Das Streben nach Statussymbolen ist weitestgehend vorbei. Nur jeder dritte Hamburger setzt Wohlstand mit einem ansehnlichen Vermögen gleich. Viel wichtiger sind Aspekte wie Sicherheit und Gesundheit.
Vor mehr als 50 Jahren veröffentlichte Ludwig Erhard sein Buch „Wohlstand für Alle“. Der Gedanke, der diesem Werk zugrunde liegt, war recht einfach: Trägt der Staat dafür Sorge, dass die Wirtschaftsleistung steigt, wird für alle Bürger Wohlstand möglich sein. Gegenwärtig erreicht jedoch das Wirtschaftswachstum bei Weitem nicht mehr die Steigerungsraten wie zu Erhards Zeiten – in den 1950er-Jahren lagen diese bei mehr als acht Prozent jährlich. Genau genommen waren es im vergangenen Jahr gerade einmal 0,4 Prozent und in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich 1,2 Prozent, die unsere Wirtschaft wuchs.
Ist damit der Traum vom Wohlstand für alle ausgeträumt? Wenn man den bekannten Dreiklang der Vergangenheit „Mein Haus, mein Auto, meine Yacht“ als Maßstab nimmt, ganz sicher. Doch das Streben nach diesen Statussymbolen ist weitestgehend vorbei. Vielmehr macht sich innerhalb der breiten Bevölkerung ein Umdenken bemerkbar: „Sorgenfrei statt reich“ beschreibt das neue Wohlstandsdenken der Bürger. So wird ein ansehnliches Vermögen nur von etwa jedem dritten Hamburger noch mit Wohlstand gleichgesetzt. Stattdessen zählen für die Mehrheit der Bürger derzeit vor allem Sicherheitsaspekte. Entsprechend wird Wohlstand mit folgenden drei Faktoren in Verbindung gebracht: erstens ein sicheres Einkommen als wichtiges materielles Fundament, zweitens ein Leben ohne Zukunftsängste und Sorgen sowie drittens Gesundheit.
Somit besteht zwar auch weiterhin ein Zusammenhang zwischen Geld und Wohlstand, allerdings lässt sich Wohlstand eben nicht mehr allein auf eine ökonomische Dimension reduzieren. Neben dem Teilbereich der finanziellen Grundsicherung spielen zunehmend auch persönliche und soziale Aspekte beim subjektiven Wohlstandsverständnis eine große Rolle. Diese reichen von der eigenen Gesundheit, über einen intakten Familien- und Freundeskreis bis hin zu Zeit und Freiheit. Innerhalb der Bevölkerung lassen sich hierbei einige interessante Priorisierungen nachweisen. So zeigen Frauen ein deutlich breiteres Wohlstandsverständnis als Männer. In 14 von 15 Bereichen äußern sie mehr Zustimmung, lediglich beim Statement „reich sein“ liegen die Männer vorne. Innerhalb der Einkommensgruppen hat für Geringverdiener ein Leben ohne Sorgen und Ängste eine deutlich größere Bedeutung als für die einkommensstarken Hanseaten. Für sie spielt hingegen die Zeit eine besonders wichtige Rolle.
Wohlstand bedeutet für Besserverdiener daher unter anderem vor allem Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten sowie Zeit für sich und andere zu haben. Im Vergleich der Altersgruppen betonen die jungen Hamburger überdurchschnittlich oft die eigene Autonomie – also das tun zu können, was sie wollen – sowie den Wunsch, viel Geld zu haben. Dagegen setzt die mittlere Generation der Hamburger verstärkt auf Sicherheit und Vorsorge.
Ältere Hamburger betonen vor allem den Wert der Freundschaft
Die älteren Mitbürger unserer Stadt nennen währenddessen besonders oft den Gesundheitsaspekt sowie den Wunsch, nicht allein zu sein, und betonen daher die Bedeutung von Freundschaften. „Wohlstand für Alle“ stellt demnach durchaus noch ein realistisches Zukunftsbild dar. Es muss lediglich an die heutigen Bedürfnisse der Hamburger angepasst werden. Diese Bedürfnisse sollten Parteien und Politiker stets berücksichtigen, wenn sie Prioritäten setzen und Rahmenbedingungen vorgeben. Auch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände müssen sie beachten, wenn sie über Arbeitsplatzsicherheit und Lohnsteigerungen verhandeln, und genauso sollte sich jeder einzelne Bürger seiner Bedürfnisse bewusst sein, wenn er über seinen eigenen Wohlstand nachdenkt.
Zum Abschluss noch einmal zurück zu Erhard und dessen Forderungen. Als er diese verfasste, herrschte eine völlig andere Lebenssituation vor, als sich die meisten von uns heute vorstellen können. Zu jener Zeit wurde für Deutschland berechnet, dass auf jeden Deutschen nur alle fünf Jahre ein neuer Teller komme, lediglich alle zwölf Jahre ein neues Paar Schuhe und nur alle 50 Jahre ein neuer Anzug. Es war eine Zeit, in der nur jeder fünfte Säugling in eigenen neuen Windeln lag und gerade einmal jeder dritte Deutsche die Chance hatte, in seinem eigenen Sarg beerdigt zu werden. Wenn wir die Gegenwart aus damaliger Perspektive betrachten, dann haben sich Erhards ökonomische Forderungen „Wohlstand für Alle“ also schon lange erfüllt.
An dieser Stelle schreibt jeden Montag Prof. Ulrich Reinhardt vom BAT-Institut für Zukunftsfragen