Wirtschaftssenator Frank Horch und seine Delegation treffen in Ankara mit Regierungsvertretern zusammen. Ole von Beust spricht mit Investoren.
Ankara. Am Ende hatte es doch noch geklappt. Hieß es in der Vorbereitung ihrer Delegationsreise in die Türkei zunächst, Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) und sein Schleswig-Holsteinischer Amtskollege, Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD), würden bei ihrem Besuch in der türkischen Hauptstadt Ankara lediglich hohe Repräsentanten des dortigen Transportministeriums zu Gesprächen treffen, wurde das Programm kurzfristig hochrangig erweitert: Gleich zwei Minister (Wirtschaft und Energie) der derzeitigen Regierung luden die norddeutschen Politiker zu Gesprächen ein.
Und Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci machte aus den vorgesehenen bilateralen Konsultationen zugleich eine riesige Pressekonferenz. Horch und Meyer staunten nicht schlecht, als sie sich Dutzenden von Fernsehkameras türkischer Medien gegenübersahen. Deren Interesse galt aber weniger den deutschen Länderministern als vielmehr den jüngsten Quartalszahlen zur Wirtschaftslage, die Zeybekci seinem norddeutschen Besuch genüsslich unter die Nase rieb: „4,3 Prozent im ersten Quartal. Unser Wachstum ist stärker als das aller EU-Länder“, sagte der türkische Wirtschaftsminister.
Horch und Meyer, die für einen Ausbau der deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen warben, sahen sich zusätzlich ungeahnter Kritik ausgesetzt: Zeybekci wehrte sich unter anderem gegen die deutsch-amerikanischen Verhandlungen über das geplante EU-Freihandelsabkommen mit den USA. Dieses sei schädlich für die Türkei. Der Grund: Die Türkei ist zwar kein Mitglied der EU, aber in der Zollunion. Kommt das Freihandelsabkommen, können die USA zollfrei auch in die Türkei exportieren, andersherum funktioniert das aber nicht. Horch und Meyer versprachen, dieses Problem in den Verhandlungen ansprechen zu wollen. Was sollten sie auch in einem Moment sagen, in dem alle türkischen Medien anwesend waren? Zuvor hatte es ein Treffen mit dem stellvertretenden Energieminister in kleiner Runde gegeben. Nach gut eineinhalb Stunden, waren die wichtigen Treffen in Ankara dann schließlich vorbei. Zumindest fast.
Denn bei der Rückkehr ins Hotel stießen Horch und Meyer mit einem riesigen Gefolge unter Polizeibegleitung zusammen: Der iranische Staatspräsident ist derzeit ebenfalls zu Gast in Ankara. Aber das war nun wirklich reiner Zufall. „Ich habe mir schon gedacht, dass die nicht wegen uns so einen Aufstand machen“, scherzte Horch. Zusammen mit Meyer und mehr als 60 Vertretern der norddeutschen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft bereist der Hamburger Wirtschaftssenator in dieser Woche die Türkei, um Kontakte zu knüpfen und die wirtschaftlichen Beziehungen zu intensivieren. Eine eher heikle Mission, da sich die innenpolitische Lage derzeit zuspitzt und die gesellschaftlichen Verwerfungen zwischen jungen freiheitsliebenden Kräften in den türkischen Großstädten und der konservativ-religiösen Regierungspartei zunehmen.
Unterstützung erhalten die beiden Minister für ihre Mission von einem Mann, der selbst zweimal an der Spitze deutscher Delegationsreisen in die Türkei stand und als Kenner des Landes gilt, Hamburgs früherer Bürgermeister Ole von Beust. Von der Bürgerschaftswahl 2001 bis zu seinem freiwilligen Rücktritt 2010 hat er die Geschicke der Hansestadt bestimmt. Seitdem arbeitet der CDU-Politiker und gelernte Jurist wieder als Rechtsanwalt, mit einem Büro in Hamburg und einem in Berlin.
