Bei einem Rundgang durch die Stadt erklärt Amtsleiter Andreas Kellner, wie bei aktuellen Sanierungsfällen um Kompromisse gerungen wird. Eine Balance zwischen Erhalten und Verändern.

Hamburg. „Nicht Mittelalter, sondern 50er-Jahre“, sagt Andreas Kellner und deutet auf die bleigefassten Fenster, die das Haus der Patriotischen Gesellschaft ein bisschen wie eine Ritterburg wirken lassen. Hindurch sehen kann man nicht. Das dahinter liegende Restaurant Zum alten Rathaus bleibt den Blicken der Passanten verborgen. Das soll sich ändern. Die 1765 gegründete Gesellschaft will ihre Residenz an der Trostbrücke zur bevorstehenden 250-Jahr-Feier komplett sanieren. Ins Erdgeschoss soll dann ein Restaurant mit Außengastronomie einziehen, mit transparenten Fenstern und einer Glastür. Doch das von 1844 an von Theodor Bülau im neogotischen Stil errichtete Haus ist denkmalgeschützt; wie bei allen 5000 Denkmälern und geschützten Ensembles der Stadt muss jede bauliche Maßnahme mit dem Denkmalschutzamt abgestimmt werden.

„Das bedeutet schon einmal ein langes Ringen um einen Kompromiss“, sagt Kellner, Leiter des Denkmalschutzamts. Bei einem Rundgang durch die Innenstadt will er zeigen, wie Nutzungs- mit Denkmalinteressen vereinbart werden können. Im Falle der Patriotischen Gesellschaft dürfen die Fenster im Erdgeschoss durch transparente Scheiben ersetzt und zu Türen umgebaut werden. Die Bleiglasfenster im ersten Stock bleiben dagegen erhalten. Neun Millionen Euro wird die Sanierung voraussichtlich kosten, 2,3 Millionen schießt die Bürgerschaft dazu.

Kellner ist seit einem knappen Jahr im Amt. Seine Aufgabe, die richtige Balance zwischen Erhalten und Verändern zu finden, nimmt der 59-Jährige sehr ernst. Zugute kommt ihm, dass er beide Ränder des Spektrums zwischen Denkmalschutz und Stadtentwicklung kennt: Nachdem er in Darmstadt, Edinburgh und Aachen Architektur und Stadtplanung studiert hatte, arbeitete er zunächst vier Jahre beim Denkmalschutz in Lüneburg. Dann kam er als Stadtplaner nach Hamburg und war hier unter anderem für die Entwicklung der HafenCity und zehn Jahre federführend für die Vorbereitung der Internationalen Bauausstellung zuständig.

Doch auch da galt für Kellner: „Ein Architekt muss sich auskennen in der Gestaltung der Zukunft und im Umgang mit der bestehenden Stadt.“ Über das alte Hamburg weiß er viel. Etwa über den Alten Wall, der ersten Station der Tour. „Bis zum 15. Jahrhundert lag hier der westliche Abschluss der Altstadt“, sagt Kellner. Um Bauland zu gewinnen, wurde der Wall dann ein Stück verlegt und Neuer Wall genannt. 1842 brannten die Häuser am Alten Wall ab und wurden durch Kontorhäuser ersetzt. Der Komplex fiel bis auf Fassade und Kopfbauten den Bomben des Zweiten Weltkrieges zum Opfer und wurde später wieder aufgebaut. Jetzt soll innen eine Einkaufspassage entstehen. Bis auf die historischen Gebäudeteile wird alles abgerissen und neu aufgebaut.

Die Vorgaben des Denkmalschutzamts an Architekt Volkwin Marg: die ehemalige Parzellenstruktur der Rückwand wieder aufzunehmen und die Brücke, die vom Neuen Wall zur neuen Einkaufspassage führen soll, so schmal wie möglich zu gestalten. „Kaum einer weiß, dass auch die Wasserflächen denkmalgeschützt sind. Sie sollen möglichst wenig überbaut werden“, sagt Kellner. Pontonanlagen wie auf dem Bleichenfleet sieht er nicht gern. Doch ohne Kompromisse gehe es nicht. „Sie sind manchmal die einzige Chance, historische Gebäude zu erhalten.“

