Ungeachtet aller Mahnungen: Die GDL macht ernst mit ihrem Rekordstreik bei der Deutschen Bahn. Millionen Fahrgäste müssen improvisieren. Doch nicht alle Züge fallen in den nächsten Tagen aus. Die Hochbahn verstärkt das Angebot mit längeren U-Bahnen und Bereitschaftsbussen.
Berlin/Hamburg. Trotz wachsender Kritik aus Politik und Wirtschaft haben die Lokführer bei der Deutschen Bahn ihren bislang längsten Streik begonnen. Millionen Reisende und Pendler sind von diesem Donnerstag (2 Uhr) an betroffen. Schon am Mittwochnachmittag (15 Uhr) legten die Kollegen im Güterverkehr die Arbeit nieder.
Die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) will die Bahn bis zum frühen Montagmorgen lahmlegen. Der Konzern versuchte am Mittwoch vergeblich, die Arbeitnehmerseite zu einer Schlichtung in dem festgefahrenen Tarifkonflikt zu bewegen. Auch Mahnungen der Bundesregierung änderten nichts am Streikbeginn.
„Wir werden zu keinem Zeitpunkt unsere Grundrechte an der Garderobe abgeben, um dem Arbeitgeber Deutsche Bahn einen Gefallen zu tun“, sagte GDL-Chef Claus Weselsky und warf dem Konzern eine Blockade vor. Es ist bereits die sechste Streikaktion im laufenden Tarifkonflikt.
„Davon werden sicherlich Millionen Reisende betroffen sein“, sagte Bahn-Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg. Mit Ersatzfahrplänen will er erreichen, dass im Fernverkehr ein Drittel der Züge nach Plan fahren kann. Im Regionalverkehr in Westdeutschland sollen es 40 bis 60 Prozent sein, im Osten Deutschlands aber nur 20 Prozent. Dort ist die GDL am besten organisiert.
Noch am Mittwoch hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu Lösungen aufgerufen, „die auch für uns als Land einen möglichst geringen Schaden haben“. Streiks müssten verhältnismäßig sein. Ein Ausstand bei der Bahn treffe Millionen Bürger und auch die Wirtschaft. „Es gibt eine Gesamtverantwortung“, sagte die CDU-Chefin. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) warf der GDL in der „Bild“-Zeitung (Donnerstag) vor, das Streikrecht zu missbrauchen.
Die Gewerkschaft will einen eigenständigen Tarifvertrag für Zugbegleiter durchsetzen, für die bislang die konkurrierende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) verhandelt. Die GDL fordert zudem fünf Prozent mehr Einkommen und eine kürzere Wochenarbeitszeit.
Die Bahn verurteilte den Streik als maßlos, respektlos und verantwortungslos. Das Unternehmen schlug wenige Stunden vor Streikbeginn erneut eine Schlichtung vor. Ein weiteres Angebot lehnte Personalvorstand Ulrich Weber aber ab. Gespräche über Spielregeln für die Tarifrunde waren am Sonntag gescheitert.
Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) forderte das bundeseigene Unternehmen auf, gegen den Streik der GDL vor Gericht zu ziehen. „Eine Klage wegen Unverhältnismäßigkeit des Streiks ist im Interesse der Bahnkunden, der Beschäftigten und der Aufrechterhaltung der Güterversorgung in Deutschland geboten“, sagte er. Die Bahn hatte erklärt, ein juristisches Vorgehen zu prüfen. Sie schätzt die Erfolgsaussichten aber als gering ein.
Der Fahrgastverband Pro Bahn bedauerte den Streik. Die GDL und ihr Vorsitzender dürften nicht länger alles auf eine Karte setzen und kompromisslos alle Einigungsvorschläge vom Tisch wischen. Sie müssten bereit sein, zusammen mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) zu verhandeln.
Die deutsche Wirtschaft warnte vor gravierenden Folgen für die Unternehmen. „Das maßlose Verhalten der GDL ist verantwortungslos und führt zu enormen volkswirtschaftlichen Kosten“, hieß es aus dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). „Ein so langer Streik wird auch zu leeren Lagern führen – und damit zu unkalkulierbaren Risiken von Produktionsausfällen.“
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sprach von „Gift für den Standort Deutschland“. Der Großhandelsverband BGA rechnete mit starken Verzögerungen in den Lieferketten. Besonders betroffen seien der Chemiehandel, die Stahl- und Metallhändler sowie die Automobilzulieferer.
