Drei Jahre nach ihrem desaströsen Absturz in Hamburg rüsten sich die Christdemokraten für die Bürgerschaftswahl. Spitzenkandidat Dietrich Wersich dürfte vor allem eines brauchen: einen langen Atem.

Als Dietrich Wersich vom Landesvorstand zum Spitzenkandidaten der CDU bei der Hamburger Bürgerschaftswahl im Februar 2015 nominiert wird, schaltet der 50-Jährige umgehend auf Attacke. Mit harten Worten greift der sonst so umgängliche Oppositionsführer die Person an, die im beginnenden Wahlkampf allerorten präsent zu sein scheint, auch wenn sie gar nicht anwesend ist: Olaf Scholz, allein regierender Bürgermeister, der auch im kommenden Jahr schwer zu schlagen sein dürfte; der Amtsinhaber, an dem sich die politische Konkurrenz abarbeitet.

„Die Bilanz des Scholz-Senats ist ernüchternd“, sagt auch Wersich bei seiner Nominierung. Die SPD habe viele Weichen falsch gestellt. Die Senatoren seien blass, der rote Filz regiere und die SPD tue so, als ob die Stadt ihr gehöre. „Scholz irrt, wenn er davon ausgeht, es reiche, die ,Folgen des Wachstums‘ zu bewältigen“, so Wersich, das Wachstum selbst müsse gestaltet werden. Scholz und immer wieder Scholz.

Manche dieser Sätze mögen im Wahlkampf verfangen. Sie sind so, wie Wersich selbst ist: durchdacht, mit einigem intellektuellen Anspruch und neuerdings ziemlicher Angriffslust. Aber der Christdemokrat ist lange genug in der Politik, um zu wissen, dass seine Partei bei dieser Bürgerschaftswahl nur vier Jahre nach dem Absturz der CDU von einer, sagen wir, Außenseiterposition startet. Von 21,9 Prozent 2011 hat sich die CDU in Meinungsumfragen zuletzt auf 24 Prozent hochgearbeitet. Die SPD kommt allerdings auf fast das Doppelte. Das Rennen, sagt Wersich dennoch, sei offener als vielfach geglaubt werde.

Mit wem regieren?

Dabei tut sich die CDU schwer, angesichts dieser Zahlenverhältnisse eine glaubhafte Machtoption zu formulieren, die ihre Wähler mobilisieren könnte. Mit wem regieren? Etwas vage verweist man in der Partei auf die Grünen und die FDP – sowie auf die Alternative für Deutschland (AfD), die auch das andere Lager kosten könnte. Eine Zusammenarbeit mit der AfD schließt die CDU „momentan“ aus.

Parteichef Marcus Weinberg formuliert selbstbewusst: „Wenn wir bei der Wahl deutlich an Stimmen zulegen, werden wir daraus einen Regierungsanspruch ableiten.“ Das beschwört die Erinnerung an 2001, als die CDU nur 21,9 Prozent der Stimmen erhielt, Ole von Beust aber mithilfe von FDP und Schill-Partei Bürgermeister wurde.

Wie Weinberg denkt auch Spitzenkandidat Wersich, der vor einigen Jahren zu Fuß die Alpen überquerte, ohnehin in längeren Prozessen. Als der frühere Sozialsenator nach der Wahlniederlage mit überraschender Entschlossenheit nach dem Fraktionsvorsitz griff, wusste er, dass viel Aufbauarbeit vor seiner Mannschaft liegt. Zusammen mit Weinberg ging es Wersich auch darum, den Rechtsschwenk des Kurzzeit-Bürgermeisters Christoph Ahlhaus zu korrigieren, das Hinterzimmer-Gekungel einiger CDU-Granden zu beenden und an die liberale großstädtische Tradition der Partei zu Zeiten von Beusts anzuknüpfen.

Wahlkampf soll zum Wettbewerb der Ideen werden

Die Aufbauarbeit, die das Duo seither geleistet hat, ist beachtlich. Die CDU selbst sieht sich wieder als regierungsfähig – zumindest scheint sie den Willen zum Regieren zu haben. Frische Gesichter spielen in der Fraktion eine Rolle: Karin Prien in der Schulpolitik, Christoph de Vries in der Familienpolitik. Wersich, der bei seinem Antritt über keine nennenswerte eigene Machtbasis in der Partei verfügte, hat sich diese im Laufe der Jahre verschafft: Er übernahm den Kreisvorsitz in Hamburg-Nord. Vor einigen Monaten zeigte der Allgemeinmediziner Wersich, der als freundlich und umgänglich gilt, überraschend klare Kante, als der parteilose Bildungspolitiker und Anti-Primarschul-Aktivist Walter Scheuerl die Fraktion verließ.

