Neuer Schwenk in der Stadtplanung: Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz kündigt an, den Fokus in den nächsten Jahren auf vernachlässigte Stadtteile wie Hamm, Horn oder Rothenburgsort zu richten.

Hamburg. Der bisher von der Politik eher vernachlässigte Hamburger Osten soll zu einem neuen Schwerpunkt der Stadtentwicklungspolitik des SPD-Senats werden.

„Neben dem Sprung über die Elbe zur stärkeren Einbeziehung des Südens wollen wir künftig einen Fokus auf die Entwicklung des Ostens unserer Stadt richten“, sagte Scholz der „Welt am Sonntag“.

„Stadtteile wie Hammerbrook, Rothenburgsort, Hamm oder Horn haben sehr großes Potenzial. Teilweise gibt es dort großartige Wasserlagen. Wenn man sich diese Region anschaut, dann sieht man: Dort sind viele Dinge möglich.“

Im Osten lägen „großartige Quartiere, die einmal zu den zentralen Stadtteilen gehört haben“, die aber große Zerstörungen während des Krieges erlebt hätten.

„Aufwerten ohne zu verdrängen“

„Wenn die HafenCity an den Elbbrücken ankommt, müssen wir dafür sorgen, dass die Kraft, die aus dieser Entwicklung entsteht, sich nach Süden und Osten weiterverbreitet“, so Scholz. Der Senat sei derzeit dabei, konkrete planerische Vorstellungen zur Stärkung der östlichen Stadtteile zu entwickeln.

„Wir arbeiten hart daran“, sagte Scholz. Für die Planung gelte das Motto „Aufwerten ohne zu verdrängen“.

Man wolle, dass die Stadtteile im Hamburger Osten attraktiver würden und viele Menschen sie für sich als mögliches neues Zuhause entdeckten – ohne dass die bereits dort lebenden Hamburger Nachteile in Kauf zu nehmen hätten.

„Es ist sehr plausibel, dass das klappt, wenn wir uns Mühe geben“, so Scholz. „Und wir geben uns Mühe.“ Mit einem „Bündnis für Quartiere“ würden deshalb künftig für genau diese Stadtteile Maßnahmen zur Aufwertung entwickelt.

Pilotprojekt für Rothenburgsort und Hamm-Süd

Nach Informationen der „Welt am Sonntag“ soll das städtische Wohungsunternehmen Saga GWG dieses „Bündnis für die Quartiere“ in Zusammenarbeit mit Genossenschaften, privaten Bauunternehmen und dem Bezirk Mitte konzipieren.

Ziel ist es, „in innenstadtnahen und bislang weniger im Fokus stehenden Quartieren Wohnungsneubau im Rahmen einer nachhaltigen Quartiersentwicklung zu realisieren“. Geplant ist zunächst ein Pilotprojekt für Rothenburgsort und Hamm-Süd.

Die Entwicklung des Hamburger Ostens sei ein Vorhaben für die nächste Dekade, sagte der Bürgermeister. „Sie kann sich angesichts des Wachstums der gesamten Stadt allerdings auch sehr beschleunigen.“

Schon jetzt gehe die Aufwertung vieler Viertel schnell voran, man sehe das etwa an Stadteilen wie Barmbek oder Eilbek. Als Vorbilder für den Hamburger Osten nannte Scholz die positive Entwicklung von weiten Teilen der inneren Stadt, von Quartieren wie Eimsbüttel oder Altona über die vergangenen Jahrzehnte.

Diese sei von den Bürgermeistern Hans-Ulrich Klose und Klaus von Dohnanyi angestoßen und erfolgreich umgesetzt worden. „Niemand hätte damals gedacht, dass zum Beispiel Ottensen einmal so beliebt werden würde“, so der Senatschef.

Auch in anderen europäischen Metropolen wie etwa London sei mittlerweile zu beobachten, wie einstmals weniger angesehene Stadtteile aufgrund des Wachstums und des starken Zuzugs plötzlich sehr schnell aufgewertet würden.

Städtebauliche Sünden drohen nicht

Er habe trotz des massiven und schnellen Wohnungsbaus „keine großen Sorgen“, dass es in Hamburg zu städtebaulichen Sünden wie in den 60er- oder 70er-Jahren komme.

„Erstens haben wir eine gute Baukultur in Hamburg, was sich ja auch darin niederschlägt, dass immer von einer schönen Stadt gesprochen wird“, so Scholz. „Und zweitens sind die aktuellen Bauzahlen wirklich ein Klacks gegenüber den 60er- und 70er-Jahren.“

Zudem würden derzeit so gut wie keine vollständig neuen Großsiedlungen ins Grüne gebaut. Die HafenCity sei komplett neu, ansonsten werde aber vor allem in bereits voll entwickelten Quartieren gebaut, so Scholz.

Ausnahme sei zum Beispiel die ehemalige Röttiger-Kaserne in Neugraben-Fischbek; auch die Neue Mitte Altona habe die Dimension eines kleinen Stadtteils.

