Carlsberg Deutschland-Chef Frank Maßen sprach mit dem Hamburger Abendblatt über die Verlagerung der Hamburger Brauerei, abnehmenden Bierdurst und die Konflikte mit der Gewerkschaft.
Hamburg. „Kommen Sie noch mal kurz mit“, sagt Frank Maßen, als wir den Deutschland-Chef des Carlsberg-Konzerns auf dem Gelände der Hamburger Holsten-Brauerei treffen. Und dann zeigt der 49-Jährige nicht nur die jüngst installierte, moderne Abfüllanlage, sondern auch Gebäude, vor denen früher die Pferdefuhrwerke der Bierkutscher standen. Vorbei geht es am alten Sudhaus aus den 20er-Jahren bis in die verlassenen Katakomben unter der traditionsreichen Braustätte in Altona. Dorthin, wo in der feucht-kühlen Luft früher einmal das Bier in riesigen Fässern lagerte.
Es sind diese Wurzeln, die der Chef mit dem geplanten Umzug an eine andere Stelle in Hamburg kappen will, weil ihm die Kosten in Altona aus dem Ruder laufen. Ein Gespräch über den schrumpfenden Biermarkt, notwendige Veränderungen und den Spagat zwischen Historie und Moderne.
Hamburger Abendblatt: Herr Maßen, seit 1879 sitzt die Hamburger Holsten-Brauerei in Altona, nun planen Sie die Verlagerung. Ist dieser drastische Schritt wirklich notwendig?
Frank Maßen: Wir sitzen hier zwar an einem schönen, tradierten Standort, doch Patina und Historie reichen für die Zukunft nicht aus. Technisch gesehen ist vieles nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Beispielsweise arbeiten wir in den alten Gebäuden auf mehreren Ebenen, die Wege sind sehr lang und wenig effizient. Insgesamt liegen die Kosten in der Holsten-Brauerei etwa 50 Prozent über denen in unserer zweiten Braustätte in Lübz, die nach neuesten Standards errichtet wurde. Solch einen Unterschied können und wollen wir uns angesichts der starken Konkurrenz und eines weiter schrumpfenden Marktes nicht leisten.
In diesem Jahr haben Sie beim Absatz von Holsten, Astra, Lübz und den anderen Marken aber doch zulegen können.
Maßen: Wir werden in diesem Jahr tatsächlich etwa 2,77 Millionen Hektoliter bei Carlsberg Deutschland absetzen, was einem Zuwachs im zweistelligen Prozentbereich im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Das freut uns sehr und ist unter anderem durch den langen Sommer und die Fußball-WM zu erklären. Langfristig geht der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland aber immer weiter zurück, auch weil es die gesamte Branche nicht geschafft hat, Bier für ein junges Publikum ausreichend attraktiv zu machen. Die Trinkgewohnheiten haben sich einfach verändert.
Ihr bisheriges Gelände ist Ihnen vor diesem Hintergrund also zu groß?
Maßen: Das Grundstück, auf dem wir jetzt sitzen, ist mit seinen 86.500 Quadratmetern ursprünglich auf die Produktion von bis zu drei Millionen Hektoliter jährlich ausgelegt worden. Heute brauen wir in Hamburg etwa knapp die Hälfte, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese Menge signifikant steigen wird. Daher ist der Standort eindeutig überdimensioniert, wir müssen uns verkleinern.
Neu bauen könnten Sie aber auch in Altona und nur einen Teil des Grundstücks verkaufen. Warum also so einen traditionsreichen Standort ohne Not aufgeben?
Maßen: Ich glaube nicht, dass die Holsten-Brauerei in Altona langfristig eine Zukunft hat und in 20 bis 30 Jahren noch hier produzieren kann. Als die Braustätte Ende des 19. Jahrhunderts gegründet wurde, lag sie praktisch auf der grünen Wiese vor der eigentlichen Stadtgrenze. Heute sitzen wir mitten in einem Wohngebiet, was diverse Einschränkungen mit sich bringt. So dürfen wir nachts von 22 Uhr bis 5 Uhr nicht brauen und müssen uns auch tagsüber an diverse Lärmvorgaben halten. Hinzu kommt, dass mit der Neuen Mitte Altona in unserer direkten Nachbarschaft ein komplett neues Quartier entsteht. Das führt voraussichtlich auch zu einem deutlich höheren Verkehrsaufkommen, was unsere logistischen Probleme noch weiter verschärfen dürfte. Schon heute stehen unsere Bierlaster regelmäßig im Stau.
