Kreative übernehmen für 18 Monate alte Bahnmeisterei im Oberhafenquartier – bis die historischen Häuser saniert sind. In den kommenden Wochen stehen noch eine Menge Umbauarbeiten an.
Hamburg. Egbert Rühl ist begeistert. „Wir schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe“, freut sich der Geschäftsführer der Hamburg Kreativ Gesellschaft. „Das Gängeviertel erhält ein Ausweichquartier, in dem es den Großteil seiner Initiativen während der Sanierungsphase unterbringen kann. Und der Oberhafen erhält temporär ein spannendes Vorhaben, das zeigen kann, was hier alles möglich ist.“
Am morgigen Freitag wird die Hamburg Kreativ Gesellschaft von der HafenCity GmbH das dreistöckige Backsteingebäude mit einer Nutzfläche von rund 1600 Quadratmetern im Oberhafenquartier mieten – und es für 18 Monate an den Gängeviertel-Verein untervermieten. Aus dem ehemaligen Güterbahnhof soll in den kommenden Jahren ein Ort für Kunst und Kultur werden. Da kommen die Kreativen aus dem Gängeviertel gerade recht, die während der Sanierungsarbeiten der historischen Häuser am Valentinskamp/Ecke Caffamacherreihe ein Ausweichquartier für ihre zahlreichen Initiativen brauchen.
Wie sich die Zeiten ändern. Genau fünf Jahre ist es her, da saß in diesen Räumen der ehemaligen Bahnmeisterei Klausmartin Kretschmer auf einem goldgefassten Ledersofa. In dem großen Saal des Backsteingebäudes im zweiten Stock ging der Blick durch die Fenster auf das Bahngelände mit seinem alten Kopfsteinpflaster, seinen maroden Lagerschuppen und den stillgelegten Gleisen, die vom Wildwuchs befallen waren. Zwischen vier großen Säulen standen in der Mitte des hellen Raumes zwei weiße Flügel, und der selbst ernannte Kunst-Investor und Besitzer der Roten Flora im Schanzenviertel entwickelte seine Vision von einem Kreativquartier am östlichen Rande der HafenCity.
Zur gleichen Zeit besetzten im Sommer 2009 rund 200 Menschen das nur drei Kilometer entfernte Gängeviertel, um die historischen Häuser in der City vor dem Abriss durch einen niederländischen Investor zu bewahren, an den die Stadt das Gebäude-Ensemble verkauft hatte.
Fünf Jahre später sind aus den ungeliebten Besetzern von einst die direkten Nachmieter von Kretschmer geworden. Die HafenCity GmbH hat dem Flora-Besitzer, der wegen seiner Verkaufsabsichten des umkämpften bunten Gebäudes im Schanzenviertel bei den Politikern mittlerweile nicht mehr wohlgelitten ist, gekündigt. Und die Räume zur neuen Nutzung sozusagen mit Kusshand an die Gängeviertel-Aktivisten überreicht.
„Willkommen, Gängeviertel! Ich freue mich über den Zuzug, denn daraus kann für alle heutigen und zukünftigen Nutzer ein spannender Dialog entstehen“, sagt Jürgen Bruns-Berentelg, Vorsitzender der Geschäftsführung der HafenCity GmbH. Vor allem die Bewohner und Besucher der HafenCity würden von der wachsenden kulturellen Vielfalt des neuen Stadtteils enorm profitieren.
„Der Mangel an öffentlichen Räumen und Plätzen sowie der gleichzeitig ansteigende Bedarf an nicht kommerziell zu nutzenden Flächen zeigt uns, dass wir mit dieser Entscheidung einen richtigen und wichtigen Weg gehen“, sagt Christine Ebeling vom Gängeviertel-Verein.
In den kommenden Wochen stehen noch eine Menge Umbauarbeiten an, und es müssen diverse Nutzungsänderungsanträge bei der zuständigen Behörde gestellt werden, um die Bahnmeisterei zu einem Ort der Kultur und der Begegnung zu machen. Die Stadt erleichtert den neuen Mietern den Umzug: Die ersten sechs Monate sind mietfrei, danach geht es gestaffelt von 3,50 bis fünf Euro pro Quadratmeter – bis der Mietvertrag nach 18 Monaten erst einmal endet.
Geplant sind in den Räumen ein Fotostudio und ein digitales Filmstudio. Es wird ein offenes Atelier geben für verschiedene Kurs-Angebote. Es gibt einen Bewegungsraum und eine Probebühne für freie Theatergruppen, eine Küche und einen Galerieraum. Im Erdgeschoss entsteht eine multifunktionale Veranstaltungsfläche für Konzerte, Ausstellungen oder Workshops. „Es ist uns schon bewusst, dass wir mit diesem Schritt auch Teil des Plans werden, der nicht der unsere ist: den Oberhafen zu einem reinen ‚Kreativquartier‘ zu entwickeln“, sagt Michael Ziehl, Aufsichtsratsvorsitzender der Gängeviertel Genossenschaft. „Wir stehen diesem Plan skeptisch gegenüber. Dennoch wollen wir uns auch an dem neuen Ort für eine Stadt für alle einsetzen. Im Gängeviertel machen wir dies seit fast fünf Jahren, nun auch in der HafenCity.“
Auch sehr erfreut über die Entwicklung ist Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos): „Besonders freut mich, dass für das Gängeviertel eine Ausweichfläche gefunden werden konnte, in der die Initiative während der Sanierungsphase jetzt ihr Programm fortführen und neue Konzepte erproben kann.“