Überall in der Stadt entstehen Mittelinseln für Fußgänger. Nasen werden in die Straßen hineingebaut, Fahrbahnen verengt. Was soll das? Wer freut sich darüber? Leute, die es eilig haben, sagen Verkehrsplaner.

Hamburg. Fußgängerinseln sind im Trend. Was dem modebewussten Hamburger seine neonfarbenen Sneakers oder der wärmende Rundschal ist dem Verkehrsplaner die in Stein gesetzte Mittelinsel auf der Straße. Sie gilt als die derzeit schickste Möglichkeit, Fußgängern das Überqueren von Straßen zu erleichtern. Die Lange Reihe soll eine bekommen, der Mühlenkamp ist reif für die Verkehrsinsel und die Osterstraße ist es auch. Selbst die Gründgensstraße im oft vernachlässigten Steilshoop soll aufschließen zu Trendsettern wie dem Heußweg oder dem Volksdorfer Bahnhof, die ihre Inseln schon haben.

Wo immer der Bus beschleunigt oder eine Straße „grundinstandgesetzt“, sprich: saniert wird, halten sie nebenbei und unauffällig Einzug. Weil die Straße sowieso aufgerissen wird und die Stadt gern zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. Nach Überzeugung der Planer verbessern sie die Verkehrssicherheit für Fußgänger deutlich, ohne den Autoverkehr stärker zu behindern oder besonders teuer zu sein. „Es wurde früher zu viel auf Ampeln gesetzt“, sagt Uwe Wilma, Bereichsleiter vom Verkehrs- und Stadtplanungsbüro Argus. Jetzt weiß man mehr: Die Mittelinsel

– halbiert die Straße. Mit dem Überqueren kann schon begonnen werden, wenn von links kein Verkehr kommt. Auf der Mittelinsel kann der Fußgänger ja rasten und in Ruhe auf die Freiheit der anderen Richtungsfahrbahn warten. Das spart Zeit und bringt Sicherheit.

– verengt die Richtungsfahrbahnen und senkt damit die gefahrenen Geschwindigkeiten, ohne die Autofahrer zum Anhalten zu zwingen. Außerdem verkürzt die Verengung der Straße den Weg des Fußgängers.

– kostet deutlich weniger als eine Ampel: die sogenannte Lichtzeichenanlage (LZA) gibt es ab 60.000 Euro plus 5000 Euro Wartungskosten pro Jahr, die Mittelinsel ist in der schlichtesten Ausführung schon ab 20.000 Euro zu haben.

Bei solchen Preisunterschieden darf es schon mal eine Insel mehr sein, zumal sie multifunktional ist und nach den gesetzlichen Vorgaben sowohl in verkehrsberuhigten Bereichen als auch auf Tempo-50-Straßen eingesetzt werden darf.

Deutlich teurer wird es allerdings, wenn der Verkehrspolitiker zusätzlich zur Insel eine „Fahrbahnverschwenkung“ ordert, die die Straße mit je zwei Doppelkurven um die Insel herumführt. Das so entstehende Verkehrshindernis soll den noch immer zu dezimierenden Rasern den Rest geben und sie mit der schieren Gewalt baulicher Zwänge zum Gaswegnehmen zwingen, indem sie eine lange Gerade unterbrechen. Am Meiendorfer Weg im schnellen Rahlstedt wurden dafür der Gehweg und die Straßenbeleuchtung verlegt, zusätzlich ließen etwa zehn Bäume ihr Leben. Kostenpunkt: 293.000 Euro.

Nachteil solch immobiler Lösungen ist, dass die Kinder, für deren Schulwege die Querungshilfe installiert wurde, nicht haargenau an dieser Stelle über die Straße wollen. Ihr Trampelpfad verläuft anders. Sie müssen also einen zwar winzigen, aber eben doch einen Umweg in Kauf nehmen, was gerade bei Menschen mit noch unvollständig ausgeprägter Vernunft bisweilen auf geringe Akzeptanz stößt. Ein Zebrastreifen mag in dieser Disziplin besser sein, weil seine Installation auf der Fahrbahn sich nicht um Gehwegbreiten und die Lage von Privatgrundstücken an der Straße scheren muss. Er kann passgenau in gewohnte Schrittfolgen eingefügt werden.