Eine Stadt für alle

Und mit mehreren Tausend neuen Wohnungen westlich der neuen Wilhelmsburger Reichsstraße entstünde ebenfalls „fast ein neuer Stadtteil“, der aber eingewoben sei in eine bestehende Struktur. „Deshalb glaube ich, dass das für alle verkraftbar ist. Es ist auch leichter als früher, denn zum Beispiel die Schulen sind ja vielfach schon da.“

Sein wichtigstes Ziel sei es, „dass auch alle in unserer Stadt einen Platz haben, die hier leben wollen“. Das wollten Hamburg und sein Senat „anders machen als London, Paris oder Düsseldorf“.

Die Stadt für alle zu entwickeln, sei aber nur möglich, wenn genügend bezahlbare Wohnungen gebaut würden. „Auch diejenigen sollen in Hamburg wohnen können, die nicht über ein besonders hohes Einkommen verfügen“, so Scholz.

„Das Durchschnittseinkommen in Deutschland liegt bei etwas mehr als 2800 Euro brutto, das vergessen manche gern“, so Scholz. Dass CDU und Grüne den Wohnungsbau so sträflich vernachlässigt hätten, habe nicht in erster Linie damit zu tun, dass sie etwas übersehen hätten. „Diese Parteien haben einfach ein anderes Konzept“, so Scholz. „Sie halten den Wohnungsbau für weniger prioritär.“

Auch der Verkehr soll ausgebaut werden

Natürlich sei es nötig, angesichts der dynamischen Entwicklung der Stadt auch die Verkehrsmittel auszubauen, sagte Scholz. Deswegen habe sein Senat mit der U4-Verlängerung, den Planungen für S4 und S21 auch das größte Investitionsprogramm für den Ausbau des S- und U-Bahnverkehrs aufgelegt, treibe den barrierefreien Ausbau der Stationen voran und forciere die Steigerung der Kapazität und Geschwindigkeit der Busse sowie die Förderung der Elektromobilität.

Zudem habe der Senat die Hochbahn gebeten, Pläne zum Ausbau des U-Bahn-Netzes in den 20er- und 30er-Jahren zu erarbeiten. Diese seien mittlerweile „sehr konkret und bald soweit, dass wir sie den Hamburgern vorstellen können“, so der Bürgermeister. Es müsse aber sorgfältig geplant werden.

„Wir dürfen doch nicht so etwas machen wie die CDU: zweimal die Stadtbahn stoppen und sie dann ins Wahlprogramm schreiben. Das nimmt ja niemand ernst“, sagte Scholz. Wer im laufenden Jahrzehnt ein neues Verkehrsprojekt plane, müsse sagen, was er streichen wolle.

„Die S4, die S21, den behindertengerechten Ausbau der U-Bahn-Stationen, den Ausbau des Radwegesystems oder irgendein anderes Projekt.“ Zudem würde es wie bei allen anderen Großprojekten „erhebliche planerische Probleme und rechtliche Unwägbarkeiten geben“, sagte Scholz.

Es sei davon auszugehen, dass gegen „alles geklagt wird“. Deswegen sei es nicht seriös, den Hamburgern zu versprechen, man könne in der nächsten Wahlperiode eine Stadtbahn als zusätzliches Verkehrsprojekt realisieren

Hamburg und Berlin sollen zusammenrücken

Neben der Entwicklung der östlichen Hamburger Stadtteile richtet Scholz den Blick aber auch noch weiter gen Osten – nämlich nach Berlin. Er sehe Hamburg nicht etwa in scharfer Abgrenzung oder erbitterter Konkurrenz zur Bundeshauptstadt.

„Ich halte es für sehr wahrscheinlich und auch wünschenswert, dass Berlin und Hamburg eher näher aneinanderrücken“, sagt Scholz. Schon jetzt gebe es mehr als 1000 Berufspendler, die in einer der beiden Städte wohnten und in der anderen arbeiteten.

Das sei zwar im Vergleich zu den Einpendlern insgesamt eine kleine, aber dennoch bemerkenswerte Zahl, so der Bürgermeister. „Schon jetzt sind es nur anderthalb Stunden Fahrt zwischen den beiden Städten. Und ich bin immer sehr dahinter her, dass wir die Bahnverbindungen noch weiter verbessern. Denn natürlich ist die Strecke Hamburg–Berlin mittlerweile fast eine Pendler-Distanz.“

Scholz wies erneut den auch von Teilen der Opposition immer wieder erhobenen Vorwurf zurück, er habe keine Vision für Hamburg.

Hamburg sei die skandinavischste Stadt Deutschlands und habe anders als fast alle anderen westdeutschen Städte ein flächendeckendes Angebot an Krippen- und Kitaplätzen geschaffen, die ab August dieses Jahres bis zu fünf Stunden gebührenfrei seien, so der Bürgermeister. Die Grundschulklassen seien klein, und fast überall gebe es mittlerweile eine Ganztagsbetreuung.

Der SPD-Senat habe die Studiengebühren abgeschafft und sorge mit einer bundesweit als Vorbild gepriesenen Jugendberufsagentur dafür, dass immer weniger Jugendliche ohne Abschluss und Ausbildung blieben.

Auch die Einbürgerungsinitiative folge diesem klaren Konzept. 500.000 Hamburger hätten einen Migrationshintergrund. Und der Senat stärke mit der Initiative die kosmopolitische Tradition Hamburgs.

„Meine Vision für die Stadt ist: Jeder soll die Chance auf ein selbstständiges, unabhängiges Leben haben“, so Scholz. „Dafür schaffen wir die Bedingungen.“

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