Zusammen mit dem ehemaligen Grünen-Staatssekretär Rezzo Schlauch ist von Beust aber auch Deutschland-Repräsentant für die staatliche türkische Agentur für Wirtschaftsförderung ISPAT. Diese will ausländischen Investoren in die Türkei locken. Einmal im Jahr kommt von Beust in dieser Funktion in Istanbul mit Vertretern deutscher Firmen in der Türkei zusammen. Und aus den Äußerungen der Unternehmer könne man eines klar ableiten, sagt von Beust: „Die innenpolitische Lage ist für sie kein Hemmnis.“ Ähnlich formulierte es der Deutsche Botschafter in Ankara, Eberhard Pohl, gegenüber der Delegation: Die deutschen Firmen in der Türkei seien angesichts der innenpolitischen Spannungen vorsichtiger geworden, mittel- und langfristig aber weiter optimistisch.
Beust engagiert sich seit nunmehr zwei Jahren für die Wirtschaftsförderungsagentur der Türkei. Dabei stößt er vereinzelt auf Kritik: Der Verfassungsrechtler und frühere CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Professor Ulrich Karpen hatte Beusts Engagement als „problematisch“ bezeichnet. Die Türkei entwickele sich derzeit in eine autokratische Richtung. Er halte es deshalb nicht für angemessen, dass sich ehemalige Hamburger Bürgermeister in den Dienst solcher Regierungen stellten.
Von Beust weist die Kritik an seinem Engagement für die türkische Regierung zurück. Nach seiner Auffassung ist die Kritik von der Überheblichkeit westlicher Demokratien geprägt. Die Türkei befinde sich seit zehn Jahren in einem tief greifenden wirtschaftlichen aber auch gesellschaftlichen Wandel. Man sollte dem Land diese Entwicklung zugestehen. „Wenn es danach ginge, könnten wir uns in etlichen Ländern nicht mehr engagieren.“
Beust hat sich in der Vergangenheit deutlich für einen schnellen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen, nicht zuletzt, da das Land insbesondere in den Anfangsjahren des vergangenen Jahrzehnts große Anstrengungen unternommen hat, die Bedingungen für einen Beitritt zu erfüllen. Die Türkei verfügt anders als manche EU-Mitgliedsstaaten über solide Staatsfinanzen. Sowohl das jährliche Haushaltsdefizit von aktuell 1,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) wie auch die Gesamtschuldenquote liegen deutlich unter den Maastricht-Kriterien. Gleichwohl sieht auch von Beust die aktuellen Probleme und politischen Spannungen, die einem raschen Beitritt zur Europäischen Union entgegenstehen. „Das ist derzeit kein Thema.“
Eines der Probleme will die ISPAT gerade bekämpfen: Die Türkei hat zwar ein robustes Wirtschaftswachstum. Ein gravierendes Problem ist allerdings die schwache Außenhandelsbilanz, deren Defizit sich allein im vergangenen Jahr um annähernd 19 Prozent erhöht hat. Exporten im Wert von rund 152 Milliarden Dollar standen Importe von immerhin rund 252 Milliarden Dollar gegenüber. Hauptursache für das Ungleichgewicht im Außenhandel ist die hohe Importabhängigkeit von Energie- und Rohstoffen sowie Halbwaren für die Industrieproduktion. Die ISPAT will diese hohe Abhängigkeit von Einfuhren aus anderen Ländern zurückfahren und sucht deshalb ausländische Unternehmen, die direkt in der Türkei investieren wollen.
Er rede vor allem mit Industriebetrieben über ein Engagement, sagte von Beust dem Abendblatt. Das Interesse für Investitionen in der Türkei sei groß. Mit Hafenfirmen, Energieunternehmen, der Pharmabranche sowie einem Unternehmen in Niedersachsen, das Industrieventilatoren herstellt, habe er bereits Gespräche geführt. Für Meyer und Horch, die mit ihrer Reise neue Netzwerke knüpfen wollen, ist das sicherlich kein schlechter Start.