Vor fast einem Jahr entließ der Musiker seinen Leibwächter und Kumpel Eddy Kante, weil ihm dessen Autobiografie missfiel. Heute erscheint das Werk. Kommt es doch noch zu einer Versöhnung?
Hamburg. Das Leben, das Udo Lindenbergs ehemaliger Leibwächter und „Mädchen für alles“ Eddy Kante in seiner Autobiografie „In meinem Herzen kocht das Blut“ erzählt, ist im Grunde ziemlich gewöhnlich, jedenfalls am Anfang. Denn eine „Hölle Elternhaus“, wie sie Frank Schröder – so sein bürgerlicher Name – im westfälischen Hagen durchleben musste, gab es schon immer: mit fürchterlichen Prügeln vom Stiefvater (dem die Mutter, von Natur aus eigentlich eine fröhliche Frau, offenbar hörig war); mit gerade mal homöopathischen Dosen von Liebe und Geborgenheit, Wärme und Zärtlichkeit in einer von Kleinbürgerlichkeit, Alkohol und Aggression geprägten Umgebung, in der die menschlichen Bedürfnisse auf das Wesentliche beschränkt sind und das Gesetz des Stärkeren schon auf dem Kinderspielplatz mit brutaler Härte greift.
„Samstagabends schaute er die ‚Sportschau‘, trank sein Bier, und wenn einer was sagte, gab es auf die Fresse. Und wenn Mama das neue Bier nicht schnell genug brachte, gab es gleich noch eine.“ Klischees haben schließlich die Eigenschaft zu stimmen. Fast immer.
Auf jedes traumatische Erlebnis folgt ein neues. Als der zehnjährige Frank und ein gleichaltriger Spielkamerad eine Straßenbahn durch Steine zum Entgleisen bringen, kann er nach der Bastonade (Stockhiebe auf die bloßen Fußsohlen) des Stiefvaters eine Woche lang nicht zur Schule gehen. Ihm wird im wahrsten Sinne des Wortes eingebläut, dass durch seinen Dummen-Jungen-Streich „Menschen gestorben“ seien – und natürlich glaubt er diesen Quatsch, den ihm sein Stiefvater erzählt, während der ihm eine „Wucht“ nach der anderen verpasst. Frank glaubt dies so lange, bis er später, viel später, als Erwachsener bei der Hagener Straßenbahngesellschaft AG nachfragt und erfährt, dass der Vorfall nicht einmal vermerkt worden war.
Zu diesem Zeitpunkt hat er längst damit begonnen, sein Leben zu reflektieren. Er schreibt auch Gedichte: „Die Arme meiner Mutter waren aus Asphalt. Die Milch, die mich ernährte, bestand nur aus Gewalt.“ Bis zu seiner Autobiografie wird es aber noch ein paar Jahre dauern.
Seine Tante Hilde und sein Onkel August holen den Neffen mit dem Segen des Jugendamts zu sich nach Hause, bevor sein Stiefvater ihn totschlagen kann. Da ist Franks Weg jedoch bereits vorgezeichnet: „Mir konnte keiner mehr was“ lautet der Titel des zweiten Kapitels „Jugend“. Damit ist im Prinzip auch schon alles gesagt. Die „Clique“ wird zu seiner Familie, die zwangsläufige Metamorphose vom Fahrraddieb über den Kleinstadtganoven und Schläger, den Vorstrafensammler, Rocker und Schutzgeldeintreiber setzt ein – und kann auch von seiner ersten großen Liebe Ute nicht aufgehalten werden.
Da ist nur einer, dem er zuhört. Dem er schon als Teenager immer zugehört hatte, und der heißt Udo Lindenberg: „Er hat mich mit seinen Texten aus meiner kleinen Welt geholt und mir mitgegeben, dass ich und mein Leben nicht so kaputt sind, wie ich immer dachte (...) Udo war für mich fast ein Heiliger.“ Als Frank seinen Wehrdienst ableisten muss, setzt er alles daran, seinem Idol nahe zu sein, und wird tatsächlich in der Lettow-Vorbeck-Kaserne in Hamburg-Jenfeld stationiert. In „Udos Stadt“. Probleme, sich der Autorität der Offiziere zu beugen, hat Frank nicht. Ducken hat er ja vom Stiefvater gelernt. Die Bundeswehrzeit übersteht er überraschend gut, die Uniform habe ihm regelrecht Halt gegeben, meint er. In dieser Zeit besucht er so oft wie möglich ein Konzert seines Idols.
Ende der 70er-Jahre, während der „Dröhnland Symphonie Tour“, kann dann auch der deutsche Superstar den breitschultrigen Kerl nicht mehr übersehen, der in seiner Rockermontur im Gang zwischen der Bühne und dem Publikum jeden seiner Songs mitsingen kann. In den Backstage-Bereich ist es jetzt noch nur ein kleiner Schritt. Udo Lindenberg mag den Typ. Und er braucht zufällig einen Leibwächter. Vermutlich auch einen Laufburschen.
