Erst gab’s mächtig Ärger wegen des späten Beginns, dann wurde eine rauschende Panik-Party gefeiert: Udo Lindebergs spektakulärer Tourauftakt in Düsseldorf.

Düsseldorf. Pfingstsonnabend, Hauptbahnhof, 18 Uhr. Seit dem Nachmittag rollen die Straßenbahnen dicht getaktet zur Arena. Das erste der beiden ausverkauften Udo-Lindenberg-Konzerte an diesem Wochenende vor insgesamt 90.000 Zuschauern steht an, es ist das Debüt der Stadiontournee des Altherren-Rockers. In den Wagen ist es heiß und eng. Die, die jetzt noch munter schwatzend in den Bahnen sind, gehören eindeutig zu den Entspannten der „Bunten Republik Deutschland“. Ein anderer, buchstabengetreuer Teil der 45.000 Besucher wartet um diese Uhrzeit längst ungeduldig vor der Bühne auf sein Idol.

„Auf der Konzertkarte stand 18 Uhr. Weil der Einlass ab 16 Uhr war, gehen wir davon aus, dass Udo Lindenberg um 18 Uhr startet“, zeigt sich ein mitteljunges Paar aus Essen schwer verstimmt. Es ist inzwischen kurz vor 19 Uhr, und die Bühne bleibt verwaist. Natürlich ist es legitim zu glauben, dass ein Rockkonzert pünktlich wie eine Deutsche Oper anfange und der Star ohne Vorband auf der Bühne durchstarte. Der frühe Termin sei mit Rücksicht auf Rentner und Kinder gewählt worden, will jemand wissen. „Es stand doch im Netz, dass die Show um 20.30 Uhr beginnt“, kontert ein anderer Besucher zwischen zwei kurzen Pfeifkonzerten genervt. „Udo verarscht seine treuen Fans“, zeigt sich Jan Diercks aus Stapelfeld verärgert, der mit der Familie nach Düsseldorf angereist ist.

Mittlerweile braust ein Shitstorm durch die digitale Welt. Diese Art von Wind bringt leider keine Abkühlung. Später entschuldigt sich der Veranstalter für das Missverständnis, hervorgerufen durch die aufgedruckte Uhrzeit auf den Tickets. Auch Lindenberg bedauert am nächsten Tag die Kommunikationspanne.

Doch um 20.50 Uhr ist dann innerhalb von Sekunden klar: Jedes Ungemach hat sich gelohnt. Fulminant der Start in eine nahezu dreistündige Show. Mitreißend, berührend, politisch. „In der ,Bunten Republik Deutschland‘ ist kein Platz für die Farbe Braun!“ Nölen im Indikativ kann nur einer so gut: Udo Lindenberg. Grandiose Zustimmung ist die Antwort der Zuschauer in der ausverkauften Arena. Panik-Party pur!

Nur drei Takte klingen an – und nach dem unglücklichen Beginn blicken die Fans begeistert zur Bühne. Wie ein Schlachtschiff pflügt sich der Bug des „Rock Liners“ nach vorn. Käpt’n Udo schwebt Helene-Fischer-like via Gondel quer durch die Arena zur Bühne. Allerdings mit bedeckender Kleidung und mit seinen Markenzeichen Hut und Zigarre. Es ist die Mischung aus Kindergeburtstag, Artistik und einem sättigendem Anteil erwachsener Botschaften, die diesen Abend zu einem betörenden Ereignis werden lassen.

Da ist Raum für freundliche Ironie, wenn Udo Lindenberg und Otto Waalkes mit ihrer Interpretation von „Der Greis ist heiß“ im Rolli die Stimmung aufhellen. Für erfrischend klare politische Statements stehen die Duette mit Max Herre („Bunte Republik Deutschland“) und Peter Maffay („Sie brauchen keinen Führer“). Das nachdenklich stimmende Lied: „Wozu sind Kriege da“ stellt Lindenberg gemeinsam mit den Düsseldorfer Kids on Stage vor. Deutlich auch sein Statement gegen Homophobie mit einem Kick gegen Putin.

Selbstverständlich singen auch die Besucher, wann immer ihnen das Herz aufgeht. Bei „Ich lieb dich überhaupt nicht mehr“ scheinen allerdings nur die Damen textsicher zu sein. „Cello“ hingegen, das Lindenberg mit Clueso ins Mikrofon näselt, eignet sich hörbar gut für gemischte Chöre jeden Alters. Helge Schneider taucht mit sichtbarem Spaß in den Backen für ein Saxofonzwischenspiel auf und entschwindet dann unprätentiös.

„Was stellt der denn jetzt schon die Bandmitglieder vor?“, sorgt sich ein Zuhörer, als den Panik-Orchestranten Zeit eingeräumt wird. Doch die Befürchtung, das Konzert sei nach 90 Minuten zu Ende, ist unbegründet. Fühlen sich nach zwei Stunden im übertemperierten Stadion bereits Hingucken und Mitfeiern herausfordernd anstrengend an, setzt Udo ebenso locker wie schweißgebadet noch eine Stunde drauf.

Mit Songs wie „Sonderzug nach Pankow“, „Alles klar auf der Andrea Doria“, „Candy Jane“, „Reeperbahn“ bestreitet er den langen Zugabenteil. Schließlich sind es fast drei Stunden, die der Hamburger sein Publikum in Atem hält. Erst dann schwebt er lyrisch im Raumanzug von dannen. Die Weltraumrakete entschwindet im Orbit, Pyrotechnik befunkelt das Finale Furioso.

Weitere Konzerte: 13./14.6., Leipzig,

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