Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Hamburger Ex-Justizsenator Anklage wegen Totschlags erhoben. Anwalt hält von diesem Vorwurf jedoch „gar nichts“.
Hamburg. Als „persönlich belastend“ hat der wegen Totschlags angeklagte frühere Justizsenator Roger Kusch die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft bezeichnet. Am Dienstag kündigte der Vorsitzende des Vereins Sterbehilfe Deutschland (StHD) dennoch an: „Wir werden ohne Wenn und Aber weitermachen. Wir sehen aus der Anklage keinen Ansatz, irgendetwas zu ändern.“ Kusch wird beschuldigt, zusammen mit einem Arzt ein gemeinschaftliches Tötungsdelikt an zwei 81 und 85 Jahre alten Frauen begangen zu haben. Sie hätten mit den Vorgängen einen „Präzedenzfall“ in der Sterbehilfe schaffen wollen, so die Anklagebehörde. Wegen seines Einsatzes für die Sterbehilfe ist Kusch seit Jahren umstritten.
Die beiden Seniorinnen waren gestorben, nachdem sie eine Überdosis eines verschreibungspflichtigen Malaria-Medikaments genommen hatten. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der heute 59 Jahre alte Kusch und der beschuldigte Mediziner Dr. Johann Friedrich S. nicht Hilfe zum Sterben leisteten, sondern „selbst die Tatherrschaft über die Selbsttötung hatten“ und die beiden Frauen „nicht frei von Willensmängeln handelten“. Rechtsanwalt Walter Wellinghausen sagte dazu: „Vom Vorwurf des Totschlags halte ich im Ergebnis gar nichts.“ Die Staatsanwaltschaft sei „offensichtlich mit großem Eifer vorgegangen. Das verstellt einem manchmal den Blick auf die Realitäten“, kritisierte Wellinghausen. Man müsse der Staatsanwaltschaft vorhalten, dass die Anklage „nicht sorgfältig“ gefertigt worden sei. „Sie hat handwerkliche Fehler.“ Es werde unter anderem nur ein Teil der Rechtsprechung berücksichtigt. Es sei das Ziel der Verteidigung, das zuständige Landgericht zu überzeugen, „dass die Anklage nicht zugelassen wird“ und es deshalb gar nicht erst zum Prozess komme. Man sehe der Entscheidung des Gerichts „mit großer Zuversicht entgegen“, betonte der Anwalt.
Bei einer Verurteilung wegen Totschlags droht den Beschuldigten eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren. Kusch soll den beiden Frauen, die seit dem 6. Juni 2012 Mitglieder seines Sterbevereins waren, durch seine Organisation das in hoher Dosis kardiotoxische Medikament Chloroquin beschafft haben, das ihnen durch Dr. S. verabreicht wurde. Beiden Beschuldigten wird zur Last gelegt, ein Gutachten zum Sterbewunsch der beiden Frauen nicht wahrheitsgemäß weitergegeben und so die Tötung entgegen den Grundsätzen des Vereins StHD durchgeführt zu haben. „Wir nehmen die Anklage ernst“, sagte der frühere CDU-Mann Kusch, von 2001 bis 2006 Justizsenator. „Es muss jeden betroffen stimmen.“ Doch fühle sich der Verein StHD seinen Mitgliedern, von denen es aktuell 456 gebe, verpflichtet. Zwischen 2010 und 2013 habe der Verein 118 Mitgliedern beim Suizid geholfen, berichtete Kusch. Auch der beschuldigte Mediziner sagte, er empfinde die Anklage als „sehr belastend“. Doch es gehe um Menschen mit zum Teil langer Leidensgeschichte. „Um dieser Menschen willen werde ich weitermachen“, so der Arzt.
Wellinghausen bestritt, mit dem Verfahren einen Präzedenzfall schaffen zu wollen. „Jeder Fall ist ein einzelner Fall.“ Von der Staatsanwaltschaft hatte es geheißen, die beiden Beschuldigten hätten eine juristische Entscheidung über den Fall der „Hilfe zur begleiteten Selbsttötung“ erzwingen wollen. Über Sterbehilfe werde schon lange diskutiert, meinte Wellinghausen. „Und Hamburg prescht vor“ und meine wohl, damit „etwas beeinflussen zu können“. Die Anklage sei eine Hamburgensie. „Einen solchen Fall gäbe es in keinem anderen Landgerichtsbezirk der Bundesrepublik Deutschland.“
Der Präsident der Bundesärztekammer und der Ärztekammer Hamburg, Frank Ulrich Montgomery, übte unterdessen heftige Kritik am früheren Justizsenator: „Ich hoffe sehr, dass die Justiz Herrn Kusch und seinen Helfern das Handwerk legt“, so Montgomery. Es sei unerträglich, wie Kusch die Angst der Menschen vor dem Altern, vor Einsamkeit und Pflegebedürftigkeit für seine Zwecke missbrauche. Er forderte die Regierungskoalition auf, endlich zu handeln: „Die Vorgänge zeigen, dass das Gesetz gegen kommerzielle Sterbehilfe dringend kommen muss.“
Für Bischöfin Fehrs ist Sterbebegleitung das Thema, nicht Sterbehilfe
Auch Bischöfin Kirsten Fehrs hat sich deutlich gegen jede Form von organisierter Sterbehilfe gewandt. Zum aktuellen Verfahren gegen Kusch wollte sie sich allerdings gegenüber dem Abendblatt nicht äußern. Für sie gehe es darum, zu verstehen, „warum Menschen sich überhaupt an sogenannte Sterbehilfevereine wenden“. Die meisten hätten weniger Angst vor dem Tod als vielmehr vor dem Sterben. Deshalb, so die Bischöfin, sei Sterbebegleitung das Thema, nicht aber Sterbehilfe. „Wir brauchen also mehr Palliativstationen und mehr Hospize.“ Wenn dagegen das Tötungsverbot aufgeweicht werde, würden alte, schwache und kranke Menschen einem ungeheuren Druck ausgesetzt.