Seit 100 Jahren fehlen der Turmuhr des Hamburger Wahrzeichens zwei Schlagglocken. Das will die Gemeinde jetzt ändern und startete eine Spendenaktion „als Zeichen des Friedens“.
Hamburg. Es ist jetzt fast 100 Jahre, dass neun der zehn Glocken des Hamburger Michel eingeschmolzen wurden, um aus ihnen Waffen zu schmieden. 1917, der erste Weltkrieg war längst zu einem opferreichen Abnutzungskrieg geworden, spendeten die Hamburger Kirchenoberen die Glocken. „Gott will, dass feuerspeiende Schlünde aus diesen Glocken werden, damit unser deutsches Vaterland verteidigt bleibe gegen die Feindschaft aller Welt“, predigte Hauptpastor Hunzinger seinerzeit.
Alexander Röder, der heutige Hauptpastor, schüttelt den Kopf. „Da sträuben sich einem die Nackenhaare, wenn man das heute liest“, sagt er. Ein kalter, feuchter Wind fegt über die Plattform auf dem Michelturm. Röder hatte am gestrigen Mittwoch die Medien geladen, um hoch oben über dem Michel den Start der Spendenaktion „So klingt Hamburg“ zu starten. Ziel der Spendenaktion ist es, 250.000 Euro zusammenzubekommen.
Glocken einst Symbol der Kriegsbegeisterung
„Wir wollen das Geld nutzen, die zwei heute noch fehlenden Schlagglocken für die Turmuhr gießen zu lassen“, sagt Röder. Dabei zeigt der Hauptpastor mit dem rechten Arm nach oben. An zwei Stellen, wo sich die Dachbalken des Turmdaches kreuzen, sollen die Glocken angebracht werden. Während sieben der neun Glocken über die Jahrzehnte ersetzt wurden, fehlen die beiden kleineren Glocken nach wie vor.
Vor einhundert Jahren seien die Glocken zu seinem Symbol der Kriegsbegeisterung geworden, erzählt Röder. Immerhin sei die Predigt das damaligen Hauptpastors Hunzinger 450.000 Mal gedruckt und den Soldaten an der Front zum Kauf für zehn Pfennige angeboten worden. Heute sollen die Glocken „den Klang des Michel wieder vervollkommnen und ein Zeichen für den Frieden sein“, sagte Röder.
Konkret geht es um die „Dreiviertelstundenglocke, die drei Mail schlägt“, sagte Röder. Außerdem fehle noch „Vaterunser-Glocke“. Sie sei für jene geschlagen worden, die nicht hätten am Gottesdienst teilnehmen können, erzählt der Hauptpastor. Durch einen siebenmaligen Glockenschlag hätten diese Gläubigen gewusst, dass sie jetzt das Vaterunser beten konnten.
Glocken sollen Inschriften erhalten
Die beiden neuen Glocken sollen Inschriften erhalten. Auf der Dreiviertelstundenglocke solle der Satz „Er ändert Zeit und Stunden“ stehen, so Röder. Die Vaterunserglocke solle an das Ende des zweiten Weltkrieges im Jahr 1945 erinnern. In deutscher, englischer, französischer und russischer Sprache soll das Responsorium aus dem Versöhnungsgebet von Coventry, „Vater vergib’!“, stehen.
Die englische Industriestadt Coventry war am 14. November 1940 Ziel eines schweren Bombenangriffs der deutsche Luftwaffe. Der Angriff galt den im Stadtzentrum gelegenen Flugmotorenwerken. Allerdings wurden durch die Bomben große Teilen der Innenstadt und Kulturgüter wie die mittelalterliche St. Michael’s Cathedral zerstört. 568 Menschen starben damals.
Mit ihrem Spendenaufruf knüpft die Stiftung St. Michaelis an die Spendenaktion „Michel mein Michel“ an. Zwischen 2002 und 2009 waren damals vier Millionen Euro für die Michel-Sanierung aufgebracht worden. „Allein kann der Michel diese große Summe für die beidne Glocken nicht aufbringen“, sagte Röder. „Ich bitte alle Bürger der Stadt: Spenden Sie für die fehlenden Glocken und lassen Sie uns gemeinsam ein Zeichen für den Frieden setzen.“
200.000 Euro sollen zusammenkommen
Röder hofft, „dass wir bis Jahresende 200.000 Euro zusammenhaben werden“. Dann könnten der Glockenguss in Auftrag gegeben werden. Der Auftrag dazu würde ausgeschrieben. Aber man gehe davon aus, dass sich auch die Glockengießerei Bachert in Heilbronn um den Auftrag bemühen werde. Die Gießerei hatte zur Jahrtausendwende bereits die 23 Tonnen schwere „Jahrtausendglocke“ gegossen, die später wegen feiner Risse ausgetauscht werden musste.
Glockengießen sei eine schwierige Handwerkskunst, sagt Röder. Zudem müsse eine Kirchenglocke an einem Freitag um 15 Uhr gefertigt und von einem Pastor gesegnet werden. Nach christlicher Tradition dürfen Kirchenglocken nur zur überlieferten Todesstunde von Jesus Christus gegossen werden. Röder hofft, dass im Sommer kommenden Jahres die Glocken aufgehängt werden könnten. Das werde man mit einem Glockenfest feiern.
Die Stiftung St. Michaelis wird bei der Spendenaktion von der Hamburger Sparkasse und dem Unternehmen Budnikowsky unterstützt. „Der Michel und die Haspa - das gehört zusammen“, sagte Harald Vogelsang, Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse. „Sobald die ersten 25.000 Euro an Spenden für die Michel-Glocken erreicht sind, wird die Haspe 25.000 Euro dazu geben.“ Die Haspa habe seit 1989 bereits in verschiedenen Aktionen für den Erhalt des Michel mehr als fünf Millionen Euro gesammelt, fügt Vogelsang hinzu.
Budnikowsky-Geschäftsführer Cord Wöhlke bezeichnete den Michel als Wahrzeichen, das „weithin sichtbar für die weltoffene, tolerante Hansestadt Hamburg“ stehe. Sein Unternehmen beteilige sich mit einer Spende, die durch den Erlös von 100.000 extra für den Anlass gestalteten „Michel-Beitragetüten“ aufgebracht werden solle. Allerdings versprach Wöhlke „mindestens 10.000 Euro“. Informationsflyer und Plakate würden zudem in Budni- und Sparkassenfilialen ausgelegt.
Die evangelische Hauptkirche Sankt Michaelis gilt als die bekannteste Kirche Hamburgs und ein Wahrzeichen der Hansestadt. Sie ist eine Barockkirche und dem Erzengel Michael geweiht. Jährlich zählt die Kirche rund 1,4 Millionen Besucher.