Der Sechsjährige leidet seit seinem vierten Lebensjahr an der chronischen Krankheit. Er kann seine Insulinpumpe noch nicht allein bedienen und brauch deshalb Hilfe beim Bestimmen des Blutzuckerwertes.
Hummelsbüttel. Seine Eltern wünschen sich für Ben so viel Normalität wie möglich. Der Sechsjährige soll mit anderen Kindern lernen, spielen und auf Kindergeburtstage gehen. Doch in Bens Leben läuft vieles anders. Der blonde Junge hat Diabetes Typ 1.
Ben braucht deshalb in der Schule Hilfe. Nicht beim Lernen, da ist er flink, er kennt schon die Zahlen bis sechs. Aber er braucht medizinische Unterstützung, denn Diabetes ist eine chronische Krankheit, die gerade jüngeren Kindern einiges abverlangt. Ben kann sich schon selbst in den Finger piksen, damit ein Tropfen Blut rauskommt, mit dem man den Blutzuckerwert bestimmt. Aber er braucht jemanden, der diesen Wert abliest und die Insulinpumpe nach Bedarf aktiviert. Ben kann ja noch nicht lesen. Wie auch, er ist ja gerade erst eingeschult worden.
Seine Eltern, Claudia Schulze-Domnick und Marc Domnick, kämpfen seit Monaten dafür, dass sich endlich die Schulbehörde oder die Krankenkasse für den Erstklässler zuständig fühlt und die Betreuung des Jungen während des Unterrichts übernimmt. „Schulbegleitung für Ben wurde abgelehnt, und die Krankenkasse verweigert die Kostenübernahme“, sagt Claudia Schulze-Domnick.
„Ben war früher ein gesundes Kind“, sagt sie – bis mit vier Jahren die Krankheit diagnostiziert wurde. Für die Kita, die der Junge bis zum Sommer besucht hat, war die Krankheit kein Grund, ihn abzuschieben. „Sie kannten Ben, und sie waren geschockt, aber sie wollten ihn in der Kita behalten“, sagt die 42-Jährige. Das Ehepaar, das getrennt lebt, organisierte für die Kita-Mitarbeiter eine Schulung und begleitete Ben dann zwei Wochen lang, bis die Erzieher routiniert genug waren.
Sieben- bis achtmal pro Tag muss Bens Blutzuckerwert bestimmt werden, „nach und vor dem Sport muss gemessen werden, da braucht er zusätzlich Traubenzucker. Vor dem Pausenbrot muss er Insulin kriegen“, sagt Schulze-Domnick. Sinke der Blutzucker, werde Ben zappelig, sei er zu hoch, könne sich das in aggressivem Verhalten zeigen: „Diese Zeichen muss man erkennen.“ Ein Blutzuckerspiegel zwischen 90 und 140 Milligramm pro Deziliter (mg/dl) sei normal, bei Ben schwanke er zwischen 40 und 280 mg/dl.
Die Probleme kamen in diesem Sommer. Bens Mutter wollte ihren Sohn gern gemeinsam mit den Kindern aus der Straße gemeinsam auf die nahe gelegene Grundschule schicken. „Die Mutter eines Kindes hätte ihn nach der Schule betreuen können“, sagt die Anwältin. Doch die nahe gelegenen Grundschulen Ohkamp und Grützmühlenweg in Hummelsbüttel hätten es abgelehnt, den Erstklässler Ben aufzunehmen. „Ich dachte, es gibt ja die Schulpflicht, und die Schulen arbeiten mit uns zusammen“, sagt Claudia Schulze-Domnick. „Zumal wir zugesagt haben, eine Schulung zu organisieren und uns am Anfang zu kümmern.“ Doch sie und ihr Mann seien nur auf Bedenken und Ablehnung gestoßen. „Über Inklusion wird viel gesprochen, aber die zugesicherte politische und rechtliche Umsetzung findet kaum statt“, beklagt Marc Domnick, 38.
Ihr Antrag auf Schulbegleitung, den sie im Mai auf Geheiß des Grundschulleiters vom Ohkamp gestellt hatten, wurde abgelehnt. „Die Rechtsabteilung hat uns mitgeteilt, dass die Lehrkräfte medizinische Hilfsmaßnahmen nicht durchführen müssen. Das ist aus meiner Sicht angesichts der alltäglichen Belastung in einer ersten Klasse auch nicht verlässlich und verantwortlich leistbar“, schrieb der Schulleiter wenige Tage vor den Ferien.
Die Rechtsabteilung der Schulbehörde sehe die Krankenkasse in der vorrangigen Leistungspflicht. „Lehrkräfte dürfen aus haftungsrechtlichen Gründen nicht zur Unterstützung verpflichtet werden“, sagt auch Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Die Schulen könnten nicht die Aufnahme des Schülers, aber die Verantwortung für die medizinische Betreuung ablehnen. Eine Erhebung, wie viele an Diabetes erkrankte Kinder öffentliche Schulen besuchen, gibt es nach Aussage von Albrecht nicht. Sie hätte sich vielleicht wehren können, sagt die Anwältin, „aber die Schulen wollten Ben nicht. Da will man dann sein Kind auch nicht mehr hinschicken“. Ein chronisch krankes Kind stelle Lehrer und Erzieher vor besondere Herausforderungen, sagt sie selbst. „Dass Schulen ein Problem haben, wenn sie Spritzen geben sollen, kann ich verstehen, aber die Insulinpumpe ist sehr einfach aufgebaut, ein Dritter kommt da sehr schnell rein.“
Claudia Schulze-Domnick fragte schließlich bei der Bugenhagenschule Alsterdorf an. Dort hatte man viele Fragen, aber auch eine große Bereitschaft, sich auf die Herausforderung einzulassen. „An den Bugenhagenschulen praktizieren wir Inklusion und sind darauf eingestellt, dass Kinder besondere Bedürfnisse haben. Es war für uns daher keine Frage, Ben bei uns aufzunehmen. Die besondere Begleitung benötigt Ben nur für einen bestimmten Zeitraum seiner Entwicklung“, sagt Sandra Rudschinat, Schulleiterin der Primarstufe. „Wir haben zwei Lehrerinnen, einen Erzieher und einen FSJ-ler durch die Diabetesberatung des AK Altona schulen lassen, um Ben optimal zu betreuen.“
Die Schulung kostete seine Eltern 250 Euro, in dieser und der vergangenen Woche haben sie zudem einen Pflegedienst bezahlt, der dabei sitzt, wenn Ben isst. Dafür wurden weitere 250 Euro fällig. Ben geht nicht in die Schulkantine, sondern bekommt Proviant für die Schule mit. Bei jedem Brot, bei jedem Apfel schreibt Bens Mutter dazu, wie viele Broteinheiten die Lebensmittel jeweils enthalten. „Da die Abgabe der Insulinmenge über die Pumpe davon abhängt, wie viele Kohlenhydrate Ben isst, müssen diese möglichst genau berechnet werden. Dies ist nur möglich, indem ein Betreuer aufpasst, was und wie viel Ben isst“, sagt sie.
Anfang dieser Woche hat der Medizinische Dienst Ben begutachtet, ob er vielleicht als Pflegefall eingestuft wird. „Aber die haben eigentlich nur geguckt, ob er allein essen und trinken kann. Das kann er natürlich“, sagt Claudia Schulze-Domnick. „Aus unserer Sicht ist hier ein Umdenken erforderlich. Die Fallzahlen für Diabetes des Typs I bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland steigen. Eine durch die Krankenkassen freigegebene Versorgung dieser Kinder ist für Schulbildung und Lernerfolg unverzichtbar“, sagt Sweelin Heuss, Sprecherin der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, Träger der Bugenhagenschulen. Dieser Forderung kann sich Marc Domnick nur anschließen: „Wir können das Schulgeld bezahlen, aber was machen Eltern, die sich das nicht leisten können?“