Betoffen vom Streik sind auch die Feiern zum 25. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagte: „Rund um dieses Datum den Bahnverkehr zu bestreiken, ist unsensibel in jeder Hinsicht und richtet sich gegen die Bürgerinnen und Bürger.“
Auch Hamburg stark betroffen
Die Deutsche Bahn (DB) will in Hamburg und der Metropolregion den S-Bahn-Verkehr der Linien S 1, S3 und S21 alle 20 bis 30 Minuten während des Streiks anbieten. Züge zwischen Lübeck und Hamburg sowie Kiel und Hamburg sollen möglichst stündlich fahren. Über den weiteren Notfallplan werde noch beraten, hieß es.
„Wir wollen und müssen im Auftrag unserer Mitglieder verhandeln, egal ob diese als Lokführer, Zugbegleiter, Bordgastronomen, Disponenten, Ausbilder, Instruktoren oder Lokrangierführer in den Eisenbahnverkehrsunternehmen der DB arbeiten“, sagte GDL-Chef Claus Weselsky am Dienstag
„Dieses Grundrecht ist in Gefahr und damit die Funktion von Gewerkschaften an sich.“ Vordergründig geht es um die Forderung von fünf Prozent mehr Lohn bei kürzerer Arbeitszeit. Kern des Konflikts ist aber, dass die GDL dies nicht mehr allein für die 20.000 Lokführer fordert, sondern auch für 17.000 Zugbegleiter und Rangierführer. Die Vertretung dieser Gruppe beansprucht die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) für sich. Konkurrierende Gehaltsabschlüsse lehnt die Bahn ab.
Was Bahnkunden aus Hamburg und Region jetzt wissen müssen
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) kritisierte die Entscheidung der GDL. „Was derzeit bei der Bahn passiert, ist Gift für den Standort Deutschland“, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. „Neben dem Ärgernis für Urlauber führen Streiks im Güterverkehr bereits nach wenigen Tagen zu Produktionsstörungen, weil Bahntransporte oft nicht kurzfristig auf Straßen oder Schiffe verlagert werden können.“
Busanbieter rechnen mit boomenden Geschäften
In Schlüsselbranchen wie der Automobilindustrie sei die Produktionskette komplett auf Just-in-time-Produktion ausgerichtet, bei der Zuliefer- und Produktionstermine genau aufeinander abgestimmt seien. „Warenlager helfen nur die ersten Tage, dann stockt die Fertigung“, sagte Dercks.
Die deutschen Fernbusanbieter rechnen dagegen mit boomenden Geschäften. „Kommt es zu einem Streik in dieser Länge, wird es einen Umsatzzuwachs von mehreren Millionen Euro für die Branche geben“, sagte der Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmer, Matthias Schröter. „Wir sind für den Marathon-Streik gerüstet.“ Die vorangegangenen Streiks der GDL hätten auf manchen Strecken zu einer Verdoppelung des Fahrgastaufkommens bei den Fernbusunternehmen geführt.
Nord-Ostsee-Bahn und AKN
Die Nord-Ostsee-Bahn fährt von Hamburg-Altona über Husum nach Westerland. Außerdem bietet die NOB zahlreiche Busverbindungen an. Die Nordbahn fährt von Neumünster Richtung Büsum sowie Richtung Bald Oldesloe.
Die AKN fährt von Neumünster Süd bis Ulzburg Süd, von dort bis Hamburg-Eidelstedt. Zwei anderen Verbindungen führen von Ulzburg Süd nach Elmshorn beziehungsweise Norderstedt Mitte. In Nordfriesland bietet die NEG Züge von Niebüll nach Dagebüll Mole an, wo Schiffsfähren nach Amrum und Föhr ablegen.
Auch die Züge der Hamburg-Köln-Express GmbH (HKX) sind nach Unternehmensangaben vom Streik nicht betroffen. „Wir fahren wie gewohnt nach unserem normalen Fahrplan“, sagt HKX Geschäftsführer Carsten Carstensen.
Die Hauptverbindungen von Hamburg nach Kiel, Lübeck und Flensburg werden nur von der DB betrieben. Die DB wolle aber wie beim vorangegangenen Streik einen Notfahrplan mit etwa einem Drittel des normalen Fahrplans anbieten, sagte eine Sprecherin.
