Die Lokführer haben am Sonnabend die Arbeit niedergelegt. Betroffen ist der komplette Bahnverkehr. Am Hauptbahnhof bildeten sich Schlangen, die S-Bahn fuhr seltener. GDL will den Streik fortsetzen.

Hamburg. Ausgerechnet an diesem Wochenende, wenn in sieben Bundesländern die Herbstferien beginnen, verschärft die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) den Tarifstreit erneut und legt den Zugverkehr in Deutschland für 50 Stunden lahm. Seit Sonnabendnacht zwei Uhr bis Montag, vier Uhr, sollen bundesweit möglichst viele Züge stillstehen. Betroffen sind Nah-, Fern- und Güterverkehr.

Bei den Bahnreisenden war der Frust am Sonnabend groß – zumal die Lokführer den Zugverkehr erst vor drei Tagen lahmgelegt hatten. „Wir sind ganz große Opfer“, sagte die Biologin Carina Arps-Forker am Hauptbahnhof Hannover. Als Organisatorin eines Symposiums mit Stammzellenforschern aus aller Welt habe sie wegen des Streiks am Mittwoch bereits Probleme gehabt, die Teilnehmer nach Hannover zu bekommen. „Für uns war das der Supergau.“

„Die Aktion ist total überzogen, gerade an so einem Wochenende“, meinte Bernd Klein am Fernbus-Bahnhof in Hannover. Statt per Bahn ging es für seine Frau per Bus nach Leipzig – dabei war das Paar bereits am Mittwoch vom Streik betroffen, als es gemeinsam Richtung Pfalz gegangen war. Klein nahm für die Fahrt einen Mietwagen. „Für uns ist das eine komplette Umstellung aller Pläne“, schimpfte Klein auf GDL-Chef Claus Weselsky. „Der macht hier persönlich Amok.“ Weselsky sagte am Nachmittag in Dresden, es sei unvermeidbar, Reisende zu beeinträchtigen. Auf den Vorwurf, Streiks in der Ferienzeit auszurufen, entgegnete er: „Es ist immer Hauptreisezeit, an sieben Tagen in der Woche.“

Bahnreisende müssen sich aber vermutlich in der kommenden Woche vorerst auf keine weiteren Behinderungen einstellen. Weselsky kündigte eine siebentägige Streikpause ab Montag an. „Ich denke, dass wir über die nächste Woche reden und dass wir dort eine Pause einlegen von mindestens sieben Tagen“, sagte Weselsky am Sonnabendabend im ZDF-„heute-journal“.

GDL will Streik durchziehen

Die GDL hat unterdessen bekräftigt, ihren Streik bis Montagmorgen durchziehen zu wollen. Eine hohe Beteiligung der Lokführer und zahlreiche Zugausfälle zeigten, dass das Zugpersonal in dieser Auseinandersetzung fest zusammen stehe, teilte Weselsky am Sonnabend in Frankfurt mit. Die Bahn halte indes weiter daran fest, Verhandlungen unter Vorbedingungen zu führen, die für die GDL unannehmbar seien. Die Gewerkschaft werde daher „nicht eher ruhen, bis der Arbeitgeber die Forderungen des Zugpersonals ernst nimmt und verhandelbare Angebote vorlegt“.

Vorbedingung der GDL für Tarifgespräche mit der Bahn ist es, neben den Lokführern auch für das übrige Zugpersonal wie Zugbegleiter oder Bordgastronomen zu verhandeln. Für diese Berufsgruppen führt jedoch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG federführend die Gespräche.

Der volkswirtschaftliche Schaden dieses Streiks dürfte bis zu 50 Millionen Euro täglich betragen. Zeitgleich zum Streikbeginn ist im Fern- und Regionalverkehr der vom Unternehmen für das Wochenende aufgestellte Ersatzfahrplan in Kraft getreten, sagte eine Bahnsprecherin am Sonnabendmorgen in Berlin. „Dieser Ersatzfahrplan greift.“

Die Bahn bemühte sich, mit einem Ersatzfahrplan die Auswirkungen auf die Passagiere möglichst gering zu halten. Nach Angaben der Bahn fuhr knapp jede dritte Bahn. Auf einigen Strecken in Schleswig-Holstein wurden zusätzlich Busse eingesetzt, wie ein Sprecher sagte. Die S-Bahnen in Hamburg fuhren am Sonnabendmorgen alle zwanzig bis dreißig Minuten.

Busse profitieren vom Streik

Der Streik betraf nicht nur Wochenendpendler, sondern auch Urlaubsreisende und Ausflügler. Vor den Informationsschaltern am Hamburger Hauptbahnhof bildeten sich Schlangen, das große Chaos blieb jedoch zunächst aus. In der Nacht hatte die Bahn für gestrandete Passagiere einen Hotelzug geöffnet. Viele Reisende hätten sich aber vorab informiert und Alternativen gesucht, sagte ein Bahnsprecher.