Frank wiederum braucht Geld. Denn daheim in Hagen sitzt seine Freundin Ute, mit einem Kind im Bauch – seinem Sohn Oliver. Frank macht sich für Udo rasch immer unverzichtbarer. Er taucht immer tiefer in die große weite Welt des Musikbusiness ein, lernt dort einige wichtige Leute kennen und viele Leute, die sich für wichtig halten. Aber alle diese Leute scheinen ihn irgendwie zu mögen, ihn, den kompromisslosen Pragmatiker aus der westfälischen Provinz, der all die Attribute verkörpert, die sie zumeist nur vom Hörensagen kennen.
Frank Schröder gibt es da längst nicht mehr. Er ist endgültig zur Kunst- und (baldigen) Kultfigur Eddy Kante mutiert und nimmt auf den Touren einen festen Platz in Lindenbergs Hofstaat ein. Er lässt es zu, den größten Teil seines Lebens in den Schatten des genialischen Panikrockers zu stellen. Daran ändert auch eine kurze Haftstrafe nichts, die Kante wegen des „Erschleichens von Leistungen“ Anfang der 80er-Jahre in Herford antreten muss. Das kleine Delikt, Schwarzfahren, liegt auch schon länger zurück, doch angesichts seines bemerkenswerten Vorstrafenregisters hatte der Richter einen Denkanstoß für dringend notwendig erachtet und ihn einfahren lassen.
Die mehrmonatige Haft reißt Eddy Kante auf einer Backe ab. Er hat seine Laufrichtung zu diesem Zeitpunkt längst geändert. Und deshalb ist es plötzlich eine ganz andere Biografie, die wir jetzt in den Händen halten. Es ist nun eine Geschichte, die von einer komplizierten Beziehung zweier Alphatiere handelt.
Kompliziert deshalb, weil Eddy seinen Lebensmittelpunkt peu à peu in Udos unmittelbare Nähe nach Hamburg verlagert und gezwungen ist, sich von Altlasten, aber auch von Liebgewonnenem zu trennen. Von Ute. Kompliziert auch, weil Eddy bereits zu diesem Zeitpunkt den graduellen Unterschied zwischen einer Männerfreundschaft und einem vertrauensvollen Arbeitsverhältnis nicht verstanden hatte – und ihn wahrscheinlich bis heute nicht versteht. Vielleicht aber hatte Udo Lindenberg es einfach bloß versäumt, irgendwann einmal eine klare Ansage zu machen. Denn Freundschaft ist Freundschaft und Geschäft ist Geschäft.
So wird spätestens nach 315 – übrigens sehr lesenswerten – Buchseiten klar, dass Eddy auch an der Seite von Udo stets auf der Kante gesessen hatte. Zwischen Freund und Faktotum hatte immer nur ein schmaler Grat gelegen. Die Vermutung liegt nahe, dass die gegenseitige Zuneigung ziemlich ungleich verteilt war. Vielleicht aber hat auch Eddy Kante es versäumt, Udo Lindenberg gegenüber reinen Tisch zu machen. Dafür ist in seiner Autobiografie häufig von Ehrlichkeit und Vertrauen die Rede. Doch wenn der ausgemusterte Bodyguard den für einen Verkaufserfolg notwendigen Schlüssellocheffekt befeuert und ein paar ebenso bekannt-unbekannte wie auch unrühmliche Details aus Lindenbergs Leben backstage preisgibt, dann hat es zwar nicht für einen Riesenskandal, aber zumindest für den endgültigen Bruch gereicht.
Lindenberg soll mit einigen Teilen des Buches nicht einverstanden gewesen sein. Deshalb platzte der ursprünglich geplante Veröffentlichungstermin im vergangenen Oktober. Später verklagte Eddy Kante seinen Ex-Chef sogar auf mehr als 563.000 Euro säumigen Arbeitslohn. Es war ein peinlicher Rechtsstreit, der außergerichtlich mit einer Lohnnachzahlung entschieden wurde, über deren Höhe beide Parteien Stillschweigen bewahren. Sie soll sich in etwa im mittleren fünfstelligen Bereich bewegen. „Es fühlt sich für mich so an, als wäre eine Ehe kaputtgegangen, als wäre nach 30 Jahren der Ehepartner weg“, klagt Kante in seinem Nachwort, mit dem er zu erklären versucht, warum seine Autobiografie, die er mithilfe der früheren Abendblatt-Reporterin Jenny Bauer aufgeschrieben hat, erst heute mit gut zehn Monaten Verzögerung erscheint. Das Träumen aber hat Eddy Kante, der vor wenigen Tagen erst als neuer St.-Pauli-Fremdenführer bei Olivia Jones angeheuert hat, jedoch nicht aufgegeben: „Und wer weiß, vielleicht sitze ich irgendwann mal mit Udo auf einer Bank, und wir quatschen bei einer Limo über die guten alten Zeiten.“ Denn: „Wer noch nicht mal träumt, gibt dem Glück auch erst gar keine Chance.“
Eddy Kante (mit Jenny Bauer): „In meinem Herzen kocht das Blut“, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 320 Seiten, 19,95 Euro