Nach Unfallserie mit Verletzten: Das Abendblatt hat am Grindelberg mitgezählt. Fahrern, die beim Wenden auf der Straße erwischt werden, droht ein Verwarnungsgeld in Höhe von 35 Euro.
Harvestehude. Viele Autofahrer bringen sich und andere in Lebensgefahr, wenn sie verbotenerweise auf der Straße wenden. Einer der Unfallschwerpunkte ist der Grindelberg in Höhe des Bezirksamts Eimsbüttel. Das Abendblatt hat mitgezählt – und an einem Nachmittag 34 Wendemanöver in nur zwei Stunden beobachtet.
Hier hatte sich erst vor gut zwei Wochen der jüngste Unfall ereignet, der durch ein waghalsiges Wendemanöver verursacht wurde. Ein VW Golf war nach einem U-Turn über die Busspur mit einem Linienbus kollidiert, vier Menschen wurden verletzt. Mitte August erlitt ein Autofahrer schwere Verletzungen, nachdem er auf der Busspur der Edmund-Siemers-Allee mit einem Bus kollidiert war. Ein Fahrgast wurde leicht verletzt. Im Mai übersah ein Autofahrer beim Wenden auf der Grindelallee einen Motorradfahrer. Er schwebte nach der Kollision in Lebensgefahr.
Solche Unfälle schrecken ab – könnte man meinen. Und doch scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis es wieder knallt: „Die Unfälle, die hier durch U-Turns zustande kommen, haben oft dramatische Folgen“, sagt ADAC-Hansa Sprecher Christian Hieff.
Um 15.03 Uhr, drei Minuten nach Beobachtungsbeginn, reiht sich ein blauer Polo auf der Linksabbiegerspur zum Bezirksamt ein, der Fahrer entscheidet sich dann aber gegen den Weg zum Amt und für den Richtungswechsel. Ein Nachahmer lässt nicht lange auf sich warten. Auch der zweite Fahrer ändert abrupt seine Richtung und wendet: Der Opel-Fahrer macht sich jedoch nicht die Mühe, ein Linksabbiegen anzutäuschen, sondern zieht von der rechten Spur quer über die Busspur, um auf die andere Fahrbahnseite zu gelangen.
„Auf einer solchen Straße zu wenden ist kein Kavaliersdelikt, sondern hochgefährlich“, sagt ADAC-Hansa-Sprecher Hieff. Bei Wendemanövern über alle Spuren hinweg könne es leicht zu einer Kollision mit einem Bus kommen, denn die Busspur verläuft am Grindelberg mittig. Gerade in den langen Bussen der Linie5, die hier verkehren, würden viele der Fahrgäste stehen. Wenn der Fahrer dann plötzlich bremsen muss und der Bus mit dem wendenden Fahrzeug zusammenstößt, sei die Verletzungsgefahr extrem.
Es ist 16 Uhr. In nicht einmal einer Stunde haben schon 19 Autofahrer rechtswidrig gewendet, immer dann, wenn die Fahrbahn gerade mal ein bisschen frei ist. Der Grindelberg wird voller, der Verkehr dichter, die Lücken zwischen den Autos kleiner. Lässt das höhere Risiko die Autofahrer vor waghalsigen 180-Grad-Drehungen zurückschrecken? Nein. Um 16.20 Uhr hat das Abendblatt bereits 25 U-Turns gezählt.
Ein älterer Herr auf einer roten Vespa hält kurz nach so einem Manöver an der Ampel vor dem Bezirksamt. Er wirkt bestürzt: „Das beobachte ich fast jeden Tag, das ist einfach nur halsbrecherisch und verantwortungslos“, sagt er. In der Polizeistatistik werden solche Wendemanöver gemeinsam mit fehlerhaftem Einfahren in den Verkehr, Abbiegen und Rückwärtsfahren geführt. Jeder vierte Unfall in Hamburg im Vorjahr ging auf einen dieser Verstöße zurück, die zu den Hauptursachen bei Unfällen mit Personenschäden zählen.
Nach Paragraf 41 der Straßenverkehrsordnung ist es verboten, auf einer Straße zu wenden, deren Fahrbahn durch eine durchgezogene Linie getrennt wird. Wird ein Fahrer bei so einem Manöver von der Polizei erwischt, muss er mit einem Verwarnungsgeld in Höhe von 35 Euro rechnen.
An der Grindelallee wurden 2005 kleine Trennmauern in der Mitte der Fahrbahn errichtet, um Wendeunfälle zu verhindern. 2012 folgten weitere Fahrbahntrenner. Mitten auf der Straße zu wenden ist an diesen Stellen nicht mehr möglich. Klaus-Peter Hesse, CDU-Abgeordneter in der Bürgerschaft und Mitglied des Verkehrsausschusses, hält diese Maßnahme auch am Grindelberg für sinnvoll. „Man kann etwas gegen diese Unfallursache unternehmen. Man muss es nur tun“, sagt Hesse.
Gebaut werden solche Mittelleitborde auf Empfehlung der Unfallkommission, die sich aus Vertretern der Polizei, Verkehrsbehörde, des Landesbetriebs für Straßen Brücken und Gewässer und der Abteilung für Grundsatzangelegenheiten des Straßenverkehrs der Innenbehörde zusammensetzt.
Am Grindelberg seien bisher keine Fahrbahntrenner errichtet worden, weil die Fahrbahn dann zu schmal werden würde, sagt Manfred Mahr, Polizeibeamter der Verkehrsdirektion und Mitglied der Unfallkommission. Wegen der vielen Wendeunfälle in jüngster Zeit habe die Unfallkommission nun aber auch an dieser Stelle den Bau von Mittelborden beim zuständigen Landesbetrieb für Straßen Brücken und Gewässer angeregt. Umgesetzt werden könne die Maßnahme erst, wenn die Straßenführung verändert und die Fahrbahn breiter werde.
16.45 Uhr: Jetzt sind es schon 31Wendemanöver – nach gerade einmal 100 Minuten. Irritiert vielleicht die Lidl-Werbung, die neben der Fahrbahn mit einem roten Pfeil zum Wenden in Richtung Lidl auffordert, so manchen Autofahrer? Um die Gefahr einzudämmen, ist nach Meinung des ADAC-Hansa-Sprechers neben Umbauten und verstärkten Kontrollen besonders wichtig, dass die Autofahrer ein Bewusstsein für die Gefahr beim Wenden entwickeln. Davon kann zurzeit noch keine Rede sein: Um 17 Uhr legt schon der 34.Autofahrer einen U-Turn hin.