Regierungsfähigkeit, Kampagnenfähigkeit im anstehenden Wahlkampf und schließlich der Entwurf einer eigenen Programmatik als Alternative zur SPD-Politik – das ist der Dreischritt, den sich die CDU auf dem Weg zurück zur Macht vorgenommen hat. So setzen die Christdemokraten in der Wirtschaftspolitik nicht nur auf den Hafen, sondern auch auf Hightech und nutzen unter dem Stichwort „Metropole des Wissens“ die aktuelle Diskussion über die mangelnde Qualität und Exzellenz der Hamburger Hochschulen.

An der Schnittstelle von Wirtschaft und Wissenschaft soll die Gründung von Unternehmen gefördert werden. Mit der Forderung nach einem wirkungsvollen Baustellenmanagement und dem Stopp des Busbeschleunigungsprogramms dürfte die CDU den Nerv vieler Wähler treffen. Schließlich bekennt sich Wersich klar zu einer Olympiabewerbung der Hansestadt und will mehr Internationalität. Der Wahlkampf soll zum Wettbewerb der Ideen werden.

Nur wenige Frauen kandidieren

Fraglich ist allerdings, ob sich mit diesen Themen die Wechselstimmung erzeugen lässt, die bisher fehlt und entscheidend für die Ablösung einer Regierung sein dürfte. Scholz und sein Senat machen wenig Fehler. Und da, wo der Bürgermeister angreifbar ist, im Umgang mit den Lampedusa-Flüchtlingen beispielsweise oder dem Polizei-Einsatz bei Demonstrationen, ist auch Wersich nicht liberaler.

Von ihrem erklärten Ziel, mehr Frauen für die Bürgerschaftswahl aufzustellen, ist die CDU noch weit entfernt. Von den insgesamt 159 Wahlkreiskandidaten, die bei internen Wahlen bestimmt wurden, sind zwar 45 weiblich. Doch nur in ganzen drei der 17 Wahlkreise kandidiert eine Frau auf dem sicheren ersten Platz: Karin Prien in Blankenese, Franziska Grunwaldt in Altona sowie Birgit Stöver in Harburg. Bei der Landesliste werde er dafür sorgen, dass das Quorum von 30 Prozent Frauen eingehalten werde, versichert Weinberg.

Auffällig ist aber auch, dass eine Reihe altgedienter Platzhirsche bei der Wahl der Wahlkreiskandidaten, die in dieser Woche zu Ende ging, durchfiel: Olaf Ohlsen in Stellingen/Hoheluft-West, Andreas Wankum in Eppendorf/Winterhude und der Innenpolitiker Kai Voet van Vormizeele in Barmbek/Uhlenhorst.

„Es werden andere nachkommen“

Das kann man als Zeichen des Unfriedens in der Partei deuten. Weinberg allerdings sieht es als Ausdruck eines lebendigen innerparteilichen Willensbildungsprozesses. „In einigen Wahlkreisen gab es mehrere Kandidaten, diesen Wettbewerb finde ich gut“, sagt er. Viel spricht dafür, dass der innere Demokratisierungsprozess vorangekommen ist.

Eine Reihe profilierter Parlamentarier wird allerdings nicht wieder antreten: Verkehrsexperte Klaus-Peter Hesse kandidiert nach 17 Jahren in der Bürgerschaft aus beruflichen Gründen nicht erneut, ebenso wie der angesehene Schulexperte Robert Heinemann. Auch die Sozialpolitikerin Katharina Wolf, einst Nachwuchshoffnung der Fraktion, ist nicht wieder dabei. „Es werden andere nachkommen“, kommentierte Wersich den Rückzug der Parlamentskollegen.

Die Frage ist nur, wann. In der Partei ist bereits von der „Generation 2020“ die Rede. Dann wäre die CDU fast zehn Jahre lang in der Opposition, ebenso lange wie zuvor die SPD. Und Scholz womöglich schlagbar.