3000 Agrarhandelsvertreter aus aller Welt beraten am Freitag in Hamburg über die Lage der Branche. Politische Vorgaben und klimatische Bedingungen sind ihre größten Herausforderungen.
Hamburg. Es gehört zu den größten Treffen der Agrarhandelsbranche der Welt. Einmal im Jahr kommen Getreidehändler, Futtermittelhersteller, Düngemittelunternehmen, deren Logistiker, Mühlenchefs und Makler zur Europäischen Warenbörse zusammen. Am Freitag trifft sich die Branche nun hierzu seit 21 Jahren erstmals wieder in Hamburg. Rund 3000 Fachleute aus Europa, Amerika und Asien werden zur Konferenz und einer Ausstellung im CCH erwartet. Sie beraten über Zölle, Subventionen, Handelsbeschränkungen und das allgemein schlechte Jahr. Die Ernten sind nämlich fast überall auf der Welt so gut ausgefallen, dass sich die Preise im Sinkflug befinden.
Dass die Branchenexperten nach Hamburg kommen, hat seinen Grund: Die Hansestadt ist mit Rostock der größte Umschlagplatz deutschen Getreides. Sie liegt mit ihren Silokapazitäten an der Spitze der nordeuropäischen Häfen und verfügt über eine Lagerkapazität für Getreide von mehr als 250.000 Tonnen. Fast alle großen Rohstoffhändler der Welt sind in Hamburg präsent.
Zusammen laufen alle Fäden bei einer traditions- und einflussreichen Institution, die hinter einer schlichten Holztür in der Hamburger Handelskammer residiert: dem Verein der Getreidehändler der Hamburger Börse (VdG). Seit fast 150 Jahren ist er das anerkannte offizielle Sprachrohr des deutschen Groß- und Außenhandels mit Getreide, Ölsaaten, Futtermitteln, Hülsenfrüchten, Fischmehl und Speisesaaten. Hier wird über brancheninterne Streitigkeiten gerichtet, politische Initiativen werden hinter dieser Tür ausgebrütet, und einmal in der Woche trifft sich hier auch eine Notierungskommission, um die aktuellen Preise für die Agrarrohstoffe festzustellen. Die Hamburger Getreidebörse ist die einzige noch aktive Warenbörse unter dem Dach der Hamburger Börse. Der Verein zählt 140 Mitglieder aus dem ganzen Bundesgebiet.
„Wir importieren Hafer aus Finnland und Schweden, um ihn an Mühlen in ganz Deutschland weiterzuliefern. Gerste verschiffen wir in großen Mengen als Futtermittel nach Saudi-Arabien. Der deutsche Brotweizen wird von Hamburg aus nach Nord- und Südafrika, aber auch in den Iran und Irak geliefert“, sagt der Geschäftsführer des VdG, Christof Buchholz. Und er fügt hinzu: „Aufgrund der guten Ernte in diesem Jahr sind übrigens alle Läger im Hafen randvoll. Das ist eine Herausforderung für die Logistik.“
Nicht nur die Logistik ist für manchen Händler ein Problem. Auch die geringe Marge wegen der guten Ernte. Eine Tonne Brotweizen erlöst heute rund 173 Euro. Das sind knapp 100 Euro weniger als noch vor zwei Jahren. Damals sorgte eine Dürre in Nordamerika für Rohstoffknappheit und hohe Preise. „Auch der Maispreis ist mit 167 Euro pro Tonne derzeit so niedrig wie lange nicht mehr“, sagt Buchholz. „Das kann im kommenden Jahr aber schon wieder ganz anders aussehen.“
Manchmal ist die Lage schon nach wenigen Wochen anders, denn die Zeiten, in denen das Geschäft saisonabhängig war, sind vorbei. Getreidehandel ist eine globale Angelegenheit – rund um die Uhr. „Irgendwo ist immer gerade Erntezeit“, sagt Jens Kaß, einer der rund 30 Hamburger Getreidehändler. Sie kaufen Getreide von heimischen Bauern und liefern es in alle Welt, weil vor allem das Brotgetreide wegen seines hohen Proteingehalts als sehr gut gilt.
Zugleich erwerben sie aber auch Getreide aus dem Ausland und verkaufen es in- und außerhalb Deutschlands weiter. Dem Statistischen Bundesamt zufolge gingen 23,6 Prozent der deutschen Getreideexporte in den ersten sieben Monaten des Jahres 2014 in den Iran. Dorthin wurden 1,8 Millionen Tonnen im Wert von 415 Millionen Euro verkauft. Damit war der Iran Hauptempfänger deutschen Getreides vor den Niederlanden und Belgien. Dazu muss man wissen, dass nur fünf bis zehn der rund 50 Millionen Tonnen Getreide, die jährlich in Deutschland geerntet werden, in den Export gehen. „Größter Abnehmer ist die Futtermittelindustrie“, sagt VdG-Geschäftsführer Buchholz, „gefolgt von den Mühlen für die Lebensmittelindustrie, dem Export und schließlich den Unternehmen auf dem Biogas und Bioöl-Markt“.
