Michael Behrendt übergibt das Ruder von Hapag-Lloyd an Rolf Habben Jansen. Ein Gespräch über Ellenbogentypen, treue Milliardäre und darüber, warum die Reederei bald wieder profitabel sein wird.
Hamburg. Zum Gespräch hat der scheidende Chef ganz bodenständig in die Kantine am Hamburger Ballindamm gebeten. Beim Hineinkommen in den Raum ist eines sofort klar: Eine normale Kantine ist die historische Schalterhalle nicht. Die hohe Decke über Torbogen, dazu viel antik-dunkles Holz wecken ein Gefühl von Verlorenheit. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der sich Hausherr Michael Behrendt an einen der Tische setzt, macht daraus eine alltägliche Situation. Es darf gefragt werden. Ab Herbst wird Behrendt oberster Kontrolleur von Hapag-Lloyd, die nach dem Zusammenschluss mit der chilenischen CSAV weltweit zur viertgrößten Reederei aufsteigt. Was das für ihn persönlich und das Unternehmen bedeutet, ist Teil des folgenden Interviews.
Hamburger Abendblatt: Herr Behrendt, was bedeutet Ihnen die Zahl 22?
Michael Behrendt: So viele Tage verbleiben mir noch als Vorstandsvorsitzender von Hapag-Lloyd.
Wie lange waren Sie dann bei Hapag-Lloyd und wie lange waren Sie Vorstandsvorsitzender?
Behrendt: In Tagen kann ich Ihnen das nicht sagen. In Jahren waren es knapp 15. Davon war ich zwölf Jahre Vorstandsvorsitzender.
Was haben Sie in dieser Zeit versäumt anzuschieben?
Behrendt: Was ich glaubte, getan haben zu müssen, das habe ich getan. Den Rest müssen andere beurteilen.
Musste bei Entscheidungen auch Ihr Ellenbogen eingesetzt werden?
Behrendt: Ellenbogen ist für mich das falsche Wort. Sie müssen an der Spitze immer den Mut haben, klare Entscheidungen zu treffen, die nicht jedermann gefallen. Manchmal auch niemandem.
Wie definieren Sie Ellenbogen?
Behrendt: Ellenbogen ist für mich etwas anderes. Das sind diese Ellenbogentypen, die Leute aus dem Weg boxen. Ellenbogen würde ich bei mir ausschließen, aber ein klares Wort muss sein.
Regiert am 1. Juli der neue Kapitän ganz ohne Sie?
Behrendt: Ja. Wenn das „Closing“ mit CSAV vollzogen ist, dann ist es vorgesehen, dass ich in den Aufsichtsrat gewählt und dessen Vorsitzender werde.
Ist es nicht nach dem „Corporate Governance-Codex“ untersagt, so früh in den Aufsichtsrat zu wechseln?
Behrendt: Nein, der gilt nur für börsenorientierte Unternehmen, und Hapag-Lloyd ist das nicht.
Da haben Sie aber Glück gehabt.
Behrendt: Mit Glück hat das nichts zu tun, sondern mit den klaren Rahmenbedingungen, die das ermöglichen. Im Übrigen ist das eine Entscheidung der Anteilseigner.
Muss der jetzige Aufsichtsratsvorsitzende Jürgen Weber gehen, weil er sich mit Ihrem Miteigentümer, Klaus-Michael Kühne, nicht verstanden hat?
Behrendt: Nein, überhaupt nicht. Jürgen Weber hat hier wirklich einen tollen Job gemacht. Er hat das Unternehmen in schwierigen Zeiten exzellent begleitet. Er war mir eine große Stütze und hat einfach von sich aus entschieden, dass ich in dieser Übergangsphase den Aufsichtsratsvorsitz bereits in diesem Jahr übernehmen soll.
Warum?
Behrendt: Um die Kontinuität unseres zukünftigen größeren Geschäftes schon jetzt gewährleisten zu können.
