Staatsanwaltschaft Hamburg wirft dem ehemaligen Justizsenator vor, zwei betagten Frauen zum Tod verholfen zu haben, ohne sie in vollem Umfang über ihren Sterbewunsch aufgeklärt zu haben. Nervenarzt mitangeklagt.
Hamburg. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat den früheren Justizsenator der Hansestadt, Roger Kusch, wegen Totschlags angeklagt. Dem Vorsitzenden des Vereins SterbeHilfeDeutschland e.V. (StHD) wird vorgeworfen, gemeinsam mit dem ebenfalls angeklagten Nervenarzt Dr. Johann Friedrich S. zwei 81 und 85 Jahre alten Frauen mittelbar zum Tod verholfen zu haben.
Kusch soll den Mitgliedern seines Sterbevereins für die am 10. November 2012 durchgeführte Tötung das verschreibungspflichtige Malariamedikament Chloroquin beschafft haben. Verabreicht wurde den Frauen M. und W. das kardiotoxische Mittel dann durch den Arzt S. Beide Damen starben an einer Überdosis.
Kusch und S. wird laut Anklage zur Last gelegt, ein Gutachten zu dem Sterbewunsch der betagten Frauen nicht wahrheitsgemäß weitergegeben und die Tötung entgegen der Grundsätze des Vereins StHD durchgeführt zu haben.
Die Anklagebehörde wirft den Beschuldigten außerdem vor, sich bereits Anfang 2012 entschlossen zu haben, „einen Präzedenzfall in der „Sterbehilfe“, nämlich in Bezug auf eine Begleitung bis in den Tod, zu schaffen“. Die beiden Frauen, die im Juni 2012 dem Verein beitraten, hätten Kusch als Vorsitzenden des Vereins und aufgrund seiner früheren Stellung als Hamburger Justizsenator vertraut, schrieben die Anklagevertreter.
Die psychiatrische Untersuchung, für die der Arzt S. 2000 Euro verlangte, sei eigentlich zu dem Schluss gekommen, „dass die Betroffenen geistig und körperlich rege und sozial gut eingebunden waren und der Grund für ihren Wunsch allein ihre Angst vor dem Altern und dessen Folgen war“, wie es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft vom Montag heißt.
Dass Alternativen zum selbst herbeigeführten Ableben denkbar gewesen wären, hätten Kusch und S. aber verschwiegen. Sowohl die 81-Jährige als auch die 85-Jährige hätten nach dem Vorgespräch durchaus Bedenken über das Vorhaben geäußert. Dennoch wurde die Tötung schließlich vollstreckt.
„Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Angeschuldigten nicht Hilfe zum Sterben leisteten, sondern selbst die Tatherrschaft über die Selbsttötung hatten und die Betroffenen nicht frei von Willensmängeln handelten“, heißt es in der Begründung zur Anklage.
Patientenschützer fordert eigenen Straftatbestand
Kusch war unter Bürgermeister Ole von Beust von 2001 bis 2006 Hamburger Justizsenator. Wann es einen Prozess vor dem Landgericht geben könnte, ist noch offen.
Der Verein StHD wollte sich am Montag nicht äußern, lud aber zu einer Pressekonferenz am Dienstag mit Kusch ein.
„Ob Kusch und sein ärztlicher Helfer tatsächlich die Tatherrschaft hatten, wird im Prozess zu beweisen sein“, teilte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, mit. Jedenfalls werde deutlich, dass sich das Angebot der Sterbehelfer hierzulande nicht vornehmlich an Schwerstkranke wende.
Brysch forderte einen eigenen Straftatbestand für das Verbot der organisierten Suizidbeihilfe. Tötung auf Verlangen steht in Deutschland mit bis zu fünf Jahren Haft unter Strafe, nicht jedoch Beihilfe zum Selbstmord.