Bereits zehn Prozent der Verbrechen werden von unter 18-Jährigen begangen. Hamburger Experten fordern mehr Prävention. Immer mehr Mädchen melden sich in den Beratungsstellen.
Hamburg. Kinder und Jugendliche sind nicht nur Opfer sexuellen Missbrauchs. Hamburger Experten warnen jetzt: Sie werden immer häufiger auch zu Tätern. Der Hamburger Verein Dunkelziffer e. V. schätzt, dass beim sexuellen Missbrauch mindestens ein Drittel der Straftäter Jugendliche sind. Auch laut Polizeistatistik stieg der Anteil der Jugendlichen bei „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ in Hamburg rasant an: von 6,8 Prozent im Jahr 2010 auf gut zehn Prozent zwei Jahre später.
Nach Angaben der Sozialwissenschaftlerin Anita Heiliger besteht in der Altersgruppe der 14- bis 16-Jährigen das höchste Risiko, sexuellen Missbrauch an Kindern zu begehen. 13 Prozent der Mädchen und drei Prozent der Jungen geben an, sexuelle Gewalt von anderen Jugendlichen erlebt zu haben, so das Kieler Präventionsbüro Petze.
Häufigste Tatvorwürfe – so das Ergebnis des Hamburger Modellprojekts für sexuell auffällige Minderjährige – sind „bekleidetes Betatschen, Voyeurismus und obszöne Anrufe“, darüber hinaus spielen Geschlechtsverkehr und Gruppenvergewaltigungen eine Rolle. Das Durchschnittsalter der Opfer lag bei 13 Jahren.
„Viele Mädchen und Jungen“, sagt Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde, „machen unangenehme sexuelle Erfahrungen mit anderen Jugendlichen häufig im Rahmen von Bekanntschaften und Beziehungen, in der Schule oder im Sportverein.“ Die Grenzen zwischen harmlosem Spaß und absichtsvoller Grenzüberschreitung seien oft schwierig zu erkennen. Sigrid Ruppel, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz Hamburg e. V., fügt hinzu: „Inzwischen spielt sich vieles als Cybermobbing im Internet ab.“
Die sexuelle Gewalt unter Jugendlichen beschäftigt zunehmend Hilfsorganisationen und Justiz in Hamburg. Wie aus der Polizeilichen Kriminalstatistik in Hamburg hervorgeht, befanden sich im vergangenen Jahr unter den insgesamt 797 Tatverdächtigen 18 Kinder und 69 Jugendliche. Der Anteil der weiblichen Opfer lag bei 86,4 Prozent.
Inzwischen beobachten die Präventionsexperten, dass sich immer mehr Mädchen in den Beratungsstellen melden. Diplom-Psychologin Sabine Christiansen von Allerleirauh in Hamburg sagt: „Mädchen berichten zunehmend von sexuellen Übergriffen durch Gleichaltrige.“ Vielleicht sei das Thema stärker in den Fokus gerückt – und die Mädchen berichteten offener darüber.
Wie Hamburger Daten nach Angaben des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf (UKE) belegen, stammt der größte Teil der minderjährigen Täter aus bildungsfernen sozialen Schichten mit schwierigen familiären Verhältnissen. Experten sind sich einig darüber, dass der Missbrauch den Tätern ein Gefühl von Macht und Kontrolle vermittelt, was ihnen im Leben sonst versagt werde. Experten und Hilfsorganisationen fordern vom Senat, mehr in Präventions- und Beratungsarbeit zu investieren.