Welchen Einfluss hat Klaus-Michael Kühne bei Hapag-Lloyd?
Behrendt: Er ist ein bedeutender Aktionär, und im Rahmen seiner Rolle als Gesellschafter kann und sollte er auch den Einfluss nutzen, der ihm zusteht.
Warum hängt er so an diesem Unternehmen?
Behrendt: Weil er jemand ist, der eine enge Verbindung zu seiner Heimatstadt Hamburg hat. Und weil er Hapag-Lloyd, da bin ich mit ihm zu einhundert Prozent deckungsgleich, als eine der wenigen letzten historischen, wirtschaftlichen Organisationen empfindet. Sie hat mehr als eineinhalb Jahrhunderte überlebt und sich in dieser Zeit immer den wirtschaftlichen Gegebenheiten angepasst. Deshalb existiert sie und wird weiterhin existieren.
Was hat Klaus Michael Kühne für einen Anspruch?
Behrendt: Dass Hapag-Lloyd ein Unternehmen ist, das sich erfolgreich am Markt behauptet, wächst, und – ganz wichtig – das eines Tages aus dieser ganz schweren Schifffahrtskrise herauskommt und an alle seine Gesellschafter wieder eine Dividende zahlen kann.
Was verbindet Sie beide?
Behrendt: Nicht Wachstum um des Wachstums Willen, sondern wenn, dann profitables Wachstum. Bisher sind mehrere Milliarden von unseren Gesellschaftern und auch von Klaus-Michael Kühne investiert worden. Aufgrund der Rahmenbedingungen in der Schifffahrt haben sie noch keine Dividende gesehen.
Will der Milliardär etwa nichts verdienen?
Behrendt: Das will er bestimmt, und das wird er auch wieder. Das weiß Klaus-Michael Kühne aber auch, weil er Hapag-Lloyd weiterhin als langfristig positives und für den Standort Hamburg wichtiges Unternehmen sieht. Es wird wie in der Vergangenheit auch wieder profitabel arbeiten, wenn die Schifffahrtskrise vorüber ist.
Haben Sie Glücksgefühle? Ihnen ist mit der Übernahme einer chilenischen Reederei ein Coup gelungen.
Behrendt: Glücksgefühle ist ein großes Wort. Man ist zufrieden. Es gibt in der Schifffahrt immer noch zu viele Reedereien. Notwendig ist eine Konsolidierung am Markt. Sie heben durch das Zusammengehen von mehreren Reedereien Synergien. Ob Sie 100, 200 oder 250 Schiffe haben, das können Sie annähernd mit derselben Organisation abwickeln. Deswegen ist heute mehr denn je Größe ein wichtiges Kriterium in der Schifffahrt.
Warum hat die Fusion mit Hamburg Süd nicht funktioniert?
Behrendt: Es bestand kein Zweifel bei den Beteiligten, und ich sage es bewusst so formuliert, bei allen operativ Beteiligten, darüber, dass dieses ein exzellentes Projekt war und die Realisierung verdient hätte.
Haben sich die Eigentümer nicht verstanden?
Behrendt: Es war kein Problem der Eigentümer von Hapag-Lloyd.
Sondern?
Behrendt: Ich sage nur so viel: Es ist nicht an Hapag-Lloyd und unseren Gesellschaftern gescheitert.
Finden Sie die Beteiligung Hamburgs an Hapag-Lloyd gut?
Behrendt: Ja, es war eine wichtige und gute Entscheidung. Wir wissen alle, es ist keine Entscheidung für immer.
Warum?
Behrendt: Wir standen 2008 vor der Situation, dass unser Altgesellschafter TUI Hapag-Lloyd aus strategischen Gründen verkaufen wollte. Es gab einen großen Interessenten aus Asien, der das Geschäft von Hapag-Lloyd in sein Unternehmen integriert hätte. Mit der Folge, dass, wenn wir Glück gehabt hätten, in Hamburg eine Regionalzentrale für Europa mit 100 Mitarbeitern übriggeblieben wäre. Also letztlich das Ende von Hapag-Lloyd.