Der unbeampelte Zebrastreifen, der fachlich korrekt als „Fußgängerüberweg ohne Lichtzeichenanlage (LZA)“ in der Liste steht, ist zweifellos auch die preiswerteste „Querungshilfe“. Doch er behindert den Verkehrsfluss deutlich stärker als die Insel, weil er den Autofahrer schon zum Anhalten zwingt, wenn der Fußgänger noch intensiv überlegt, ob er wirklich und trotz aller real existierenden Gegenargumente eine fußläufige Querung der Fahrbahn durchführen möchte. Da die Fußgänger oft tröpfchenweise über die Straße huschen und sozusagen trotz dieser unkoordinierten Vorgehensweise absoluten Vorrang genießen, ist der Schaden für den Verkehrsfluss unverhältnismäßig groß.

Ein anderer Kritikpunkt der Experten ist die bloß suggerierte Sicherheit des Zebrastreifens, die den Fußgänger schon mal ohne besondere Umsicht loslaufen und anschließend aus allen Wolken fallen lässt, wenn auch der Autofahrer nicht so recht bei der Sache war. Gucken ist gerade für den schwächeren Verkehrsteilnehmer erste Bürgerpflicht. Deshalb geriet der Zebrastreifen zuerst in Verruf und anschließend ins Abseits.

Kräftig nachgeholfen haben dabei die „Richtlinien für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen (R-FGÜ 2001)“, nach denen ein Zebrastreifen erst aufgemalt werden darf, wenn Verkehrszählungen eine „Querungsfrequenz“ von 200 Fußgängern pro Stunde nachweisen können. Das ist zumindest für die Provinz ein Fabelwert, der aufgrund der Bevölkerungsdichte in den Außenbezirken unserer noch wachsenden Stadt auf Jahrzehnte unerreichbar bleiben wird. Es spricht also alles für die Insel. Zumal sie nahezu beliebig aufgerüstet werden kann.

Denn in Ergänzung oder auch alternativ zur Mittelinsel haben moderne Planer den „vorgezogenen Seitenraum“ im Portfolio. Der wenig anheimelnde Name mag über die Vorzüge hinwegtäuschen, doch überzeugt so ein in die Straße hineingezogener Gehweg mit einer kolossal verbesserten Übersichtlichkeit für alle. Man denke an das zwischen parkenden Autos spielende Kind. Gibt es also parallel zur Straße am Fahrbahnrand Parkplätze und leidet darunter die Sicht auf bzw. für die Verkehrsteilnehmer, schafft das Vorziehen des Seitenraums Abhilfe: Der Gehweg wird auf Kosten einiger Parkplätze bis an den Fahrbahnrand herangebaut, sodass der Fußgänger das Auto und umgekehrt der Autofahrer den Menschen am Straßenrand viel früher sehen kann.

Trotzdem löst nicht jede Insel Jubel aus. Am Volksdorfer Bahnhof (Farmsener Landstraße) etwa wurde sie preiswert installiert und trennt die Busspur vom handelsüblichen „Zweirichtungsverkehr“. Ein Fehler, wie die ortsansässigen Fußgänger mit CDU-Parteibuch reklamieren. Denn wer, weil kein Bus kommt, den Marsch zur Mittelinsel angetreten hat, wird dort gewohnheitsmäßig glauben, dass von links kein Auto mehr kommen kann. Er hat ja die Hälfte des Weges schon geschafft. Also, so suggeriert ihm die Kenntnis der klassischen Inselkonzeption, kann er sich jetzt auf den Blick nach rechts beschränken. In diesem Fall ein Irrtum. Vielleicht hätte die Insel hier nicht den Bus- vom individuellen Zweirichtungsverkehr trennen sollen, sondern, wie sonst auch, die von links kommenden Autos vom von rechts kommenden Verkehr.

Ein guter Schachspieler, so heißt es im Lehrbuch, zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass er die Größe hat, einen schlechten Zug auch wieder zurückzunehmen. Angesichts der günstigen Preise könnte man also glatt wieder umbauen, zumal gerade sowieso fast jede Straße aufgerissen wird. Auch ist die Mittelinsel, ganz anders als die LZA mit ihren tief wurzelnden Betonfundamenten, nur in leichten Stein gemeißelt.