„Wara“ Wende, Susanne Gaschke, Aygül Özkan – warum politische Karriere auch im Norden nicht auf Bestellung funktioniert. Eine Analyse der politisch gescheiterten Seiteneinsteigerinnen.
Mann könnte jetzt natürlich sagen: Typisch Frau! Den Damen fehlte einfach die notwendige Härte. Die Fähigkeit auch mal einstecken, vielleicht sogar Fehler einzugestehen und dann trotzdem weitermachen zu können. Tugenden, die dringend benötigt, wer in der Politik erfolgreich bestehen möchte. Aygül Özkan, Ex-Sozialministerin in Niedersachsen, Susanne Gaschke, Ex-Oberbürgermeisterin von Kiel, “Wara“ Wende, Ex-Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, eint ja mindestens zweierlei. Sie kamen als sogenannte Seiteneinsteigerinnen in die Politik. Mit ziemlich großen Ambitionen. Und sie haben diese Politik recht zügig wieder verlassen. Mit großen, manchmal sehr großen Beulen in der Biografie. Seitenaussteigerinnen. Gewogen, zu leicht befunden. Und tschüs!
Natürlich greift eine solche Polemik viel zu kurz. Özkan, Gaschke und Wende sind aus ganz unterschiedlichen Motivationen in die Politik gekommen. Und sie haben sie auch aus unterschiedlichen Gründen zügig wieder verlassen. Alle drei eint, dass sie zu Beginn ihrer politischen Tätigkeit viel Lob bekamen, erst für ihren mutigen Schritt, dann auch für ihre Amtsführung.
Die drei eint aber auch, dass am Ende alle anderen Mitstreiter ziemlich froh waren, als die politischen Ausflüge der drei Amazonen wieder zu Ende gingen. Es findet sich heute weder im Kieler Landeshaus noch im Kieler Rathaus noch im Landtag von Hannover eine ernst zu nehmende Größe, die Özkan, Gaschke oder Wende eine Träne nachweint.
Das liegt zum Teil natürlich an der Art und Weise, in der die drei Damen zu Amt und Würden gekommen sind. Während sich die damalige „Zeit“-Journalistin Susanne Gaschke der Kieler SPD geradezu aufdrängen musste als Oberbürgermeister-Kandidatin, waren es in den Fällen Özkan und Wende die jeweiligen Ministerpräsidenten, die ihren Parteien zwei bis dahin unbekannte Gesichter verordneten und sich dabei nicht ausschließlich von fachlichen Erwägungen treiben ließen.
Albig setzte mit Wende Zeichen in eigener Sache
Christian Wulff wollte im Jahr 2010 mit der Berufung der ersten Ministerin muslimischen Glaubens unbedingt ein bundesweit beachtetes Ausrufungszeichen setzen. Mit Aygül Özkans Nominierung zur niedersächsischen Sozialministerin gelang ihm das 2010 meisterhaft. Es dauerte wenige Tage, da handelten wichtige deutsche Tageszeitungen den ehrgeizigen niedersächsischen Regierungschef auch schon als möglichen Bundespräsidenten.
Auch Torsten Albig setzte mit der Berufung Wendes zur schleswig-holsteinischen Bildungsministerin ein Zeichen in eigener Sache. Waltraud Wende war „seine“ Ministerin, seine Erfindung, sein Signal in die SPD und an die Öffentlichkeit, dass nicht der Parteichef und alte Rivale Ralf Stegner den sozialdemokratischen Teil der Kabinettsliste diktierte. Sondern, dass er, Albig, es war, der in der soeben geschlossenen Küstenkoalition die maßgeblichen Akzente setzte. Also holte er für das zentrale Feld der Bildungspolitik eine Frau in die Regierung, von der nun niemand sagen konnte, sie sei Stegners Marionette.
Wende, Özkan, Gaschke, sie alle kamen nicht, weil sich die jeweilige Partei händeringend nach Fachkompetenz oder auch nur „frischem Wind“ von außen sehnte. Im Gegenteil.