Welches war das wichtigste Kriterium für Hamburgs Einstieg?
Behrendt: Einmal ging es um die Arbeitsplätze bei Hapag-Lloyd ...
... und?
Behrendt: … und mindestens genauso wichtig war, dass Hapag-Lloyd für gut 50 Prozent des Containerumschlags im Hamburger Hafen steht. Ware, die irgendwo in Europa verteilt werden soll, muss nicht zwangsweise über Hamburg umgeschlagen werden. Ein anderer Eigentümer hätte damals Rotterdam oder Antwerpen, wo er eigene Terminalinteressen hat, als Hafen für den Umschlag präferiert.
Verbrennt der Senat bei Ihnen nicht unsere Steuergelder?
Behrendt: Ganz und gar nicht. Wenn Hapag-Lloyd übernommen worden wäre, dann hätten über 20.000 Arbeitsplätze im maritimen Hamburger Wirtschafts-Cluster auf dem Spiel gestanden – vor allem im Hafen.
Wieso?
Behrendt: Hapag-Lloyd und seine Allianz-Partner, die wir mit ihrem Umschlag hier im Hafen binden, stehen für jährlich rund 500 Millionen Euro hafen- und schifffahrtsaffine Aufträge in Hamburg. Wenn das auf einmal über Nacht weggeht, dann ist das ein riesiges volkswirtschaftliches Problem.
Können Ihre Containerriesen den Hamburger Hafen überhaupt noch anlaufen?
Behrendt: Unser Problem ist, dass die Schiffe nur halb abgeladen reinkommen, und das nur in ganz engen Zeitfenstern. Es muss sich hier schnellstens etwas ändern, damit die Kapazitäten der größeren Schiffe voll genutzt werden können und keine teuren Verzögerungen beim Anlaufen des Hafens über die Elbe entstehen. Daher ist die Fahrrinnenanpassung so wichtig.
Aber bei diesem Thema tut sich doch nichts, oder?
Behrendt: Mitte Juli beginnt die entscheidende Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Umweltschutz ist von herausragender Bedeutung. Aber wenn ein Projekt über Jahre alle Verfahren und alle Überprüfungen positiv durchläuft, bis hin zur EU in Brüssel und zum Schluss von allen das Einverständnis hat, dass dann noch mal ein Verbandsklagerecht alles von vorne wieder aufrollen kann, dafür fehlt mir dann das Verständnis.
Und wenn es ein Nein zur Elbvertiefung gibt?
Behrendt: Dann müssen wir uns alle diesem Spruch unterwerfen und mit den negativen Auswirkungen zurechtkommen.
Inwiefern?
Behrendt: Die Frage der Fahrrinnenanpassung überlagert alle anderen Probleme, wie die Hinterland-Logistik mit unzureichenden Straßen und veralteten Brücken. Das würde den Hafenstandort Hamburg als den national wichtigsten Hafen schwer treffen.
Trotz allen Engagements wird sich Ihr Arbeitspensum verändern. Ist Ihr Terminkalender künftig leer?
Behrendt: Mein Terminkalender wird ab Juli nicht leer sein, aber hoffentlich etwas leerer als derzeit. Ich habe nach wie vor viele Aufgaben, die ich weiter wahrnehmen werde, teilweise auch neue.
Welche sind das?
Behrendt: Ich sitze in Beiräten, habe ehrenamtliche Aufgaben als Berater und bin Aufsichtsratsmitglied, künftig auch bei Hapag-Lloyd. Zudem bin ich Präsident des Übersee-Clubs. So werde ich in den nächsten Jahren durchaus noch ein bisschen zu tun haben. Aber ohne die vielen Termine des Tagesgeschäfts.
Was bedeutet Ihnen das?
Behrendt: Mir hat die Arbeit immer sehr viel Spaß gemacht. Aber ich werde bald ein Stück weniger fremdbestimmt sein durch meinen Kalender, und darüber freue ich mich.
