Die GDL-Lokführer haben ihren Streik am Montagfrüh um 4 Uhr beendet. Gewerkschaftschef Weselsky ist nun zu Kompromissen mit der Bahn bereit. Ökonomen schätzen den volkswirtschaftlichen Schaden auf rund 50 Millionen Euro täglich.
Hamburg/Hannover/Bremen. Der bisher längste Lokführerstreik in diesem Jahr ist am frühen Montagmorgen wie angekündigt zu Ende gegangen. Seit 4 Uhr rollen die Züge im Fern- und Nachverkehr in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bremen wieder weitgehend planmäßig, sagte ein Sprecher der Deutschen Bahn. Alle Lokführer seien wieder da. Mit größeren Verzögerungen und Ausfällen im Berufsverkehr rechne er nicht. Dennoch sollten sich die Reisenden nach wie vor rechtzeitig über ihre Züge informieren.
Die Lokführer hatten in der Nacht zum Sonnabend die Arbeit niedergelegt. Der Notfahrplan funktionierte nicht immer – kaum ein Reisender kam wie geplant an sein Ziel. Insgesamt waren im Norden 80 Prozent der Züge ausfallen, hieß es von der Gewerkschaft. Für diese Woche hat der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, eine Streikpause angekündigt.
Am Montag erklärte Weselsky, er sei zu Kompromissen mit der Bahn bereit. Er hoffe jetzt auf entsprechende Verhandlungen, sagte der GDL-Chef in einem Interview von NDR Info. Das Bahnmanagement habe gesehen, wie die Beschäftigten ihnen die rote Karte gezeigt haben. Der Reiseverkehr sei zu 85 Prozent zum Erliegen gekommen, das sei „ein deutliches Signal Richtung Bahn, dass unsere Mitglieder zusammenstehen und mit ihrer Streikmaßnahme den Druck auf den Arbeitgeber erhöht haben“.
„Wir hoffen, dass das DB-Management nun mehr mit uns über die Tarifverträge, über die Tarifstrukturen und auch über die Frage Zugbegleiter redet.“ Er sei „zuversichtlich, optimistisch, dass Bewegung in das Ganze kommt, denn der Druck, den wir aufgebaut haben, ist enorm.“ Für weitere Streiks sei die GDL gut aufgestellt – sie hätten sowohl die Solidarität als auch die finanziellen Mittel. Die Pause und die Aufforderung an die Bahn, solle Gelegenheit für Verhandlungen geben. Er sei weiter optimistisch, dass das Bahn-Management nun verstanden habe, „wo die Reise hingehe und die Eskalation nicht noch weiter treibt“. Die DB lehne es ab, über die Tarifverträge und die Tarifforderungen der GDL überhaupt inhaltlich zu verhandeln. „Die Fakten sind eindeutig: das Bahnmanagement wünscht sich etwas anderes aber so ist eben nicht die Realität“.
Probleme mit HSV-Shuttleservice
Von Sonnabendnacht, 2 Uhr, bis zum heutigen Montag um 4 Uhr fuhren in Hamburg die S-Bahnen im Durchschnitt nur alle 20 bis 30 Minuten. Am Sonntag gab es außerdem auch keine Shuttlebusse von den S-Bahn-Stationen zu den Heimspielen des HSV und der Hamburg Freezers in Bahrenfeld, zu denen insgesamt rund 63.000 Menschen angereist waren. Stattdessen wurde ein Shuttleverkehr mit Bussen zwischen der U-Bahn-Station Hagenbecks Tierpark und den Sportarenen eingerichtet.
Der Streik betraf nicht nur Wochenendpendler und Fußballfans, sondern auch viele Urlaubsreisende und Ausflügler. Auf dem Hauptbahnhof blieb das Chaos jedoch aus. In der Nacht zu Sonntag hatte die Bahn für gestrandete Passagiere – so wie in mehreren anderen deutschen Großstädten auch – einen Hotelzug geöffnet, der allerdings kaum genutzt wurde. Die meisten Reisenden hätten sich vorab informiert und alternative Reisemöglichkeiten gesucht, sagte Bahnsprecher Matthias Franke.
Auch der Notfahrplan der Deutschen Bahn habe gegriffen, obwohl es teilweise zu massiven Verspätungen gekommen sei. So profitierten von dem zweitägigen Streik vor allem Reisebusunternehmen und Autovermieter. In ganz Deutschland herrschte auf den Omnibusbahnhöfen reger Andrang. Der Anbieter Mein Fernbus etwa verzeichnete eine Verdreifachung der Buchungen. Die großen Autovermieter meldeten auch in Hamburg überwiegend eine hohe Nachfrage, obwohl sich die Preise zum Teil mehr als verdreifacht hatten.