Obgleich der Markt von den vier Branchenriesen ADM, Bunge und Cargill aus den USA sowie Glencore aus der Schweiz dominiert wird, gibt es kaum Streit. Auseinandersetzungen unter Handelspartnern werden intern vor dem Schiedsgericht des VdG ausgetragen, selten vor öffentlichen Gerichten. Etwa 50 bis 60 Verfahren landen jährlich vor dem Schiedsgericht. „In 95 Prozent der Fälle entscheidet es auch endgültig“, sagt Alexander Bauer, Justiziar des VdG. In der Regel akzeptieren beide Seiten den Schiedsspruch, das ist bereits im Kontrakt basierend auf den Einheitsbedingungen des deutschen Getreidehandels vereinbart worden.
Kaum eine Branche befindet sich in einem so starken Spannungsfeld zwischen freiem Handel und politischer Einflussnahme wie der Agrarhandel. „Die Politik ist in unserem Geschäftsfeld am wenigsten berechenbar“, sagt VdG-Geschäftsführer Christof Buchholz. Und da Getreide, wie andere Güter auch, inzwischen über die ganze Welt gehandelt wird meint er nicht nur die Bundespolitik. Kurzfristige Bestimmungen wie Einfuhrbeschränkungen, etwa der Importstopp von Russland, seien Gift für die Händler, da viele Kontrakte Monate im Voraus im Termingeschäft vereinbart werden.
So einen Vorfall kennt auch Jens Kaß von der Firma C. Mackprang Jr.. Das Unternehmen handelt mit Agrarrohstoffen aller Art und ist Spezialist für Braugerste. Kaß schließt derzeit Lieferaufträge für 2015 und das folgende Jahr ab. Da er aber nicht weiß, wie sich der Gerstenpreis entwickelt, muss er diese Geschäfte mit kurzfristigen Getreidehandelsgeschäften am Spotmarkt absichern. Kaß kennt die Gefahren durch kurzfristige politische Entscheidungen. So wurde am 1. März vergangenen Jahres bekannt, dass Tausende Bauern Maisfutter mit einem krebserregenden Pilz aus Serbien geliefert bekommen haben könnten.
Die Bundesregierung sperrte vorsorglich ganze Höfe und verhängte sofort einen Importstopp – und zwar nicht nur für Mais aus Serbien, sondern aus allen osteuropäischen Ländern. Kaß, der mit der Sache eigentlich nichts zu tun hatte, saß plötzlich auf Tonnen von Mais aus Polen, die er nicht loswurde. „Erst im Juni hoben die Behörden die Beschränkungen wieder auf, nachdem sich herausgestellt hatte, dass lediglich eine Schiffsladung in Deutschland mit dem Pilz befallen war“, sagt er. Kaß, der zugleich dem Ausschuss für Agrar- und Ernährungswirtschaft beim Bundesverband der Groß- und Außenhändler vorsteht, fordert deshalb unter anderem verlässliche Rahmenbedingungen durch die Politik, auf die sich die Händler verlassen können. Das gelte vor allem für den Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Hier ist die Handhabung außerhalb der EU sehr unterschiedlich. Zudem gibt es keine einheitlichen Analysen zum Spurennachweis von gentechnisch veränderten Organismen in Lebensmitteln.
Ebenfalls für politischen Zündstoff sorgt die Landnutzung für die Erzeugung von Biokraftstoffen. 2006 wurde der Anbau von Rapsöl auf Druck der Bundesregierung massiv ausgeweitet. Nach mehreren Jahren mit steigenden Absätzen geht der Verkauf aber jetzt wieder zurück. Denn der einstige Preisvorteil von Biodiesel ist nach Steuererhöhungen aufgezehrt worden. Die Folge: „Es sind riesige Kapazitäten für Biokraftstoff geschaffen worden, die jetzt nicht mehr abgerufen oder ausgelastet werden können“, sagt Kaß. Auch hier wünscht der VdG sich, dass die Politik in ihren Aussagen verlässlicher wäre.
Neben der Politik ist die zweite große Herausforderung für die Händler das Wetter. Praktisch jeder hat ganze Wetterkarten im Kopf. Nicht nur die Karte von Norddeutschland. Natürlich geht es dabei nicht um Wettervorhersagen für die nächsten Tage. Aber saisonale klimatische Entwicklungen werden sorgfältig beobachtet. „Bei Phänomenen wie El Niño oder La Niña horchen wir auf“, so Kaß. Dann verschieben sich nämlich die Ernteaussichten zwischen Südamerika und Australien.