Was bedeutet Ihnen die Präsidentschaft des so feinen Übersee-Clubs?
Behrendt: Es ist eine große Ehre, das machen zu dürfen. Ich möchte jedoch das „sehr feine“ relativieren.
Warum?
Behrendt: Der Club steht allen offen. Da muss man nicht reich sein, sondern man muss etwas geleistet haben. Man muss eine interessante Persönlichkeit sein. Der Übersee-Club ist kein Businessclub.
Sondern?
Behrendt: Er ist damals von Max Warburg als Vortragsclub gegründet worden. Ich bin stolz auf diesen Club, der nicht dafür da ist, dass man in der Lobby Visitenkarten tauscht, sondern, dass man zuhört und auch dazulernt. Das finde ich sehr wichtig.
Was für Gefühle bewegen Sie, wenn Sie die Brücke von Hapag-Lloyd verlassen?
Behrendt: Auch ein bisschen Wehmut ist dabei. Schließlich hängt man ja auch an einem Unternehmen. Aber es sind vor allem Zufriedenheit und Freude.
Warum?
Behrendt: Zufriedenheit, weil ich mein Bestes gegeben habe. Ich hinterlasse ein Unternehmen, das gut aufgestellt ist, das aber weiter perfektioniert werden kann. Und ich freue mich darüber, dass ich Hapag-Lloyd weiterhin als zukünftiger Aufsichtsratsvorsitzender verbunden sein kann. Das ist eine große Freude.
Ist Hapag-Lloyd Ihr Ein und Alles?
Behrendt: Nein, Hapag-Lloyd war neben meiner Familie aber doch das Wichtigste für mich.
Sie werden am 19. Juni 63 Jahre alt. Eigentlich doch Zeit, ganz in die Frührente zu gehen?
Behrendt: Das finde ich gar nicht. Ich bin nicht der Typ dafür.
Wieso nicht?
Behrendt: Weil ich nicht dafür geeignet bin, nichts zu tun. Ich bin aber durchaus dazu geeignet, weniger zu tun. Und meine Frau ist sicher auch ganz froh, wenn sie mich nicht von morgens bis abends zu Hause hat.
Was schwebt Ihnen vor, im Leben noch zu erreichen?
Behrendt: Das kann ich leider nicht selbst beeinflussen, denn das Wichtigste ist für mich, gesund zu bleiben und noch möglichst lange und glücklich mit meiner Familie zu leben. Das ist mein größter Wunsch.
Sie wären für mich ein fabelhafter Politiker, warum gehen Sie nicht in die Politik?
Behrendt: Ich habe schon viele Sachen gemacht. Man muss aber auch nicht alles machen.
Wären Sie nicht für viele Hamburger der ideale Bürgermeisterkandidat der CDU?
Behrendt: Darüber mache ich mir nicht einmal Gedanken.
Warum nicht?
Behrendt: Weil es nicht meiner Lebensplanung entspricht.
Gibt es nach dem aktiven Berufsleben noch Zeit für einen Alster- oder Elbe-Spaziergang?
Behrendt: Mehr denn je. Bei mir ist es ja der morgendliche Lauf um die Alster.
Wenn Sie morgen noch drei Sachen unbedingt zu tun hätten, welche wären das?
Behrendt: Erstens endlich mal nicht nur im Büro, sondern auch zu Hause in manchen Schubladen und Schränken für Ordnung zu sorgen. Das Zweite ist, dafür zu sorgen, dass ich die Aufgaben, die ich übernommen habe, angemessen ausführe. Das Dritte sind Reisen, und hier möchte ich vor allem in Peru Machu Picchu besichtigen.
Wann erfüllen Sie sich diesen Traum?
Behrendt: Das werde ich wohl in der nächsten Zeit machen. Aber manchmal ist es ja auch schön, einen Traum zu behalten, indem man es niemals schafft.
Norbert Vojta ist Journalist und Honorarprofessor an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg