Sozialsenator kündigt „Notlösungen“ nach Polizeirecht an. Bei der Einrichtung neuer Unterkünfte geht es nur noch um Schnelligkeit. Bezirksamtsleiter sollen Freiflächen melden. Bund soll helfen.
Harburg. Die Zentrale Erstaufnahme für Flüchtlinge am Neuländer Platz in Harburg ist überfüllt. Nachdem erst kürzlich Zelte für etwa 100 Menschen auf dem Vorplatz aufgebaut wurden, soll es jetzt eine zweite Erweiterung geben. Denn es fehlen Unterkünfte, in denen die Ankömmlinge nach drei Monaten untergebracht werden können. Mittlerweile hat die dafür zuständige Sozialbehörde alle sieben Hamburger Bezirksamtsleiter angeschrieben. Sie sollen Leerstand melden. Dabei geht es nicht nur um Wohnungen, sondern auch um Gewerbeimmobilien. Mittlerweile wird jede Art von Freifläche als mögliche Unterkunft gesucht.
„Die Welt ist aus den Fugen geraten“, sagte Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) am Mittwochabend in der Bürgerschaft. Die unverminderte Dynamik bei der Ankunft der Flüchtlinge treffe auf langwierige behördliche Verfahren. „Wir sind daher an einem Punkt angekommen, dass wir auf Notlösungen angewiesen sind.“ Er kündigte ein Sofortprogramm an, das ausschließlich dazu diene, Unterbringung in Zelten zu verhindern. Scheele: „Wenn es irgend geht: keine Zelte in Hamburg.“ Daher brauche man Wohnschiffe; konkret sind zwei Schiffe aus Holland mit bis zu 600 Plätzen im Gespräch.
Man werde Schlafsäle in Schulen einrichten – und Hallen so herrichten, „dass sie als Notlösung vertretbar sind“, sagte Scheele. „Wir werden das alles nach Polizeirecht tun, wir müssen es nach Polizeirecht tun. Es geht nicht anders.“ Am Mittwoch saßen bereits Vertreter der Fachbehörden zusammen, um über die von den Bezirken an die Finanzbehörde gemeldeten – oftmals privaten – Flächen zu beraten. Darunter sind nach Informationen des Hamburger Abendblatts nicht nur Wohnungen, sondern auch Festplätze wie der Frascati-Platz in Bergedorf oder der Schwarzenbergplatz in Harburg. Auch Gewerbeimmobilien wurden genannt. Es sind vorzugsweise Gebäude, die über viele Parkplätze verfügen, auf denen man Wohncontainer aufstellen kann – beispielsweise leer stehende Baumärkte mit großen Parkflächen. Auch eine leer stehende Schule ist als Unterbringungsort für Flüchtlinge im Gespräch. „Es geht nur noch um die schnelle Machbarkeit“, sagt SPD-Fraktionschef Andreas Dressel.
Bei privaten Objekten muss sich die Stadt mit den Eigentümern einigen. Die Bereitschaft dazu ist offenbar vorhanden. So gibt es bereits Hotelbesitzer, die ihre Herberge als Flüchtlingsunterkunft anbieten. Die Stadt gilt als solventer Zahler. Denkbar ist sogar die Beschlagnahme von Wohnraum nach dem Polizeigesetz. Das ist aber juristisch umstritten.
Außerdem ist die Stadt bestrebt, leer stehende Gebäude des Bundes zu nutzen. Unter anderem seien Kasernen in Jenfeld und an der Führungsakademie der Bundeswehr in Blankenese im Blickfeld. Bislang habe der Bund aber wenig Entgegenkommen gezeigt.
Pro Tag kommen doppelt so viele Flüchtlinge wie vor dem Sommer an
Mal scheitere es an rechtlichen Bedenken, mal an hohen finanziellen Forderungen, sagte Dressel. Unter anderem soll der Bund Hamburg „angeboten“ haben, die jeweiligen Areale ganz zu kaufen – was für die Stadt wegen der absehbar begrenzten Nutzung nicht infrage kommt. Die Bürgerschaft beschloss daher am Mittwoch einen Antrag der SPD, der Hamburger Senat solle sich in Berlin dafür einsetzen, dass der Bund mehr Engagement zeigt. Zugleich gab die Bürgerschaft auf Antrag des Senats weitere 148 Millionen Euro frei: Damit steigen die Ausgaben für die Unterbringung von Flüchtlingen in diesem Jahr auf knapp 300 Millionen Euro. Ob das reichen wird, ist fraglich.
Angesichts der vielen Krisenherde auf der Welt muss die Stadt 14.000 Plätze für Flüchtlinge bereitstellen. 10.000 gibt es bereits, weitere 2500 sind fest geplant, aber 1500 Plätze fehlen noch – und das seit Monaten. Vermutlich werden die Flüchtlingszahlen weiter steigen. „Wir haben mittlerweile doppelt so viele Flüchtlinge, die in Hamburg täglich eintreffen, wie vor dem Sommer“, sagt ein hoher Behördenmitarbeiter. „Ein Ende ist nicht absehbar.“
In Harburg hat sich die Bezirksversammlung mit der Situation arrangiert. Im Hauptausschuss wurde einstimmig beschlossen, dass man einer Erweiterung der Zentralen Erstaufnahme zustimmt. „Zähneknirschend“, wie CDU-Fraktionschef Ralf-Dieter Fischer sagt. „Es gibt aber keine Alternative.“ Ohnehin sei der Bezirk wie die anderen Bezirke auch nicht entscheidungsbefugt.
Auf dem Neuländer Platz werden jetzt drei weitere Zelte für Flüchtlinge errichtet. Die vorhandenen Zelte waren erst Ende August aufgebaut worden. Vor rund zwei Wochen hatte man nicht absehen können, dass man doppelt so viele braucht. Die Erstaufnahme selbst war Mitte Juli eröffnet worden. Bis zu 300 Flüchtlinge sollten dort unterkommen. Mittlerweile sind es gut 500.