Auch in Niedersachsen und Bremen sorgte der Streik für massive Behinderungen im Zugverkeh. Allerdings konnte die Deutsche Bahn mit einem Ersatzfahrplan einen Teil der Züge dennoch auf die Reise schicken. Im Hauptbahnhof Hannover etwa stand am Mittag knapp die Hälfte der Züge auf der Abfahrtstafel, teils aber mit Verspätung. Auch die Regionalzüge von Wettbewerbern der Bahn, wie etwa der Metronom, waren von dem Streik nicht betroffen.

Von dem zweitägigen Streik profitieren im Fernverkehr vor allem Busse. Bereits am Freitag hatte die Nachfrage die Kapazitäten von Fernbus-Anbietern weit überschritten. MeinFernbus verzeichnete etwa eine Verdreifachung der Buchungen. Auf Omnibusbahnhöfen in ganz Deutschland herrschte am Sonnabendmorgen reger Andrang.

Der bundesweite Streik soll bis Montagmorgen um 4.00 Uhr andauern. Am Sonntag wird es keine Shuttle-Busse von den S-Bahn-Stationen zu den Heimspielen des Fußball-Bundesligisten Hamburger SV und des Eishockey-Clubs Hamburg Freezers geben. Stattdessen wird nur ein Shuttleverkehr mit Bussen zwischen der U-Bahn-Station Hagenbecks Tierpark und den Arenen angeboten.

Laut Deutscher Bahn müssen Millionen Reisende mit „massiven Beeinträchtigungen“ rechnen. Das Unternehmen wirft der Gewerkschaft einen „Amoklauf“ vor. „Wir können an der Stelle keine Rücksicht darauf nehmen, dass Urlaub ist oder dass etwa die Schulferien zu Ende gehen“, sagte dagegen GDL-Chef Claus Weselsky.

Gewerkschaft der Lokführer lehnte Angebot der Bahn am Freitagabend ab

Die GDL startete den Streik trotz eines neuen Angebots der Deutschen Bahn. Dieses sieht eine dreistufige Gehaltserhöhung um fünf Prozent bis Juli 2016 sowie eine Einmalzahlung von rund 325 Euro vor. Zudem bot der Konzern an, zum Abbau von Mehrarbeit im kommenden Jahr 200 zusätzliche Lokführer einzustellen.

Dieses Angebot wurde am Freitagabend von der GDL zurückgewiesen. Es sei „nicht geeignet, in die Verhandlungen einzusteigen, weil es lediglich dazu da ist, das Zugpersonal zu entsolidarisieren“, erklärte GDL-Chef Claus Weselsky. Das Unternehmen verweigere „nach wie vor inhaltliche Verhandlungen für das gesamte Zugpersonal in der GDL“. Die Bahn biete „für Lokomotivführer auf den ersten Blick scheinbar massive Verbesserungen, die sie aber gleichzeitig den Zugbegleitern verweigert“.

Um gestrandeten Reisenden zu helfen, stellte die Bahn in Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main und München Hotelzüge bereit. Diese seien in der Nacht zum Samstag „wenig genutzt“ worden, sagte die Bahnsprecherin. Offenbar hätten sich viele Reisende vor dem Streik genau informiert und umgeplant.

Hamburger S-Bahn fährt mit Notfallplan

Die Hamburger S-Bahn stellte für das Wochenende einen Notfallfahrplan auf. Das Ziel: Zumindest alle 20 bis 30 Minuten sollen Züge der Linien 1, 2 oder 3 unterwegs sein. Die U-Bahn lässt zudem deutlich längere Züge fahren. Geplant ist, Zubringerbusse zu den Arenen im Volkspark ausschließlich an der U-2-Station Hagenbecks Tierpark einzusetzen – und nicht an S-Bahnhöfen.

Die Nordostseebahn, der Metronom und der Anbieter Hamburg-Köln-Express (HKX) sind wie die U-Bahn nicht vom Streik betroffen. Fernbusse, die Hamburg anfahren, sind fast ausgebucht. „Am Wochenende gibt es nur noch wenige Plätze“, sagt Wolfgang Marahrens, Leiter des ZOB. Seit Streikbeginn hat sich die Nachfrage nach Busfahrten teilweise verdreifacht. Mehrere Veranstalter wollen ihre Linien verstärken. Autovermieter hatten schon am Freitag eine stark erhöhte Nachfrage von Reisenden vermerkt, die eigentlich die Bahn nutzen wollten. Sie versuchen, die Flotte kurzfristig dorthin zu bringen, wo am meisten Bedarf herrscht.

Am Sonntag drängen bis 15.30 Uhr etwa 55.000 Fußball-Fans zum HSV-Spiel gegen Hoffenheim. Knapp 7000 Besucher werden zeitgleich in der benachbarten O2 World zum Eishockey erwartet. In Wilhelmsburg startet zudem die Profi-Basketball-Mannschaft Hamburg Towers ihr erstes Heimspiel direkt neben der S-Bahn-Station. Weil es während des Streiks bundesweit keine Sonderzüge zu Spielen gibt, können mehrere Hunderttausend Fußball-Fans nicht mit der Bahn anreisen.