Dreistelliger Millionenschaden
Der volkswirtschaftliche Schaden des Lokführerstreiks wird von Ökonomen auf rund 50 Millionen Euro täglich geschätzt. Martin Boué aus Reinbek, der sich aus beruflichen Gründen „unbedingt bis Sonntagabend nach Darmstadt durchschlagen musste“, betrachtet den dritten Lokführerstreik binnen zehn Tagen als „Kräftemessen zweier Gewerkschaften, das rücksichtslos auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen wird“. Cornelia Moers-Minnemann, die mit ihrer Tochter Finnja auf der Rückreise von Amrum nach Ottbergen in Nordrhein-Westfalen wegen Verspätungen mehrere Stunden Zwangsaufenthalt im Hamburger Hauptbahnhof absitzen musste, sagte stellvertretend für viele: „Ich glaube der GDL nicht mehr, dass es ihr um Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzung geht. Die Gewerkschaft verfolgt politische Ziele, die niemand nachvollziehen kann.“
Tatsächlich fürchtet die GDL das geplante Tarifeinheitsgesetz, das die Bundesregierung Mitte November dieses Jahres auf den Weg bringen will. Mit diesem Gesetz soll der Einfluss von kleinen Spartengewerkschaften wie der GDL begrenzt werden. Deshalb versucht die Gewerkschaft (20.000 Mitglieder), die in Konkurrenz zur größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG, 140.000 Mitglieder) steht, die Tarifverhandlungen auch für die rund 17.000 Zugbegleiter und Rangierer an sich zu reißen, was die EVG jedoch ablehnt.
„Die Bahn bietet für Lokomotivführer auf den ersten Blick scheinbar massive Verbesserungen, die sie aber gleichzeitig den Zugbegleitern verweigert“, sagte GDL-Chef Claus Weselsky, dem inzwischen nicht nur „Mitgliederakquisition“, sondern auch Rechentricksereien vorgeworfen werden: Nach einem Bericht der „Bild am Sonntag“ könne die Zustimmung zum Streik nicht bei 91 Prozent der Mitglieder, sondern nur bei 74 Prozent gelegen haben, da bei der Urabstimmung die hohe Zahl der Nichtwähler nicht berücksichtigt worden sei. Damit wäre der Streik illegal gewesen.
Die Bahn wiederum will mit der GDL einen Lokführervertrag abschließen, lehnt aber konkurrierende Verhandlungen mit zwei Gewerkschaften zur gleichen Berufsgruppe strikt ab. Denn die EVG will nun auch für ihre Mitglieder unter den Lokführern am kommenden Mittwoch einen eigenen Tarifvertrag mit der Bahn verhandeln.
Bahn: Weselsky „läuft Amok“
Die GDL hatte den Streik trotz eines neuen Angebots der Deutschen Bahn durchgezogen. Es sieht eine dreistufige Gehaltserhöhung um fünf Prozent bis Juli 2016 sowie eine Einmalzahlung von rund 325 Euro vor. Zudem sollen zum Abbau von Mehrarbeit 200 zusätzliche Lokführer eingestellt werden. Doch das angekratzte Image der GDL, deren Vorsitzender Claus Weselsky nach Ansicht der Deutschen Bahn „Amok läuft“, hat in der Öffentlichkeit weiter gelitten. Hatten viele Reisende bis dato noch zum großen Teil Verständnis für die Forderungen der Lokomotivführer, hielten die meisten diesen dritten Streik „für total überzogen, gerade an so einem Ferienwochenende“, sagte Bernd Klein, für den es mit seiner Frau per Bus zurück nach Leipzig ging.
Auf die Kritik, die Streiks in die Ferienzeit zu legen, sagte GDL-Chef Claus Weselsky am Wochenende: „Es ist immer Hauptreisezeit, an sieben Tagen in der Woche.“ Für diese Woche seien jedoch keine weiteren Arbeitsniederlegungen geplant. Dafür trifft es jetzt die Flugreisenden. Die Pilotenvereinigung Cockpit hat am Sonntag einen 35-stündigen Streik der Lufthansa-Piloten für heute, 13 Uhr, bis zum morgigen Dienstag, 23.59 Uhr, angekündigt. Mindestens ein Dutzend Flüge fallen ab Fuhlsbüttel aus.
Mit Material von dpa