Über die Trostbrücke, von der aus Kellner auf den historischen Nikolaifleet weist, das noch den ursprünglichen Verlauf der Alster zeigt, geht es zur Willy-Brandt-Straße. Dort wird gerade der dreiteilige Gebäudekomplex der Traditionsreederei Hamburg Süd saniert. Bei seinem Bau Anfang der 60er-Jahre war es ein erstes Beispiel für moderne Wiederaufbauarchitektur – Architekt Cäsar Pinnau war inspiriert von amerikanischen Hochhäusern und dem Gedanken eines „offenen Stadtraums“ mit frei stehenden Bürogebäuden. „Das Baudenkmal gehört zu dem Feinsten, was wir an Bürobau haben“, sagt Kellner. Damals revolutionär: Die Fassade hatte keine tragende Funktion, sondern bestand aus vorgehängtem grün getönten Glas. Die Statik ruhte allein auf den Stützen, Trägern und Bodenplatten. Von den verwendeten Materialien ist mittlerweile vieles verschlissen, die Reparatur aufwendig teuer. Als „Gegenleistung“ für die denkmalgerechte Sanierung darf Hamburg Süd ein Stockwerk auf das Hauptgebäude setzen.

Ein Kompromiss zwischen Denkmalschutz und Stadtentwicklung ist das gerade fertig gewordene Katharinenquartier. Hier wurde die alte, von Paul Seitz entworfene Katharinenschule für den Bau eines neuen Wohnquartiers abgerissen. „Aus meiner Sicht wäre die Schule als Baudenkmal aus den 50er-Jahren erhaltenswert gewesen“, sagt Kellner. Der Entschluss fiel vor seiner Zeit, er kann damit leben. „Mit dem neuen Quartier wurde ein guter Beitrag für St. Katharinen geleistet. Es trägt zu einem Anwachsen der Gemeinde und damit zum Erhalt der Kirche bei.“

Vorbei geht es an der Speicherstadt, die Hamburg zusammen mit dem Kontorhausviertel als Weltkulturerbe vorgeschlagen hat. „Entschieden wird nächstes Jahr auf der Unesco-Sitzung, die dann zufällig in Deutschland stattfindet“, sagt Kellner. Er wird dann auf jeden Fall dabei sein, wenn die Entscheidungen bekannt gegeben werden. Zum Weltkulturerbe gehört auch der Umgebungsschutz in der sogenannten Pufferzone, die Unesco könne also künftig auch bei der HafenCity mitreden. Das gilt auch für die Cityhöfe mit dem Bezirksamt am Klosterwall, um die derzeit ebenso gerungen wird wie um das Bezirksamt Hamburg-Nord. „Beide Bezirksämter stehen als bau-, stadt- und sozialgeschichtlich bedeutsame Denkmäler der Nachkriegszeit unter Schutz“, sagt Kellner. Er hat den gesetzlichen Auftrag, sich für ihren Erhalt einzusetzen – doch es gibt auch andere öffentliche Interessen, gegen die der Denkmalschutz abgewogen werden muss. Am Ende entscheidet der Senat.

Auch die alten „Spiegel“-Gebäude an der Brandstwiete, Nachkriegsmoderne und letzte Station des Rundgangs, sind Beispiele für den „offenen Stadtraum“, der in den 60er-Jahren an der Ost-West-Straße entstand. Sie wurden von Werner Kallmorgen bewusst unterschiedlich gestaltet: eins hell mit breiten Fenstern, das andere dunkel mit Lochfenstern, dazwischen liegen Flachbauten. „Gebäude aus dieser Zeit müssen innen modernisiert und außen saniert werden, um weiter genutzt werden zu können“, so Kellner. Das ist teuer. Der Kompromiss hier: Die Flachbauten dürfen abgerissen und durch höhere Gebäude ersetzt werden.

Denkmalschutz – das ist für Kellner etwas, bei dem man über den eigenen Tellerrand – sprich: über Stadt- und Landesgrenzen – hinausschauen muss. „Die Erhaltung des kulturellen Erbes ist die Grundlage der europäischen Identität“, sagt er. Deshalb setzt er sich mit anderen für ein „Europäisches Denkmal-Jahr“ ein. „Es könnte“, sagt er, „in Zeiten der Europamüdigkeit jenseits aller Rettungsschirme wieder das Bewusstsein für unsere kulturelle Zusammengehörigkeit stärken.“