Einen neuen Standort zu finden ist aber auch schwer. Wo soll es denn hingehen?
Maßen: Wir suchen innerhalb der Stadtgrenzen Hamburgs nach einer neuen Fläche von rund 60.000 Quadratmetern, auf der wir ohne Einschränkungen rund um die Uhr Bier brauen können. Wo genau wir landen werden, hängt aber von den Angeboten ab, die wir bekommen. Da sind wir in engen Gesprächen mit den städtischen Behörden und dem Senat.
Und was ist, wenn Ihnen ein attraktives Grundstück im Speckgürtel, etwa in Norderstedt oder in Pinneberg angeboten wird? Wandern Sie dann doch ab?
Maßen: Holsten und Astra sind Hamburger Marken, die ihre Kraft aus ihrer regionalen Identität beziehen. Die können Sie nicht verlagern, ohne sie zu beschädigen. Also noch einmal ganz deutlich meine Position: Bei zu vertretenden Kostenstrukturen bleibt Holsten in Hamburg und wird auch weiter hier gebraut. Und am besten gelingt dies mit einem Neubau in den Stadtgrenzen.
Als einen denkbaren Standort soll der Senat Ihnen Flächen im Hafen angeboten haben. Wäre das eine Möglichkeit?
Maßen: Der Hafen wäre grundsätzlich ein möglicher Standort, es ist aber nichts entschieden.
Freie Gewerbeflächen gibt es auch in Billbrook, Allermöhe, Rothenburgsort.
Maßen: Wir prüfen verschiedene Flächen, mehr kann ich nicht sagen.
Wie soll die neue Brauerei aussehen?
Maßen: Sie soll auf jeden Fall effizienter und moderner werden, aber auch etwas kleiner als die bisherige. Statt mit einer Kapazität von 1,5 Millionen Hektolitern wie bislang planen wir nun mit einer Million Hektoliter pro Jahr. Offen ist im Augenblick, ob wir auch unsere PET-Abfüllanlage verlagern, da die Absatzmengen in diesem Bereich von der Entwicklung des wachsenden Dosensegments abhängig sind. Die Dosenabfüllanlagen stehen aber in Lübz.
Der Betriebsrat fürchtet wegen Verkleinerung und Rationalisierung einen Stellenabbau in der Produktion. Zu Recht?
Maßen: Der Umzug wird Arbeitsplätze kosten, das lässt sich jetzt schon absehen. Die neuen Anlagen sollen uns ja dabei helfen, die Kosten zu reduzieren, und das schließt auch die Personalkosten mit ein. Einen Arbeitsplatzabbau werden wir aber sozialverträglich und unter Einbeziehung rentennaher Lösungen gestalten, möglichst ohne betriebsbedingte Kündigungen.
Wie viele der noch 136 Stellen in der Produktion in Hamburg werden wegfallen?
Maßen: Das lässt sich jetzt noch nicht absehen. Bislang stehen ja noch nicht einmal der Standort und die genaue Größe der neuen Brauerei fest.
Bis wann soll der Umzug über die Bühne gehen?
Maßen: Ich würde gern in drei Jahren in die neuen Räumlichkeiten einziehen. Das hängt aber sehr von der Grundstückssuche ab und von Faktoren, die wir kaum beeinflussen können. Verzögerungen könnte es beispielsweise wegen Altlasten auf dem neuen Gelände geben.
Was lässt sich der Carlsberg-Konzern den neuen Standort denn kosten?
Maßen: Wir sprechen von einer Investition im hohen, zweistelligen Millionenbereich.
So viel müssten Sie doch eigentlich schon aus dem Verkauf des alten Holsten-Geländes herausholen können. Immerhin ist das ein Filetgrundstück mitten in der Stadt.
