Nach Missbrauch einer Siebenjährigen hilft Expertenteam. Behörde prüft mögliche Konsequenzen. Kommenden Ferienwochen sollen intensiv genutzt werden, um drängende Fragen zu beantworten.
Hambzrg. Die Zeugnisse sind verteilt, die Grundschule Moorflagen ist verwaist. Sechs Wochen Sommerferien. Es dürfte eine überaus willkommene Atempause sein nach all den Horrornachrichten, die die Schüler und Lehrer in den letzten Tagen erschütterten. Und es könnte der Abstand sein, den viele ersehnen, seit bekannt wurde, dass eine sieben Jahre alte Erstklässlerin am Montag während der Nachmittagsbetreuung von einem 21-Jährigen verschleppt und missbraucht wurde.
Wie die Hamburger Schulbehörde bereits mitteilte, sollen die kommenden Ferienwochen intensiv genutzt werden, um drängende Fragen zu beantworten, insbesondere jene, wie die Schüler der Grundschule vor solchen Übergriffen geschützt werden können. Wenn die Schüler Ende August in ihre Klassen zurückkehren, will man nicht mit leeren Händen dastehen.
Forderungen nach höheren Zäunen um das weitläufige Schulgelände, die in den vergangenen Tagen bereits von Eltern gestellt wurden, schließlich hatte der Täter sein Opfer über den nur hüfthohen Schulzaun in ein Gebüsch gezerrt, hält der Sprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht, für nicht ausreichend. „Wir müssen überlegen, was möglich ist, und ob es vor solchen Taten schützt“, sagte Albrecht. Der Übergriff hätte auch auf dem Schulhof passieren können, der frei zugänglich ist.
Überlegt werde, das Außengelände aufzuteilen und abzugrenzen und die Schüler nur in bestimmten Bereichen spielen zu lassen, um einen besseren Überblick behalten zu können. Und nicht zuletzt werde darüber nachgedacht, das Thema Gewaltprävention an der Schule auszubauen, entsprechend Kurse anzubieten. Beide Mädchen, das Opfer, aber auch die Erstklässlerin, die letztlich Hilfe holen konnte, hätten in diesem Sinne bereits vorbildlich reagiert, indem sie laut auf sich und die Situation aufmerksam gemacht hatten.
Der Hausmeister der Schule hatte dem Treiben des 21-jährigen mutmaßlichen Sexualstraftäters letztlich ein Ende gesetzt. Aufgeschreckt von den Hilferufen der Mädchen war er dem Täter gefolgt und hatte den mittlerweile verhafteten Mann in die Flucht geschlagen. Pascal N. wurde wenige Stunden nach der Tat in der Wohnung seiner Eltern festgenommen, nur wenige Hundert Meter von der Schule entfernt. Vorgeworfen werden ihm der sexuelle Missbrauch eines Kindes, sexuelle Nötigung sowie vorsätzliche Körperverletzung. Es drohen bis zu 15 Jahre Haft
Abstand durch sechs Ferienwochen aber wird nicht ausreichen, um das Geschehene aufzuarbeiten und ein halbwegs normales Lernen zu ermöglichen. Während sich Ärzte und Psychologen um das betroffene Mädchen kümmern, dessen Zustand nach Angaben der Schulbehörde „den Umständen entsprechend“ ist, sind Mitarbeiter der Beratungsstelle Gewaltprävention und des Regionalen Bildungs- und Beratungszentrums (ReBBZ) Eimsbüttel deshalb bereits an der Grundschule aktiv, seit die Tat bekannt ist. Sie sind spezialisiert auf Krisenbewältigung.
35 Krisenfälle allein im vergangenen Jahr an Schulen betreut
Bis zu fünf Mitarbeiter der beiden Einrichtungen, darunter Psychologen, Sozial- und Sonderpädagogen, waren in den vergangenen drei Tagen abgestellt, Lehrern und Schülern beizustehen, erklärte der Psychologe und Chef der Beratungsstelle Gewaltprävention, Christian Böhm. Sie berieten die Schulleitung bei der Erstellung des Elternbriefes, der nach der Tat aufgesetzt wurde. Sie sprachen mit traumatisierten Schülern, die die Tat beobachteten. Sie kümmerten sich um Lehrer, die nicht weniger geschockt durch die vergangenen Tage getaumelt waren, und sich dennoch vor ihre Klassen stellen mussten.
Suizide, Gewalthandlungen unter Schülern, Missbrauchsfälle, Unfälle, natürliche und gewaltsame Todesfälle: Das aus sieben Pädagogen und Psychologen bestehende Bereitschaftsteam der Beratungsstelle, insgesamt gibt es 17 Mitarbeiter, ist für Krisen gerüstet, die an Schulen passieren oder Schüler und Lehrer berühren könnte. 35 solcher Fälle begleiteten sie allein im vergangenen Jahr, sagt Böhm.
Die Experten wurden etwa zum Gymnasium Allee in Altona gerufen, nachdem einer der Schüler, Diren D., während eines Austauschjahres in den USA erschossen worden war. Sie waren im Einsatz, als in Kassel zwei Kinder aus Hamburg durch einen Stromschlag ums Leben kamen. Sie betreuten die Kollegen und Schüler der Grundschullehrerin Sibylle Mues, die, wie auch ihr Mann, der bekannte Schauspieler Dietmar Mues, und zwei weitere Menschen bei der Unfallfahrt eines 38-Jährigen an der Kreuzung Eppendorfer Baum/Lehmweg getötet wurden.
Die Arbeit der Krisenbewältiger, die immer zu zweit arbeiten, werde dabei von der Frage nach der Verhältnismäßigkeit bestimmt, erklärt Christian Böhm. „Wir würden aus einem kleinen Fall keinen großen Elefanten machen“, schließlich solle „der Schutzraum Schule“ erhalten bleiben. Ein schwieriger Grat: Böhm und seine Kollegen von der Beratungsstelle Gewaltprävention wollen so vielen Betroffenen wie möglich helfen, müssen aber zugleich darauf achten, dass die Krisenfälle nicht zu öffentlich werden.