Bezirk feiert Verleihung der Stadtrechte vor 350 Jahren. Neues Buch entlarvt „Dänemark-Kult“ und beschreibt den Elbvorort als „Arbeiterslum“.
Altona. Zwar ist Altona schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr dänisch und seit 1937 auch keine selbstständige Stadt mehr – die Verleihung der Stadtrechte vor genau 350 Jahren durch den dänischen König wird in Hamburgs westlichstem Bezirk an diesem Sonnabend dennoch ausgiebig gefeiert. Paraden auf der Elbe und auf den Straßen, eine Sonderausstellung mit freiem Eintritt im Altonaer Museum, ein Festgottesdienst in Altonas Hauptkirche St. Trinitatis und ein offizieller Empfang im Rathaus sollen das historische Ereignis würdigen.
Man beruft sich eben gern noch auf seine dänischen Wurzeln und pflegt ganz in dieser Tradition auch in der Bezirkspolitik eine gewisse Aufmüpfigkeit gegenüber dem Hamburger Senat. Als es beispielsweise kürzlich um Wohn-container für die sogenannten Lampedusa-Flüchtlinge ging, bemühten alle Fraktionen in der Bezirksversammlung die Geschichte und verwiesen auf die frühen Tage Altonas, als es noch dänisch war und Zufluchtsort für religiös Verfolgte und wirtschaftlich Bedrängte.
Anders als ihre Hamburger Parteifreunde plädierten auch die Altonaer Fraktionen von SPD und CDU daher für einen Verbleib. Ähnlich freimütig handelte der Bezirk bei der Gewährung von Plätzen für Bauwagenbewohner und jugendliche Punks. Man sei anders in Altona, heißt es immer wieder. Liberaler, freier, offener – eben dänisch. Altonas Bezirksamtsleiterin Liane Melzer (SPD) spricht in diesem Zusammenhang von einer „historischen Kraft“ dieses dänischen Erbes. Und dass ausgerechnet unter den Nazis die damals preußische Stadt zu Hamburg kam, versteht mancher heute noch als Argument für eine rebellische Unabhängigkeit.
Das 350. Jubiläum der Verleihung dürfte für viele ein willkommener Anlass sein, diese Traditionen noch einmal deutlich zu machen. Doch ganz so eindeutig lässt sich der Mythos Altona durch die Geschichte wohl nicht belegen. Das stellte jetzt der Historiker und Autor Holmer Stahncke dar, der am Dienstag im Rathaus Altona sein neues Buch „Altona – Geschichte einer Stadt“ vorstellte. Zwar gewährte der dänische König vor 350 Jahren Religions- und Gewerbefreiheit, die viele Verfolgte anlockte. Er tat dies aber mit dem Hintergedanken, dass diese oft gut ausgebildeten Neuankömmlinge aus Holland oder Portugal der dänischen Stadt im Konkurrenzkampf mit Hamburg Vorteile verschafften, sagt Stahncke.
Toleranz sei keine Idee der Altonaer gewesen, sondern eine der Landesherren. Für die Altonaer selbst waren die neuen Siedler wohl eher Konkurrenten, die nicht im eigentlichen Dorf wohnen durften, sondern im neuen Ortsteil „Freiheit“ – der Großen Freiheit an der heutigen Reeperbahn. „Sicher, Dänemark hat Altona groß gemacht“, sagt der Historiker. Aber Dänemark habe später Altona am langen Arm verhungern lassen. „Die Zeitgenossen haben unter den Dänen gelitten, sie konnten nie wie die Hamburger selbst bestimmen.“ Als die dänischen Soldaten dann 1864 wieder abrücken mussten, habe man in Altona gejubelt. Der „Dänemark-Kult“, glaubt Stahncke, der sei erst in den 70er-Jahren entstanden, als das kleine Nachbarland für viele Hamburger zum beliebten Ferienziel wurde.
Auch die Legende von der angestrebten Unabhängigkeit verpasst das Altona-Buch, das völlig ohne überhöhte Heimatkunde-Folklore auskommt, einen Dämpfer. Die beiden Altonaer Oberbürgermeister Bernhard Schnackenburg und Max Brauer etwa hatten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts einen Anschluss an Hamburg angestrebt, schreibt Stahncke.
Doch Hamburg lehnte die Übernahme der hoch verschuldeten Nachbarstadt ab, die auch nie wie so oft zitiert die „schöne Schwester“ gewesen sei. Stahncke: „Altona war alles mögliche: Widersacher, Konkurrent, Profiteur, Partner und schließlich Opfer Hamburgs.“ Aber nicht die schöne Schwester, sondern in Betrachtung der Zeitgenossen wohl eher ein „langweiliges Provinzstädtchen und Arbeiterslum“. Doch die vielen Mythen bleiben wohl erhalten, sagt Stahncke. Sie seien eben einfach zu schön, um wahr zu sein. Toleranz als Tradition – warum auch soll man daran rütteln?
„Altona – Geschichte einer Stadt“, 384 S., Ellert & Richter, 19,95 Euro