Der Hamburger Konzern KTG Agrar bewirtschaftet satellitengestützt rund 45.000 Hektar Ackerfläche in Ostdeutschland und Litauen. Nun lässt der Chef auch Müslis und Soja-Produkte herstellen.
Hamburg Der Rübenvollernter vom Typ Holmer T3 ist nicht auf Kurs. Eigentlich sollte das schwere, knallrote Gerät an diesem Vormittag auf einem Feld in Brandenburg unterwegs sein und vollautomatisch Zuckerrüben aus dem Boden holen. Doch stattdessen steht die teure Maschine auf dem Betriebshof in Puttlitz. Geschwindigkeit: null. Erntemenge: null.
Siegfried Hofreiter kommt diese Untätigkeit ein wenig seltsam vor. Daher greift der Chef des Hamburger Konzerns KTG Agrar kurzerhand zum Telefon und ruft den zuständigen Regionalmanager an. Der Fahrer müsse noch die Messer der Maschine schärfen, bekommt er zu hören. Gegen Mittag soll es aber losgehen.
Hofreiter hat seine Erntemaschine an diesem Vormittag nicht wirklich zu Gesicht bekommen. Der 52-Jährige ist nicht einmal in der Nähe von Puttlitz. Leger und im weißen Polohemd sitzt er gut 150 Kilometer entfernt in einem Konferenzraum in der Hamburger Konzernzentrale unweit der Binnenalster. Von Acker und Rüben keine Spur.
Der Rübenernter ist nur als kleines Abbild auf dem Laptop des Konzernchefs zu sehen. Auf einer Karte sind Hunderte von landwirtschaftlichen Fahrzeugen verzeichnet, die durch die ostdeutschen Bundesländer zuckeln. Traktoren, Häcksler, Lastwagen, Mähdrescher. Alle senden in regelmäßigen Abständen ein Signal, das per Satellit weitergeleitet wird und Aufschluss über ihren jeweiligen Standort und die derzeitige Geschwindigkeit gibt.
„Jeder, der damals mit uns Geschäfte gemacht hat, trinkt heute noch einen Kaffee mit uns“
Dieses System hilft Siegfried Hofreiter, die Kontrolle über das gewaltige Ackerimperium mit 900 Mitarbeitern zu behalten, das er in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut hat. Es ist eines der größten in Europa, auf rund 45.000 Hektar baut das börsennotierte Unternehmen in Deutschland und Litauen Rüben, Getreide, Mais, Soja und andere Marktfrüchte an. Hinzu kommen Joint Ventures in Rumänien und Russland. „Im nächsten Jahr wollen wir unsere Anbaufläche auf 50.000 Hektar erweitern“, sagt Hofreiter, der sich selbst als „Flächenfan“ bezeichnet.
Hofreiter ist gebürtiger Bayer, sein Akzent verrät sofort die Herkunft aus Ottobrunn bei München. Als zweiter Sohn eines Bauern ging er bei der Erbfolge leer aus, studierte aber dennoch Agrarwissenschaften und suchte anschließend sein Glück im Osten. Nach der Wende zog Hofreiter zusammen mit seinem jüngeren Bruder durch die neuen Bundesländer und kaufte den ostdeutschen Genossenschaften ihre Ländereien ab. Manch einer der damaligen Partner klagt heute, die Brüder hätten ihm viel zu niedrige Preise für die Äcker gezahlt. „Jeder, der damals mit uns Geschäfte gemacht hat, trinkt heute noch einen Kaffee mit uns“, sagt hingegen der Konzernchef.
Heute laufen die Geschäfte jedenfalls gut für den Großbauern. Um fast 50 Prozent auf 100 Millionen Euro hat Hofreiter den Konzernumsatz im ersten Halbjahr 2014 steigern können. Der Gewinn vor Zinsen und Steuern stieg um 45 Prozent auf 17,5 Millionen Euro, das Periodenergebnis sogar noch deutlich stärker von 0,7 auf rund 4,4 Millionen Euro.
Mit der Vorstellung vom Bauern, der in aller Ruhe seine Felder bestellt, hat das nichts mehr zu tun
Die guten Zahlen haben zum einen mit der Effizienz zu tun, mit der Hofreiter seine Felder bewirtschaften lässt. Der eigentliche Leitstand des Unternehmens befindet sich nicht in der Hamburger Konzernzentrale, sondern am zweiten Standort im brandenburgischen Oranienburg. Dort planen die Mitarbeiter die optimalen Routen für die Mähdrescher, die dann per Navigationsgerät ihren Weg zu und auf den Äckern finden. Zugleich werden die Lkw zum Abtransport der Ernte zu den richtigen Stellen gelotst. „Ein Mähdrescher kostet in der Anschaffung heute rund 350.000 Euro“, sagt Hofreiter. „Wenn solch ein Gerät mal paar Stunden steht, dann entsteht uns gleich ein Schaden von mehreren Hundert Euro.“
Mit der romantischen Vorstellung vom Bauern, der in aller Ruhe seine Felder bestellt, hat das alles freilich nichts mehr zu tun. „In Deutschland geht es vor allem um eine Optimierung der Erträge, in Ländern wie Rumänien auch um Kontrolle.“ Dort kommt es nach den Erfahrung Hofreiters auch schon mal vor, dass ein Mähdrescher das Feld eines Nachbarn mit aberntet oder ein Teil der Ernte auf unerklärliche Weise verschwindet.
