Plötzliche Chefwechsel, unprofitable Häuser und ein abgetauchter Eigentümer. Bei Karstadt bangen die Beschäftigten wieder um ihre Jobs. Die Gewerkschaft fordert Strategien statt Panikmache von Chefs.
Hamburg. Ihren Start in Harburg hatte sich Nina Wedler sicher anders vorgestellt. Mit großem Elan und vielen Plänen hat die 27-Jährige vor ein paar Wochen die Leitung der dortigen Karstadt-Filiale übernommen. „Ich möchte das Haus noch stärker als bisher auf die Bedürfnisse der Kunden vor Ort ausrichten“, sagt die jüngste Filialleiterin, die die Warenhauskette je hatte.
Auch die Positionierung gegenüber den benachbarten Einkaufszentren Harburg Arcaden und dem Phoenix-Center will Wedler noch genauer herausarbeiten. „Das Phoenix-Center ist im Gegensatz zu unserem Haus sehr weitläufig. Wir haben hier alles unter einem Dach, das ist das Charmante.“
Im Augenblick allerdings müssen Wedler und ihre rund 130 Mitarbeiter erst einmal die zahlreichen Hiobsbotschaften verdauen, die in den vergangenen Wochen aus der Konzernzentrale in Essen zu hören waren. Karstadt ist im Krisenmodus. Mal wieder.
Erst warf die beliebte Konzernchefin Eva-Lotta Sjöstedt nach nicht einmal fünf Monaten entnervt das Handtuch, weil sie sich vom Eigentümer Nicolas Berggruen nicht ausreichend unterstützt und offensichtlich hintergangen fühlte. Ein schwerer Schlag für die bundesweit noch 17.000 Mitarbeiter, hatte die Schwedin mit ihrer offenen und umgänglichen Art doch für Aufbruchsstimmung nach Jahren des Niedergangs gesorgt.
In dieser Woche fühlte sich dann Aufsichtsratschef Stephan Fanderl bemüßigt, rund ein Viertel der noch verbliebenen 83 Karstadt-Häuser quasi zum Abschuss freizugeben. Es gebe zwar noch keine konkreten Schließungsbeschlüsse, sagte Fanderl, aber das Unternehmen mache sich „seit einiger Zeit berechtigte Sorgen um die Profitabilität von mehr als 20 Häusern“.
Zu all diesen Nachrichten oder auch der wirtschaftlichen Lage des eigenen Hauses will sich die Harburger Filialleiterin nicht äußern, jede Formulierung kann in der jetzigen Situation gefährlich sein. Die Geschäftsführer der anderen Hamburger Karstadt-Häuser sind lieber gleich abgetaucht und verweisen bei Anfragen an die Zentrale.
Karstadt in Harburg ist in vielfacher Hinsicht ein typisches Warenhaus der Kette. Im Erdgeschoss empfangen die Düfte aus der Parfümerie die Kunden, die oberen Stockwerke werden von Mode, Haushaltswaren und Artikeln wie Bettwäsche, Matratzen und Tischtüchern dominiert. Ganz oben suchen einige Damen in der Abteilung „Nähen kreativ“ nach Knöpfen, Stricknadeln und neuen Stoffen. Das alles spricht vor allem eine ältere Zielgruppe an. Das jüngere Publikum unter 30 orientiert sich lieber gleich in Richtung Shoppingcenter oder Hamburger Innenstadt.
Dabei hat es im Harburger Karstadt-Haus durchaus eine Reihe von Veränderungen gegeben. Die Spielzeugabteilung ist 2013 ins Erdgeschoss gewandert, dort gibt es jetzt auch einen Ableger von Karstadt Sports. Dies sind allerdings nur einige moderne Inseln in einem eher traditionellen Ambiente. Gleich neben Modemarken wie Tom Tailor oder s.Oliver befindet sich eine Schmuckwerkstatt, die mit ihrem verschnörkelten Schriftzug und den Glasvitrinen aus einem anderen Jahrzehnt zu stammen scheint.
Der Stilbruch setzt sich im Untergeschoss fort. Eine zeitgemäße Lebensmittelabteilung mit aufwendig präsentiertem Obst und Gemüse auf der einen, der Schnäppchenmarkt mit reduzierten Stiefeln auf der anderen Seite.
Die gerade abgetretene Karstadt-Chefin Sjöstedt wollte Filialen wie die in Harburg konsequent zu Nahversorgungshäusern weiterentwickeln, große Häuser wie an der Mönckebergstraße sollten sich als „Besuchsfilialen“ hingegen ganz auf Touristen und Zielgruppen von außerhalb konzentrieren. Doch die genaue Ausgestaltung des Konzepts ist die Schwedin schuldig geblieben. Für eine Neuausrichtung hätte Karstadt wohl auch viel Geld in die Hand nehmen müssen, das es aber nicht gibt.
An der Ladenkasse verdienen die 83 Karstadt-Häuser derzeit kein Geld, wie der Aufsichtsratschef in dieser Woche noch einmal betonte. Und der einst als großer Retter gefeierte Investor Berggruen ist offenbar auch nicht bereit, Mittel für die Modernisierung bereitzustellen. Im Gegenteil: Zwischen neun und zwölf Millionen Euro soll der Deutschamerikaner pro Jahr für die Nutzung der Rechte an der Marke Karstadt kassieren, die bei ihm liegen.
