Die Kirche kämpft mit knapper werdenden Ressourcen. An der Wandsbeker Christuskirche muss jetzt die Kinderstube schließen. Stattdessen soll Armen geholfen werden.
Hamburg. Die Kinderstube muss schließen. Die Kirche will nicht mehr. Die zuletzt neun ein- bis dreijährigen Kinder sollen bei ihren Müttern bleiben oder in die Krippe bzw. in die Kita gehen. Pastor Richard Hölck bedauert das, aber er und der Kirchenvorstand sind überzeugt, das Richtige zu tun. Und das macht einige der Marienthaler Mütter wütend. Von „Willkür“ und einer Verweigerungshaltung ist die Rede. Selbst mit Spenden wolle der Pastor die Kinderstube an der Oktaviostraße nicht am Leben erhalten.
„Wir verstehen nicht, dass ein Pastor nach erst zwei Jahren im Amt das Ende einer Kinderbetreuung initiiert, die 30 Jahre lang mit Hingabe geleistet wurde“, sagt Miriam de la Barré. „Die Zwerge lieben ihren Musikunterricht am Mittwoch, den Waldtag im Wandsbeker Gehölz und am Montag die Plauderstunde mit Pastor Steffen Storck.“ Keine andere Einrichtung erlaube es, die Kinder an nur drei Tagen die Woche jeweils vier Stunden betreuen, aber zu Hause Mittag essen zu lassen. Fünf-Stundenplätze für fünf Wochentage seien in Kitas schon Mangelware, zumeist stünden nur acht-Stunden-Plätze zur Verfügung. De la Barré fordert, die Betreuung weiterlaufen zu lassen.
Hölck wirkt angefasst. Die Vehemenz der Kritik versteht er nicht. „Ich werde als Henker der Kinderstube hingestellt, aber ich bin es nicht. Ich habe gar nichts initiiert. Das sind nur verletzende Unterstellungen. Außerdem bin ich nicht zwei, sondern 16 Jahre im Amt. Der Kirchenvorstand hat demokratisch entschieden, und er hat sich drei Jahre damit gequält. Es waren mal 16 Kinder, aber es wurden ja immer weniger.“ Die Kinderstube schließt zum 30. Juni. 120 Euro pro Kind zahlen die Eltern im Monat.
„Wir müssen Prioritäten setzen“, sagt Hölck. Es gebe weniger Geld, aber mehr Arme und Obdachlose. „Die Kinderstube ist nur eine Spielgruppe und macht jedes Jahr bis zu 15.000 Euro Minus. Die Gemeinde hat sich aber vor vielen Jahren dafür entschieden, eine Obdachlosenküche einzurichten. Wir müssen unser Geld zusammenhalten, um das Notwendige zu tun. Wir müssen Not wenden. Deshalb helfen wir Armen.“ Die Mütter der Marienthaler Kinderstube sind nicht arm.
De la Barré aber sieht keine Notwendigkeit. „Wir hatten Spendenzusagen für 15.000 Euro zusammen. Selbst das reichte Pastor Hölck nicht. Er wollte die Finanzierung der Defizite für fünf Jahre gesichert sehen“, sagt sie. „Das stimmt definitiv nicht“, sagt Hölck. Schriftliche Zusagen hätten ihm und dem Kirchenvorstand nie vorgelegen. „Es gab nur Gartenzaungespräche“, sagt Hölck. Ingrid Fischer, die ehrenamtlich in der Kinderstube mitarbeitet und die Spendenzusagen bei Marienthaler Geschäftsleuten „erbettelte“, bestätigt, dass es keine schriftlichen Zusagen gab. „Es tut mir zwar weh, aber der Pastor hat die besseren Argumente“, sagt sie. „Die Kinder werden mir fehlen.“
Hölck glaubt, dass eine nachhaltige Finanzierung auf Spendenbasis nicht erreichbar ist. „Die Mütter könnten aber einen Verein gründen, der die Kinderstube betreibt. Wir wären verrückt, wenn wir das behindern würden. Aber wir als Gemeinde können die Kinderstube nicht mehr bezahlen, auch aus Gründen der Gerechtigkeit nicht.“
Hölck spielt damit auf die von der Gemeinde betriebene Kita „Lüttenhaus“ am Wandsbeker Markt an, die nach dem üblichen Gutscheinsystem funktioniert und jedes Jahr „so plus minus Null“ abschließe. „Gemessen an dem, was wir in die Kinderstube stecken, müssten wir im Jahr 90.000 Euro in die Kita geben“, sagt Hölck. Für die Armen- und Obdachlosenspeisung hat die Gemeinde 50.000 Euro.
An vier Tagen die Woche (montags bis donnerstags) gibt es warmes Essen im „Matthias-Claudius-Saal“ der Christuskirche am Wandsbeker Markt. Einen Euro müssen die Gäste zahlen, den Rest bringt die Gemeinde auf. 60 bis 80 Kunden kommen regelmäßig. Mit steigender Tendenz. Fünf Gehminuten entfernt wird gerade die Flüchtlingsunterkunft Litzowstraße mit 110 Plätzen bezogen. Ab August sollen an den ebenfalls in fünf Gehminuten zu erreichenden Bahngärten 140 weitere Flüchtlinge einquartiert werden. „Wir werden mehr Essen brauchen“, sagt Hölck. Auch unter den Hamburgern nimmt die Armut zu. „Wir sehen den Wandel in der Gesellschaft. Es kommen immer mehr Rentner und Menschen, die noch Arbeit haben, aber trotzdem nicht auskommen. Früher waren es fast nur Obdachlose.“
Montags bis Mittwoch wird das Essen geliefert. Der Preis pro Mahlzeit stieg jetzt von 2,80 Euro auf 3,10 Euro. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagt Hölck. Zwei hauptamtliche und zehn ehrenamtliche Mitarbeiter halten die Kirchenküche aufrecht. Donnerstags kommen die Jugendlichen von „Rückenwind“ zum Kochen. Eine Kleiderkammer, vor Jahren aufgegeben, will Hölck wieder einrichten. „Die Kirche kompensiert die Schattenseite von Hartz IV“, sagt er. „Es ist traurig, dass in unserer Gesellschaft das ‚Existenzminimum’ nicht zum existieren reicht.“
Seit 27 Jahren gibt es die Kirchenküche in der Christus-Kirchengemeinde. Ein „Leuchtturmprojekt“, für das die Gemeinde auf vieles verzichte, sagt Hölck. Im Juni wird es die Kinderstube sein.