Zumindest die sozial- und christdemokratischen Parteifunktionäre, der vitale Mittelbau der Organisationen, hätte sich ganz gerne gewehrt gegen die persönlichen Coups, die den Amtseinführungen der drei Damen vorhergingen. Im Fall Gaschke manifestierte sich dieser Widerwille in einer äußerst knapp ausgegangenen Urwahl, bei der die Parteioberen jedenfalls nicht auf Gaschkes Seite standen. Bei Özkan und Wende blieben die Fäuste der Funktionäre widerwillig in den Taschen. Alles andere hätte ja auch zu einer ernsthaften Regierungskrise geführt. Willkommen waren die beiden neuen Ministerinnen jedenfalls auch längst nicht überall. Ein Umstand, der alle drei Seiteneinsteigerinnen von vornherein schwächte.
Özkan benötigte den kürzesten Anlauf zum ersten Fettnäpfchen
Hinzu kommt die naturgemäß mangelnde Erfahrung im politischen Geschäft. Alle drei Seiteneinsteigerinnen erlaubten sich frühe Fehler, die anderen, erfahreneren Parteipolitikern womöglich auch hätten passieren können, allerdings mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit.
Den kürzesten Anlauf zum ersten Fettnäpfchen benötigte Aygül Özkan, die noch gar nicht im Amt war, als auch schon die ersten Rücktrittsforderungen gegen sie erhoben wurden. Die designierte Sozialministerin hatte sich erlaubt, sich in einem Bundesland, in dem formell die Trennung von Kirche und Staat Verfassungsrang hat, für den Verzicht auf christliche Symbole in Klassenzimmern auszusprechen. Für große Teile der niedersächsischen CDU war diese Haltung unerträglich.
Erst nach einer sehr weitreichenden Entschuldigung Özkans und dank der schützenden Hand ihres Ministerpräsidenten erreichte die Juristin doch noch ihr Ministerbüro. Sie agierte brav, fleißig, ohne größere, nach außen wahrnehmbare, Akzente zu setzen – und blieb in der CDU isoliert. Als der Union später sowohl die Regierungsmehrheit als auch Christian Wulff abhanden gekommen war, nahm sie noch ein paar Wochen auf der Hinterbank des niedersächsischen Landtags Platz. Sie räumte ihn, sobald ihr ein privates Unternehmen die Rückkehr in die freie Wirtschaft ermöglichte. Fraktion und Partei wünschten ihr gute Reise.
Auch „Wara“ Wende beging noch vor ihrer Vereidigung als Ministerin einen Fehler, der sich allerdings erst zwei Jahre später als fatal erweisen sollte. In einem im Nachhinein naiv anmutenden Akt der Selbstüberschätzung wies die damalige Flensburger Hochschulpräsidentin den von ihrem Wohlwollen abhängigen, für das Personalwesen der Hochschule zuständigen Uni-Kanzler an, ein ihr geboten erscheinendes Rückkehrrecht schriftlich zu fixieren, 8000 Euro Monatsgehalt und ein bezahltes Sabbatical inklusive.
Gaschke beging persönlichen Stockfehler nach einem halben Jahr
Dass die Ministerin in spe dabei keinerlei Unrechtsbewusstsein hatte, zeigt sich zum einen in der schriftlichen, also jederzeit nachvollziehbaren und gegen sie zu verwendenden Form ihrer Anweisung, zum anderen in deren Ton: Der Kanzler möge es bitte „nicht wieder so kompliziert“ machen mailte sie und dokumentierte damit, dass ihr das Wesen politischer Verwaltung komplett fremd war. Ein Umstand, der ihr bei der anstehenden juristischen Bewertung dieses Fehlers, zugute kommen wird.
Öffentliche Verwaltung ist nun mal per se kompliziert. So kompliziert, dass sie jeden „Seiteneinsteiger“ quasi zwangsläufig in den Wahnsinn treiben muss, gerade weil diese Seiteneinsteiger naturgemäß über großes Selbstbewusstsein und eine gewisse Chuzpe verfügen. Sonst würden sie sich diesen risikobehafteten Schritt ja nicht zutrauen. Die daraus folgenden Probleme, starke Charaktere treffen auf zähe Abläufe, sind ebenso absehbar wie weitgehend unvermeidbar.
Denn die Komplexität staatlicher Apparate, so umständlich sie gelegentlich erscheint, macht ja Sinn. Öffentliche Verwaltung muss jederzeit nachvollziehbar sein, sie muss den Gesetzen entsprechen. Sie muss alle Menschen gleich behandeln, sie muss in diesem Streben über jeden Zweifel erhaben und darf am Ende nicht anfechtbar sein. Das ist eigentlich immer kompliziert, aber ein Staat, der dieses Maß an Transparenz und Verlässlichkeit nicht gewährleistet, verliert sein wichtigstes Gut: das Vertrauen der Bürger.