Die Mehrheit an den vergleichsweise gut laufenden Sport- und Premiumhäuser, zu denen auch das Hamburger Alsterhaus gehört, hat Berggruen längst an den österreichischen Investor René Benko verkauft. Die Summen, die Benko aus diesem Geschäft in Tranchen an Karstadt überweist, sind es, die den schlingernden Konzern derzeit noch über Wasser halten. Nur weil ihm 150 Millionen Euro aus diesen Zahlungen als Sicherheit angeboten wurden, soll sich ein großer Warenkreditversicherer dazu durchgerungen haben, die Geschäfte der Kette noch bis Jahresende abzusichern. Was danach kommt, weiß zurzeit niemand.
Zur Verunsicherung der Mitarbeiter tragen auch die Gerüchte über den bevorstehenden Verkauf der 83 Karstadthäuser an Benko bei. Der Österreicher besitzt schon seit Längerem eine sogenannte Calloption: Für nur einen Euro kann er Berggruen jederzeit die Mehrheit der Anteile an der Karstadt Warenhaus GmbH abnehmen. Ob er dies wirklich tun will und sich damit auch die sanierungsbedürftigen 20 Filialen ans Bein bindet, ist allerdings fraglich.
„Die Beschäftigten haben längst das Vertrauen in die Eigentümer und insbesondere in Herrn Berggruen verloren“, sagt der Hamburger Arno Peukes, der für die Gewerkschaft Ver.di im Aufsichtsrat von Karstadt sitzt. „Durch den Abgang von Frau Sjöstedt und die unverantwortlichen Äußerungen des Aufsichtsratsvorsitzenden wird der Frust der Mitarbeiter immer größer.“ Eine definitive Schließungsliste mit einzelnen Häusern gibt es laut Peukes nicht. „Die Beteiligten sollten einfach mal die Klappe halten, bis es wirklich etwas zu verkünden gibt.“
Auf Unverständnis und Misstrauen stießen in Hamburg auch verschiedene lokale Personalentscheidungen der vergangenen Monate. So wurde im Frühjahr der Chef des Haupthauses an der Mönckebergstraße, Werner von Appen, abgelöst und nach Bielefeld abkommandiert. Der Betriebsrat reagierte überrascht und irritiert, galt von Appen doch als ausgesprochener Kenner des Hamburger Marktes. Er führte die Filiale seit 2004 und war für zahlreiche Umbauten und Erneuerungen in dem traditionsreichen Haus verantwortlich. Von Appens Nachfolgerin Eleonore Jennes will sich zu ihren Plänen zunächst einmal nicht äußern.
Ausgezehrt und frustriert sind die rund 1500 Karstadt-Mitarbeiter in der Hansestadt auch durch die Sparrunden der vergangenen Jahre. Bundesweit wurden zuletzt 2000 Arbeitsplätze abgebaut, zudem ist das Unternehmen aus der Tarifbindung ausgestiegen. „Beim Personal wird ständig gekürzt, die Arbeitsbelastung der einzelnen Mitarbeiter nimmt immer mehr zu“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende von Karstadt in Wandsbek, Thies Nowacki. Als er vor 20 Jahren angefangen habe, seien in der Filiale mehr als 600 Menschen beschäftigt gewesen, heute seien es 180, auf Vollzeitstellen umgerechnet sogar nur 120.
Karstadt in Wandsbek ist ein weitgehend modernisiertes Haus, im Gegensatz zu Harburg hat man nicht den Eindruck, dass einzelne Elemente nicht zusammenpassen. Schwierigkeiten aber gibt es auch hier: „Seit die Multimediaabteilung geschlossen und durch Mode ersetzt wurde, haben wir Probleme mit der Kundenfrequenz. Männer kommen selten ins Haus, weil ihnen die Anlaufstelle fehlt“, sagt Nowacki.
Die Entscheidung, sich aus dem Geschäft mit CDs, Fernsehern und Computern zurückzuziehen, geht noch auf den glücklosen Konzernchef Andrew Jennings zurück. Der setzte komplett auf Mode, weil mit Technik angesichts des aggressiven Preiskampfs im Internet kein Blumentopf mehr zu gewinnen war. „Mode aber bringt nicht die Umsätze, die wir in der Multimediaabteilung erzielt haben“, sagt Betriebsrat Nowacki. Aus seiner Sicht müssten zeitgemäße Marken wie Jack & Jones mehr beworben werden, um auch jüngeres Publikum ins Haus zu locken.
Bei manchen Aktionen hat man in Wandsbek allerdings den Eindruck, die Filialleitung bemühe sich eher, die Menschen aus dem Haus fernzuhalten. Mitten im Hochsommer empfangen derzeit Weihnachtsmänner in Badehosen und ein Tannenbaum die Kundschaft am Haupteingang. Die Schaufensterpuppen weisen auf reduzierte Christbaumkugeln, Blechbäume und Holzschlitten im Untergeschoss hin. „Die Ware muss noch raus, bevor in einem Monat die neuen Weihnachtsartikel kommen“, sagt eine Mitarbeiterin.