Maßen: Die Erlöse aus dem geplanten Verkauf des Brauereigeländes werden definitiv nicht ausreichen für den Neubau. Es geht schon um ein erhebliches Investment, um das wir in der Kopenhagener Zentrale auch kräftig kämpfen müssen, da auch andere Regionen Mittel für den Ausbau ihrer Geschäfte beantragt haben. Wir konkurrieren da mit Asien oder auch Osteuropa.
Beim Verkauf des alten Grundstücks sollen Sie sich schon mit einer Investorengruppe um den Hamburger Ehrenbürger und Bauunternehmer Helmut Greve und den Immobilienentwickler Procom einig geworden sein.
Maßen: Es gibt bislang keine unterzeichneten Verträge.
Aber es gibt Gespräche.
Maßen: Gespräche gibt es immer.
Ein klares Dementi klingt für mich irgendwie anders.
Maßen: Ich kann den Stand der Verhandlungen im Augenblick nicht kommentieren. Es liegt nicht in unserer Hand, was mit dem Holsten-Gelände nach einem Verkauf passiert. Das ist Sache der Stadt und eines möglichen, neuen Eigentümers. Für uns ist entscheidend, dass wir mit einem bestimmten Erlös planen können.
Neben dem Umzug haben Sie derzeit noch mehrere andere Baustellen im Konzern. Anfang September mussten rund 220 Mitarbeiter aus den Brauereien Hamburg und Lübz in die nicht tarifgebundene Carlsberg Markengesellschaft wechseln. Warnstreiks der Gewerkschaft NGG waren die Folge.
Maßen: Das Verhalten der Gewerkschaft ist aus meiner Sicht völlig unverständlich. Zum einen haben wir die Mitarbeiter aus organisatorischen Gründen lediglich vorübergehend in die Markengesellschaft wechseln lassen. Im Frühjahr kommenden Jahres wird der Produktionsbereich in der neuen, standortübergreifenden Carlsberg Supply Company zusammengefasst, die dann auch wieder Mitglied im Arbeitgeberverband wird. In der Übergangszeit bieten wir in einem Haustarifvertrag die Anerkennung alle bisherigen Entgelte und anderer Regelungen an. Niemand wird also schlechtergestellt.
Laut Gewerkschaft betätigen Sie sich mit dem zeitweiligen Austritt aus dem Arbeitgeberverband aber als Totengräber des Flächentarifs im Norden. Tarifverhandlungen könnten kaum noch stattfinden, da es keine Partner mehr für die Gewerkschaft gebe, heißt es.
Maßen: Das ist Unsinn, es gibt schließlich noch andere Brauereien außer uns, die sehr wohl mit der NGG verhandeln können. Und wir haben zugesagt, dass wir auch die ausgehandelten Tariferhöhungen für unsere neue Supply Company übernehmen werden.
Warum gehen Sie nicht auch mit der Carlsberg Markengesellschaft in den Arbeitgeberverband? Dann wäre der ganze Konflikt doch vermutlich in wenigen Tagen beigelegt.
Maßen: Die Markengesellschaft war nie Mitglied im norddeutschen Brauereiverband. Würden wir in dieser Gesellschaft, in der bislang ausschließlich die Marketing- und Vertriebsaktivitäten gebündelt waren, für alle die Brauertarife anwenden, dann würde das zu einer Kostenexplosion führen. Dann müsste ich beispielsweise einem Vertriebsmitarbeiter, der abends noch unterwegs ist, die gleichen Nachtzuschläge wie einem Brauer zahlen. Was die Gewerkschaft verlangt, ist also de facto eine Besserstellung zahlreicher Beschäftigter, die wir uns nicht leisten können.
Könnte dieser Konflikt auch Ihre Umzugs- und Neubaupläne ins Wanken bringen?
Maßen: Gewerkschaft und Betriebsrat spielen zumindest ein gefährliches Spiel. Bislang hatten wir eine klare Kalkulation für den geplanten Umzug. Wenn uns nun aber durch die Tarifauseinandersetzungen die Kosten an anderer Stelle aus dem Ruder laufen, könnte dies auch Auswirkungen auf Investitionsentscheidungen in der Kopenhagener Zentrale haben. Ich appelliere daher an alle Beteiligten, in dieser Frage an einem Strang zu ziehen. Es geht schließlich um die Zukunft der gesamten Brauerei.