Hamburger Bildhauers und Grafikers Edwin Scharff, in den Besitz der Rarität – wie auch immer. Mit „warmen Händen“, also noch zu Lebzeiten, übergab sie die seltene Medaille ihrem Freund Bernhard Jaeger. Dessen Geist für alles Alte adelte ihn als neuen Besitzer. Auch eine Alfred-Toepfer-Medaille – gleichfalls aus Hamburg – wurde ihm vermacht.
Jaegers Werdegang ist eine Geschichte für sich. Um es kurz zu machen: Der in Bremen aufgewachsene Außenhandelskaufmann, für den die Bezeichnung „Paradiesvogel“ keine Beleidigung ist, verbrachte einige Jahre als Koch und Reiseleiter im Outback Australiens, bevor er nach Deutschland zurückkehrte und in Celle ein Antiquariat begründete. Seit 2008 lebt der leidenschaftliche Hochseesegler in einer 120 Jahre alten Bäckerei nahe der Alten Liebe in Cuxhaven. Im kommenden Jahr soll das altehrwürdige Gebäude als Galerie und Kleinkunstbühne eröffnet werden.
Medaillen stehen nicht zum Verkauf
„Ich möchte die Hausabende der Biedermeier-Ära wieder beleben“, gibt Jaeger als Ziel aus. Die ihm seit 17 Jahren angetraute Ulrike, eine Frauenärztin mit Hobby Spornradfliegen (ein spezielles Sportflugzeug), hat sich an die Marotten des Individualisten „Be Jay“ gewöhnt. Neben norddeutscher Kunst und allen möglichen Medaillen aus der Region hortet der 62-Jährige mehr als 200 Melitta-Kaffeefilter aus Keramik und gut und gerne 2000 alte Blechdosen. Da ist zu Hause Toleranz gefragt.
Vor ein paar Tagen reiste der Sammler – wie so oft – mit dem Zug nach Hamburg, um via Internet ergatterte Beutestücke in Empfang zu nehmen. Seiner Meinung nach gehört die Bürgermeister-Stolten-Medaille in die Hansestadt. Schlicht versilbern indes möchte er das rare Stück nicht, das wäre ihm zu einfach. Denn einem inbrünstigen Sammler seines Naturells kommt’s weniger auf Geld, sondern mehr auf eine sinnvolle, würdige Unterbringung der traditionsreichen hanseatischen Auszeichnung an.
„Ein praktisch immaterieller Tausch, das wäre eine schöne Idee“, meint Bernhard Jaeger. Und was meint er damit? „Zum Beispiel tolle Opernkarten oder ein besonderer Tisch in einem besonderen Restaurant“, so die Antwort. „Jedenfalls etwas, das man sich nicht kaufen kann.“