Angélique Mundt ist Psychotherapeutin, Krisenhelferin und Krimiautorin, ihr Partner Andreas Kästner Hauptkommissar bei der Wasserschutzpolizei. Sie berichteten über die Katastrophen, mit denen sie zu tun haben.

Hamburg. Frische Brötchen, eine Käseauswahl, verschiedene Marmeladen, Himbeeren, Melone, Kaffee und Orangensaft – der Tisch ist reich gedeckt. Bei Angélique Mundt und Andreas Kästner gibt es zum Frühstück quasi alles – außer Gespräche über den Job. Unfälle und Katastrophen sind dann vom Tisch.

Denn die gehören bei dem Paar schon zum Arbeitsalltag, und natürlich reden sie auch mal darüber. Doch die Psychotherapeutin, die ehrenamtlich in der Krisenintervention des Deutschen Roten Kreuzes arbeitet, und ihr Lebensgefährte, Hauptkommissar bei der Wasserschutzpolizei, haben eine Verabredung getroffen. „Keine Leichen zum Frühstück“, heißt ihre Devise.

Heute frühstücken sie auf der Loggia, mit Blick in das üppige Grün eines Walnussbaumes, und weichen für die Abendblatt-Reporter von ihrer Vereinbarung ab. Vor beiden steht ein jeweils beachtlicher Becher Kaffee. Sie trinkt einen Riesen-Latte-Macchiato, er eine Art türkischen Mokka, mehrfach verlängert. „Das habe ich von meinem Vater übernommen, der war Seemann“, sagt Andreas Kästner, 50, der in Rostock aufgewachsen ist. Auch er selber ist als Vollmatrose zunächst zur See gefahren, wurde jedoch als „negativ-dekadentes Element“ mit einem „problematischen Freundeskreis“ (so steht es in den Stasi-Akten) als 25-Jähriger ausgebürgert – kurz vor der Wende.

„In Hamburg heuerte ich zunächst bei einer Reederei an, danach arbeitete ich als Kellner, bei einer Abrissfirma und als Pförtner in einer Frauenklinik“, erzählt Kästner und nimmt einen Schluck aus seiner großen Tasse. 1992 machte er eine Ausbildung zum Polizisten und hängte ein paar Jahre später noch ein Studium dran. Verglichen damit verlief das Leben von Angélique Mundt, 48, ziemlich ruhig, zumindest im ersten Teil. Die „echte Hamburgerin in vierter Generation“ (darauf ist sie stolz) kam in einer Privatklinik an der Hochallee zur Welt und wuchs in Langenhorn auf. Einen Studienplatz in Trier lehnte sie ab. „Ich wollte auf jeden Fall in Hamburg bleiben“, sagt sie und beißt in ihr Franzbrötchen. Nach dem Studium arbeitete sie zunächst lange in der Psychiatrie, 2005 machte sie sich mit einer Praxis selbstständig, ganz in der Nähe ihrer Winterhuder Wohnung, und betreut dort traumatisierte Jugendliche und Erwachsene.

Auch als fachliche Leiterin der Krisenintervention des Deutschen Roten Kreuzes hat sie viel mit traumatisierten Menschen zu tun – mit Angehörigen, die sie über den Tod ihrer Liebsten informieren muss, mit Augenzeugen, die schreckliche Unfälle gesehen haben. Sie hört zu, tröstet und überlegt mit ihnen gemeinsam, was zu tun ist. „Es sind die schwärzesten Stunden im Leben dieser Menschen“, sagt sie. „An der Situation kann ich nichts ändern. Aber ich kann den Menschen helfen, sie zu überstehen.“

Was sie oft fassungslos mache, sei das brutale Aufeinandertreffen von Normalität und Katastrophe. Bei dem schweren Unfall in Eppendorf 2011 etwa. Die Sonne, die an diesem ersten warmen Märztag so freundlich vom Himmel schien – und dann die Menschen, die deren Strahlen eben noch genossen hatten und plötzlich geschockt um Trümmer und Tote herumstanden, die Äpfel, die aus einer Einkaufstüte über die Straße gekullert waren, und der Arm eines Toten, der unter dem Unfallauto herausragte. Oder die Taucher, die unter größter Anspannung in der Außenalster nach dem kleinen Lorenz suchten, während in unmittelbarer Nähe Segler, Ruderer und Jogger ihren Sport trieben.

Auch der Tag, an dem das Wasserflugzeug abstürzte und fünf Menschen starben, war ein Sonnentag. Andreas Kästner, der bei der Wasserschutzpolizei für das Hafengebiet zuständig ist, war gerade mit Kollegen auf einem Boot unterwegs, als er zur Unfallstelle gerufen wurde. „Bei solchen Katastrophen schützt einen, dass man funktionieren muss“, sagt er. Brand löschen, Insassen aus dem Flugzeug holen, telefonieren. „Die klaren Anforderungen helfen dir, die Bilder der Katastrophe nicht an dich heranzulassen.“

Das gilt auch bei tödlichen Arbeitsunfällen wie dem des 17-Jährigen, der am ersten Tag seiner Ausbildung im Laderaum eines Binnenschiffes stürzte und seinen Kopf zwischen Paletten einklemmte. Oder beim Bergen der Selbstmörder, die sich von der Köhlbrandbrücke gestürzt haben. Er und seine Kollegen hätten aber auch schon etliche Menschen davon abhalten können, in den Tod zu springen. „Manchmal werden wir so rechtzeitig alarmiert, dass wir kommen, wenn sie noch oben stehen“, sagt Kästner. Dann gelte es, äußerst sensibel vorzugehen: die Mütze abzunehmen, um nicht gleich als Polizist wahrgenommen zu werden, nach dem Namen zu fragen, um eine persönliche Bindung aufzubauen. Darin seien er und seine Kollegen ziemlich gut. „Wenn wir da sind, springt kaum einer“, sagt Kästner.

Auch Polizisten und Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams können Betreuung beantragen, wenn alles Verdrängen nicht hilft und die Bilder wiederkommen. Angélique Mundt und Andreas Kästner hilft es, einander von ihren jeweiligen Fällen zu erzählen. Die Psychologin hat noch eine andere Art, das Geschehene zu verarbeiten: Sie schreibt Kriminalromane. Ihr erster, „Nacht ohne Angst“, hat sich sehr gut verkauft, der zweite, „Denn es wird kein Morgen geben“, erscheint 2015. Damit, dass sie bereits für zwei weitere Bücher unter Vertrag genommen wurde, konnte sie sogar Schriftsteller Frank Schätzing beeindrucken. Ihn trafen die beiden Hamburger jüngst auf dem Krimi-Festival Criminale in Nürnberg, wo Angélique Mundt gelesen hat.

Eine Auszeit von Mord, Totschlag und Unfällen nehmen sie und ihr Lebensgefährte beim gemeinsamen Sport oder im Urlaub. Während der Weltmeisterschaft waren sie in Brasilien. „Wir haben alle Spiele der Vorrunde in Fortaleza gesehen“, sagt Angélique Mundt, die vorher noch nie in einem Stadion war. „Es war großartig.“ Auch die brasilianische Musik hat es den beiden Hamburgern sehr angetan. Einmal pro Woche verausgaben sich Angélique Mundt und Andreas Kästner in der Trommelgruppe Sambahia, mit der sie auch hin und wieder auftreten, etwa bei Straßenfesten. „Zwei Stunden nur Rhythmus“, beschreiben sie das Gefühl. „Dabei kann man wunderbar abschalten.“ Und all die Katastrophen des beruflichen Alltags einmal für kurze Zeit vergessen.

Wie auch bei einem guten Frühstück.