Metronom fährt wie gewohnt – fast
Der Metronom fährt weitestgehend fahrplangemäß. Doch Fahrgäste müssen sich auf Bitte stellen Sie sich dennoch auf „vereinzelte, leichte Verspätungen“ einstellen, wie das Unternehmen mitteilte. Alle gültigen Fahrkarten des DB Fernverkehrs und DB Nahverkehrs würden im Metronom anerkannt. Und: „Über eventuell zusätzliche Halte der Metronom-Züge an S-Bahnstationen südlich von Hannover und zwischen Hamburg-Harburg und Buxtehude informieren wir kurzfristig.“
Es ist der sechste Streik im laufenden Tarifkonflikt und der längste seit Gründung der Deutschen Bahn AG im Jahr 1994. „Dieser Streikaufruf macht nur noch sprachlos und ist reine Schikane“, kritisierte Personalchef Ulrich Weber.
Betroffen sind auch die Feiern zum 25. Jahrestag des Mauerfalls am Wochenende in Berlin, wo bislang Hunderttausende Gäste erwartet wurden. Die Tourismusbranche in der Hauptstadt.
Auslastung bei Fernbussen, Mietwagen und Mitfahrzentralen
Der viertägige Lokführerstreik zwingt die Reisenden zum Umdenken. Anbietern von Fernbussen und Mietwagen sowie Mitfahrzentralen beschert der Ausstand Rekordanfragen. „Das wird eine große Bewährungsprobe für uns. Wir können beweisen, dass wir eine ernstzunehmende Alternative im Fernverkehr sind“, sagte die Sprecherin des Fernbus-Anbieters Flixbus, Bettina Engert, am Mittwoch in München. Sie rechnet mit einem Umsatzanstieg von mindestens 30 Prozent.
Ähnlich bei den ADAC-Post-Bussen: Es herrsche Hochbetrieb, die Zahl der Fahrgäste werde sich in den kommenden Tagen um 50 Prozent erhöhen, sagte ADAC-Sprecher Jochen Oesterle in München. „Direkt nach der Streikankündigung hatten wir fünfmal so viele Anfragen wie an einem normalen Tag.“ Beide Anbieter werden Ersatzbusse oder Doppeldecker einsetzen. Die meistgefragten Strecken bei den Fernbussen sind Hamburg-Berlin, die Strecken von den Millionenstädten Berlin, Hamburg, München ins Ruhrgebiet sowie von und nach Frankfurt.
Die Buchungen bei allen Fernbusanbietern gehen nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmen (bdo) derzeit steil nach oben. „Interessenten sollten aber immer wieder im Internet nachschauen, weil weitere Kapazitäten aktualisiert werden“, betonte bdo-Sprecher Matthias Schröter in Berlin. Aufgrund der bestehenden Lizenzen dürften die Anbieter keine zusätzlichen Takte anbieten, sondern lediglich zu den festen Abfahrtszeiten zusätzliche Fahrten oder größere Busse einsetzen.
Den bundesweit größten Marktanteil bei Fernbussen hat nach Angaben des bdo MeinFernbus mit 45 Prozent, gefolgt von Flixbus (24 Prozent) und ADAC-Postbus sowie berlinlinienbus mit jeweils 8 Prozent.
Bei der Internet-Plattform Mitfahrgelegenheit.de, bei der private Autofahrer ihre freien Sitzplätze anbieten, werden derzeit etwa doppelt so viele Fahrten vermittelt wie üblich. „Besonders auffällig ist die Zahl der neuen Autofahrer gestiegen, die einen Platz zur Verfügung stellen“, sagte Pressesprecher Simon Baumann in München. Für die kommenden Tage würden zusätzlich etwa 100.000 Plätze angeboten. Die Preise seien dabei nicht gestiegen. So kostet eine Fahrt von München nach Berlin etwa 28 bis 30 Euro. Mitfahrgelegenheit.de hat nach eigenen Angaben sechs Millionen registrierte Nutzer.
Wer auf einen Mietwagen umsteigen will, hat ebenfalls in einigen Regionen Probleme. „Nach unserer Auswertung sind die Anfragen bei allen Anbietern seit der Streikankündigung enorm gestiegen“, erläuterte ADAC-Sprecher Oesterle. Beim ADAC-Online-Portal für Mietwagen seien erstmals seit der Einführung im Jahr 1991 in den deutschen Ballungszentren keine Fahrzeuge mehr verfügbar.
Beim Autovermieter Sixt gibt es zwar eine vermehrte Anfrage nach Mietfahrzeugen. Es sei aber nicht so, dass nichts mehr verfügbar sei, sagte Sprecher Frank Elsner. „Die Fahrzeuge werden an den Knotenpunkten mit dem meisten Anfragen zusammengezogen.“ Zudem lohne sich auf jeden Fall die Nachfrage beim jeweiligen Kundenservice.