Nachdem Hamburgs FDP-Chefin Sylvia Canel völlig überraschend das Handtuch geworfen hat, sprach das Abendblatt mit der Fraktionschefin in der Bürgerschaft und FDP-Spitzenkandidatin für die Wahl, Katja Suding.

Hamburg. Am Montag hat Hamburgs FDP-Chefin Sylvia Canel völlig überraschend das Handtuch geworfen und ist sogar aus der Partei ausgetreten – fünf Monate vor der Bürgerschaftswahl. Das Abendblatt sprach mit der Fraktionschefin in der Bürgerschaft und FDP-Spitzenkandidatin für die Wahl, Katja Suding, 38, über die Lage.

Hamburger Abendblatt: Wollen Sie nach dem Rücktritt von Sylvia Canel das Amt selbst übernehmen?

Katja Suding: Wir werden in den nächsten Wochen in der Partei darüber nachdenken, was jetzt das beste Modell ist. Ich schließe nichts aus. Es gibt viele Parteifreunde, mit denen ich sehr gut zusammenarbeiten kann, auch im derzeitigen Landesvorstand.

Wovon hängt Ihre Entscheidung ab?

Suding: Ich habe ein einziges Kriterium: Wie können wir uns am besten aufstellen, um einen erfolgreichen Wahlkampf zu führen? Dazu ist es wichtig zu wissen, wie die Partei heute tickt. Vor eineinhalb Jahren hat sie sich entschieden, Partei- und Fraktionsvorsitz nicht in eine Hand zu geben. Dafür mag es damals gute Gründe gegeben haben, die nun neu bewertet werden müssen.

Halten Sie es in der jetzigen, schwierigen Situation der FDP für sinnvoll, Parteivorsitz und Fraktionsvorsitz sowie Spitzenkandidatur voneinander zu trennen?

Suding: Das kann gut funktionieren. Alles ist komplett offen, aber eins ist klar: Wir werden auf dem Parteitag Anfang November einen neuen Landesvorsitzenden oder eine Landesvorsitzende wählen. Das sieht unsere Satzung so vor.

Wie konnte es passieren, dass die Abneigung zwischen Ihnen und Frau Canel so aus dem Ruder gelaufen ist?

Suding: Wir hatten nach der Aufstellung der Landesliste für die Bürgerschaftswahl im Juli das Verhältnis eigentlich geklärt. Sie hatte mir ihre Unterstützung als Spitzenkandidatin zugesagt und ich ihr meine. Frau Canel hat ihren Rücktritt ja auch nicht mit der Differenz zwischen uns beiden begründet, sondern mit programmatischen Gründen. Sie will eine neue linksliberale Gruppierung gründen.

Ist diese Begründung für Sie glaubhaft?

Suding: Ich habe mich etwas gewundert, weil ich Sylvia Canel in den letzten drei Jahren nicht unbedingt als Vorkämpferin einer linksliberalen Bewegung wahrgenommen habe.

Haben Sie sich etwas vorzuwerfen?

Suding: Ich glaube nicht. Auseinandersetzungen in Parteien dürfen und müssen auch heftig geführt werden. Ich finde es in Ordnung, wenn man auch um die besten personellen Lösungen ringt. Das haben wir getan, und ich war der Meinung, dass wir eine vernünftige Lösung gefunden haben. Aber ich akzeptiere ihre Entscheidung jetzt und wünsche ihr persönlich alles Gute.

Inwiefern sind Sie froh, dass sich das Problem auf diese Art gelöst hat?

Suding: Ich bedaure jeden Parteiaustritt. Aber wer weiß, vielleicht arbeiten wir im Landesvorstand in Zukunft entspannter zusammen.

Frustriert es Sie, dass auch die ordentliche Arbeit Ihrer Bürgerschaftsfraktion nicht dazu geführt hat, dass parteiinterne Scharmützel aufhören?

Suding: Dass personelle Auseinandersetzungen immer wieder die gute Sacharbeit überlagern, ist natürlich frustrierend für alle, die mit Herzblut bei der Sache sind. Wir müssen daran arbeiten, dass das aufhört.

Warum verstehen die Mitglieder nicht, dass es jetzt um das Überleben der FDP als Partei geht?

Suding: Das verstehen die Mitglieder sehr wohl. Wir hatten ganze vier Austritte. Man kann überhaupt nicht sagen, dass jetzt die Partei mit ihren mehr als 1000 Mitgliedern auseinanderfliegt. Die überwältigende Mehrheit will weiterkämpfen, zusammenhalten und sich im Wahlkampf für die liberale Sache engagieren.

Die Hamburger FDP ist nach 2011 zum zweiten Mal in der Situation, gleich die ganze Partei retten zu müssen. Was hat Ihnen Christian Lindner versprochen, wenn Sie es schaffen?

Suding: Gar nichts. Ich handele komplett aus eigenem Antrieb. Ich möchte unsere gute Arbeit in der Bürgerschaft fortsetzen. Das ist mein Ansporn, dafür muss man mir nichts versprechen. Ich bin überzeugt, dass wir das schaffen. 2011, als ich erstmals Spitzenkandidatin wurde, war die Lage sicherlich nicht besser. Dennoch haben wir es geschafft.

Wie gefährlich wird Ihnen die von Canel angekündigte neue liberale Partei?

Suding: Um so kurzfristig eine Partei gründen und bei einer Wahl antreten zu können, muss man hohe Hürden überwinden. Aber selbst wenn sie es schaffen: Ich scheue diese Konkurrenz nicht.

Was ist Ihr Rezept gegen die AfD?

Suding: Die AfD spricht nicht die liberalen Wähler an, sie ist eher eine Konkurrenz zur CDU. Aber wir werden uns mit ihrem Programm auseinandersetzen. Nach dem, was ich gehört habe, ist das eine erzkonservative Partei und in Teilen ein Wiedergänger der Schill-Partei.

In Sachsen hat die AfD viele bisherige FDP-Wähler für sich gewonnen.

Suding: Die AfD hat sicher ein großes Protestpotenzial. Aber Sachsen ist nicht Hamburg. Für uns ist das beste Rezept, einen attraktiven Wahlkampf zu machen und unsere Anhänger zu mobilisieren. Demoskopen sagen, dass das liberale Potenzial in Hamburg bei 44 Prozent liegt.

Das Problem ist nur, dass dieses „liberale Potenzial“ vor allem SPD, CDU oder Grüne wählt und laut Umfragen deutlich unter fünf Prozent die FDP.

Suding: Natürlich können wir keine 44Prozent holen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir unsere 6,7 Prozent von 2011 toppen können.

Mit einem einfachen „weiter so“ kommen Sie nicht wieder in die Bürgerschaft. Welchen Trumpf haben Sie noch?

Suding: Den Wahlkampf. Dann werden sich die Menschen mit unseren Konzepten und Positionen auseinandersetzen, und dann werden wir viele Hamburger von uns überzeugen können.

Im Wahlprogramm fordert die FDP die Legalisierung von Cannabis. Wie viele Wähler hoffen Sie damit zu begeistern?

Suding: Das ist seit vielen Jahren eine Forderung der Jungen Liberalen. Nun ist es ihnen erstmals gelungen, den Parteitag davon zu überzeugen. Es gibt auch gute Argumente dafür, aber ich persönlich habe dagegen gestimmt.

Also werden Sie persönlich damit nicht werben?

Suding: Eher nicht.