So sehr sich der Vorstandschef aber auch müht, die Effizienz beim Anbau zu steigern, eines kann er nur sehr bedingt beeinflussen: den Preis. Weil die Ernte in diesem Jahr besonders gut ausfällt, sind die Preise etwa bei Kartoffeln oder auch Getreide unter Druck.
Die schwankenden Preise wirken sich auch auf den Aktienkurs des Konzerns aus, er ist sehr volatil und legt langfristig betrachtet kaum zu. Daher will Hofreiter nun weg vom reinen Ackerbau, hin zu anderen Produkten, die auf den geernteten Rohstoffen aufbauen und die ein stabileres Geschäft versprechen.
In den vergangenen Jahren hat Hofreiter bereits die Ökomarke Bio-Zentrale erworben
Der erste Schritt war die Gründung der inzwischen selbst börsennotierten Tochtergesellschaft KTG Energy, die Biogasanlagen betreibt, in denen KTG-Pflanzen verarbeitet werden. Mittlerweile geht Hofreiter noch einen Schritt weiter und bringt mit der Tochter KTG Foods auch selbst hergestellte Lebensmittel in die Supermärkte. „Mittelfristig wollen wir mehr als die Hälfte unserer eigenen Rohstoffe selbst verarbeiten“, sagt er. „Das macht uns unabhängiger von den Schwankungen an den Agrarmärkten und ermöglicht uns eine wesentlich höhere Marge.“
In den vergangenen Jahren hat Hofreiter bereits die Ökomarke Bio-Zentrale erworben. Den Tiefkühlkosthersteller Frenzel, einst als „Iglo Ostdeutschlands“ bekannt, kaufte er aus der Insolvenz. Darüber hinaus hat der Chef die Marke Die Landwirte entwickeln lassen, unter der Müslis, Öle, aber auch Kartoffeln in besonderen Schachteln in die Supermärkte kommen.
Angefangen hat Hofreiter mal mit Bioanbau, heute setzt er bei den selbst produzierten Lebensmitteln eher auf glaubwürdige Regionalität. Auf den Packungen sind keine alten Bauernhäuser wie bei manchen Konkurrenten zu sehen, sondern Mähdrescher und andere Maschinen.
Durch das Scannen eines QR-Codes sollen die potenziellen Käufer Livebilder von den Feldern des Unternehmens empfangen können. „Wir wollen den Kunden keine Oldenburger Bauernidylle bieten, sondern zeigen, wie moderne Landwirtschaft funktioniert“, betont Hofreiter.
Mit seiner neuen Foodsparte hat der Konzernchef große Pläne. „Der Umsatz soll von 100 Millionen Euro in diesem Jahr auf mittelfristig 300 Millionen Euro steigen“, sagt Hofreiter. Dazu beitragen soll auch der Aufbau einer neuen Tofufabrik beim Tiefkühlhersteller Frenzel, in der der Chef vegetarische Alternativen zu Fleisch herstellen lassen will.
Ab 2018 könnten wir auch über einen Börsengang oder einen Partner nachdenken
„Wir wollen die neue Anlage bereits im Herbst kommenden Jahres in Betrieb nehmen“, sagt Hofreiter. Verarbeitet wird dort dann gentechnikfreies Soja von den eigenen KTG-Äckern. „Ab 2018 könnten wir auch über einen gesonderten Börsengang der Foodsparte oder einen Partner nachdenken.“
Den Standort Hamburg als Konzernzentrale will Hofreiter bei all den Plänen aber beibehalten, auch wenn hier gerade einmal 20 Menschen für die Gruppe arbeiten. „Die Hansestadt ist das Zentrum des Getreidehandels in Europa, hier sind wir sehr gut aufgehoben“, sagt er.
KTG Agrar sitzt an der Ferdinandstraße in der Innenstadt, vom Konferenzraum kann man direkt in die Büros des traditionsreichen Agrarhändlers Toepfer blicken, der vor Kurzem in ADM Germany umbenannt wurde. So hat Hofreiter einen direkten Draht zu den Getreidemärkten weltweit. Auch die Finanzierung fällt hier leichter als in anderen Städten, weil sich Hamburger Banken schon seit Jahrhunderten mit dem Agrarhandel auskennen.
Seine Mähdrescher und Rübenernter im Osten hat Hofreiter jedenfalls auch von der Hansestadt aus im Blick. Das satellitengestützte Kontrollsystem soll sogar auf seinem Smartphone funktionieren.