Die zuständigen Grundschulen hatten es aufgrund der Krankheit des Jungen abgelehnt, den kleinen Ben einzuschulen. Hamburgs Schulsenator sagt, nie wieder sollen Schulen Erkrankte abweisen.
Hamburg . Das Schicksal des sechs Jahre alten, an Diabetes Typ 1 erkrankten Ben hat viele Menschen in Hamburg bewegt – und empört: Die zuständigen Grundschulen Ohkamp und Grützmühlenweg hatten es aufgrund der Krankheit des Jungen abgelehnt, den Erstklässler einzuschulen. Nach dem Abendblatt-Bericht darüber kommt nun Bewegung in die Angelegenheit.
Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde, teilte am Mittwoch mit: „Senator Ties Rabe lässt die organisatorischen und juristischen Hürden prüfen, mit dem Ziel, dass nie wieder ein solches Kind an einer staatlichen Schule abgewiesen wird.“
Am Wochenende hatte sich eine Initiative von Müttern gegründet, die Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und die Schulbehörde dazu aufforderte, umgehend zu reagieren und auch zuckerkranken Kindern „die bedingungslose Aufnahme an öffentlichen Schulen zu ermöglichen und Willkür zu beenden“. „Wir wünschen uns, dass die Politik reagiert, damit so etwas wie im Fall Ben nicht noch einmal passiert. Es muss mehr Aufklärung an Schulen stattfinden, damit Lehrer die Angst vor der Verantwortung verlieren“, sagen Anke Matschke-Schubbert aus Bergstedt, bei deren Sohn Nick, 11, im Februar 2014 Diabetes diagnostiziert wurde, und Julia von Borck aus Bramfeld, deren Sohn Jacob seit August 2009 daran leidet.
In dem Schreiben an den Bürgermeister heißt es: „Die Einschränkungen, die eine Familie mit einem chronisch kranken Kind hat, wissen wir nur zu gut einzuschätzen. Die Seele der Kinder ist tief getroffen mit dem Wissen, das es keine Verbesserung auf Lebenszeit geben wird. Wie erklärt man seinem Kind, das die Einschulung gar nicht abwarten kann, dass es leider in eine Schule ohne Kindergartenfreunde gehen muss, weil die zuständigen Grundschulen mit Diabetes nicht umgehen können.“ Dabei gebe es jede Menge Schulungen für Lehrer und Erzieher, die die Aufnahme eines Kindes mit Diabetes sehr gut möglich machten. Die Rechtsabteilung der Schulbehörde hatte in der vergangenen Woche noch den Standpunkt vertreten, „dass Lehrkräfte keine medizinischen Hilfsmaßnahmen durchführen müssen“. Albrecht betonte, Schulen könnten zwar nicht die Aufnahme des Schülers ablehnen, wohl aber die Verantwortung für die medizinische Betreuung.
Ben braucht Hilfe beim Blutzuckermessen und bei der Insulinabgabe, weil er noch nicht lesen kann. Seine Eltern, Claudia Schulze-Domnick und Marc Domnick, hatten ihn schließlich an der Bugenhagenschule Alsterdorf eingeschult, die darauf eingestellt ist, Kinder mit besonderen Bedürfnissen zu unterrichten. Dort wird allerdings Schulgeld fällig.
Markus Schreiber, früherer SPD-Bezirksamtsleiter von Mitte, zeigte sich fassungslos, dass eine chronische Krankheit Familien heute vor größere Schwierigkeiten stelle als vor 47Jahren. Schreiber war 1967 mit einer kurz zuvor festgestellten Diabetes-Typ-1-Erkrankung in der Schule Ohkamp, die Ben jetzt abgelehnt hatte, eingeschult worden. „Meine Lehrerin, Frau Gabler, wusste natürlich davon“, sagt Schreiber. Vor 47 Jahren sei der Umgang mit einem jugendlichen Diabetes viel schwieriger gewesen als heute. „Es gab keine Insulinpumpe, sondern die Spritzen hat meine Mutter noch auf dem Herd in kochendem Wasser sterilisiert. Es gab keine Blutzuckermessung, sondern es wurde sozusagen nachträglich der Zucker im Harn festgestellt, den ich vorher in Orangensaftgläsern gesammelt hatte.“ Eine Stoffwechselentgleisung wäre in der Schule also viel leichter möglich gewesen als heute, so Schreiber, trotzdem sei er ganz normal eingeschult worden. „Warum dann mit viel besseren Bedingungen in derselben Schule 47 Jahre später der kleine Ben abgelehnt wird, ist mir ein Rätsel und aus meiner Sicht auch ein echter Skandal.“
Dabei gibt es durchaus öffentliche Schulen, die keine Berührungsängste mit chronisch kranken Kindern haben. Bei Julia von Borcks Sohn, der inzwischen elf ist, wurde die Krankheit 2009 einen Tag vor dessen Einschulung an der Schule Fahrenkrön in Bramfeld diagnostiziert. „Es war aber kein Thema, dass die Schule ihn plötzlich nicht mehr aufnimmt. Die Lehrer haben sich schulen lassen.“ Auch Frank Behrens, Leiter der Schule Kielortallee in Eimsbüttel, hatte schon häufiger Diabeteskinder an der Schule. Erst im August ist wieder ein Junge eingeschult worden. „Ich wäre gar nicht drauf gekommen, dass es ein Problem ist.“ Anke Matschke-Schubberts und Julia von Borcks Ziel ist es, dass das künftig alle Schulen so sehen.
Andreas Dressel, Fraktionsvorsitzender der SPD, ebenfalls einer der Adressaten der Initiative, reagierte am Mittwoch ebenfalls prompt. „Wir nehmen das Anliegen sehr ernst und gehen der Sache sehr kurzfristig nach. Eigentlich darf so etwas in einer Stadt wir Hamburg nicht vorkommen.“