Susanne Gaschke hat ihren persönlichen Stockfehler erst ein gutes halbes Jahr nach ihrer Amtseinführung begangen. Er spielt aber auf vergleichbarem Terrain. Es gibt krisenhafte Momente, in denen muss ein Regierungschef oder ein Stadtoberhaupt, der Chef einer Verwaltung also, zügig, allein und ohne parlamentarische Absicherung entscheiden. Ein seit Jahren schwelender komplexer Steuerstreit gehört mit Sicherheit nicht dazu. Gaschkes „Eilentscheidung“ war insofern ein früher Fehler einer Seiteneinsteigerin, der mehr das Wort lag als die Einhaltung diverser Paragrafen.
Özkan, Wende, Gaschke: Drei Seiteneinsteiger, drei frühe Fehler
Allerdings wäre dieser Fehler vermutlich reparabel gewesen, wenn die damalige Oberbürgermeisterin ihn anstandslos eingeräumt hätte. Stattdessen suchte sie Mitschuldige, strickte um diese herum eine Legende, die ihren eigenen Fehler in milderes Licht setzen sollte und beraubte sich so ebenfalls eines wichtigen Guts: ihrer Glaubwürdigkeit.
Torsten Albig, die Kieler Ratsopposition und die Medien, Gaschkes Mitschuldige, sind bestimmt keine Unschuldslämmer. Im Gegenteil, alle drei machen ständig Fehler. Aber die übereilte und mindestens insofern fehlerhafte Unterschrift, die hatte nicht Albig geleistet und auch nicht die Medien. Erst recht nicht die Opposition, die sogar ein Recht darauf gehabt hätte, vorab mit der Entscheidung konfrontiert worden zu sein. Das also weder Albig noch die Opposition noch die Medien über Gaschkes Vereinnahmung begeistert waren, kann nicht wirklich verwundern. Gaschkes Verschwörungstheorie geriet auf diesem Weg zur self fulfilling prophecy, zu einer sich selbst erfüllenden Prognose.
Özkan, Wende, Gaschke. Drei Seiteneinsteiger, drei frühe Fehler, die zumindest auch auf das Zusammentreffen von relativ großer persönlicher Chuzpe und mangelnder Erfahrung im Politikbetrieb zurückzuführen war. Ein Manko, das sich zusammen mit der fehlenden parteipolitischen Rückendeckung zu einer nur in Ausnahmefällen elegant überwindbaren Hürde erwiesen hat. In der Regel bedarf es dafür eines Bücklings.
Aygül Özkan hat ihren frühen Fehler per Kotau ausgewetzt, sodass sie ihr Amt antreten und ausüben konnte, bis der Wähler Schwarz-Gelb in Niedersachsen insgesamt in die Opposition schickte. Den mangelnden Rückhalt in der Niedersachsen-Union hat dann weder diese Entschuldigung noch eine passable Amtsführung ausgeglichen. Und eine weitere Demutsgeste, die in der dann vollständigen Unterordnung in den hinteren Reihen der niedersächsischen CDU bestanden hätte, wollte sich Özkan dann nicht mehr zumuten.
Wende und Gaschke, anders als die zur Diplomatie fähige Özkan schon in ihren früheren Tätigkeitsbereichen talentierte Rechthaberinnen, konnte sich zu einer solchen vorbehaltlosen Entschuldigung ohnehin nie entschließen, nicht einmal „auf frischer Tat“. Auch wenn sie einige Positionen im Laufe der Konflikte räumen mussten, schwang in ihren Verteidigungsreden immer eine gehörige Portion Trotz mit. Die Gefahr, dass dieser persönliche Trotz in einer selbst verursachten Krise eventuell wenig sachdienlich sein könnte, haben sie in Kauf genommen und damit weniger Selbstbewusstsein als eine gewisse Beratungsresistenz dokumentiert. In Verbindung mit dem Fehlen parteipolitischen Rückhalts und mangelnder Erfahrung eine auch für ambitionierte und fachlich kompetente Seiteneinsteiger fast schon zwangsläufig „tödliche“ Mischung.