Dieser Arzt-Skandal ging in die Geschichte ein: Rupprecht Bernbeck war schon im Ruhestand, als 1984 herauskam, dass er schlimmste Kunstfehler begangen und zahlreiche Patienten massiv geschädigt hatte.
Der Skandal begann, wie üblich, mit einem Zeitungsbericht.
Nicht die zuständige Gesundheitsbehörde oder die ärztliche Leitung im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek, sondern der Journalist Gerd-Peter Hohaus, Redaktionsmitglied der „Hamburger Morgenpost“, brachte an das Licht der Öffentlichkeit, was sich jahrelang in der Orthopädie dieses Krankenhauses abgespielt hatte.
Aus diesen Enthüllungen wurde ein Fall, der sich zu einer Lawine von Kunstfehler-Prozessen auswuchs, die in die bundesdeutsche Rechtsgeschichte eingegangen sind. Zugleich begann damit die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Patientenrechte.
Der Skandal hatte einen Namen: Professor Rupprecht Bernbeck (1916 bis 2003), dreifach promovierter Chefarzt der Orthopädie im AK Barmbek, die der einstige Marinestabsarzt und U-Boot-Fahrer 1963 übernommen hatte.
Lange galt er als Koryphäe
Er galt lange als Koryphäe seines Fachs. Als er 1981 mit großen Elogen in den Ruhestand am Starnberger See verabschiedet wurde, ahnten die zu diesem Anlass erschienenen Festredner nicht, dass dieser Klinikchef im Ruhestand drei Jahre später im Zentrum massiver öffentlicher Vorwürfe ehemaliger Patienten stehen würde, die ihn beschuldigten, sie zu Krüppeln operiert zu haben.
Der erste Bericht über diese beispiellosen ärztlichen Behandlungsfehler wirkte wie die Öffnung einer Schleuse, aus der sich eine Flut weiterer Fälle ergoss:
Aus einem Dutzend geschädigter Patienten wurden hundert, und schließlich waren es fast 250 Leidensgefährten, die alle ein ähnliches Schicksal erlitten hatten, weil sie unter das Messer dieses Chirurgen geraten waren.
Da ging es unter anderem um falsch implantierte Hüftgelenke, die nicht verheilten, um schwere Infektionen, die sich unter dicken Gipsverbänden bis auf den Knochen durchfraßen, um X- oder O-Beine, die gerichtet werden sollten, aber nach qualvollen Eingriffen unterschiedliche Längen aufwiesen, und um hygienische Zustände, die jeder Beschreibung spotteten und Vergleiche mit den Zuständen auf einem frontnahen Feldlazarett herausforderten.
Ein zweifelhafter „Halbgott in Weiß“
Nachdem das ganze Ausmaß dieses Skandals erkennbar geworden war, sah sich die Freie und Hansestadt Hamburg als Arbeitgeber dieses im Zwielicht stehenden Operateurs zu Rückstellungen im Haushalt genötigt, um Entschädigungen zahlen zu können – es wurden rund 30 Millionen Mark.
Im Rathaus bemühte sich ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss, die Vorgänge in der Barmbeker Orthopädie aufzuklären. Der Erfolg war mäßig, was keine neue Erfahrung war.
Den Abgeordneten, die den Pensionär vorluden, präsentierte sich ein kantiger, von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugter Arzt, der für jede Frage eine Antwort parat hatte und auf die Parlamentarier wie die Verkörperung des Klischees vom „Halbgott in Weiß“ wirkte:
Unnahbar, unbelehrbar, uneinsichtig selbst bei sehr harten Vorhaltungen. Natürlich versuchte der Ausschuss herauszufinden, wieso das Treiben des operationswütigen Professors und die Umstände, unter denen er Hand an die Patienten legte („aus dem Gipsraum wehte der Staub durch die offene Tür in den OP“, berichtete ein Betroffener) so lange unentdeckt blieben.
Widerspruch wurde nicht geduldet
Das Ergebnis war, dass an dieser Klinik ein autoritärer Führungsstil herrschte, der ärztliches Duckmäusertum und falsch verstandene Kollegialität begünstigte.
Der Chefarzt hatte das Sagen – und nur er. Widerspruch wurde nicht geduldet, und dabei spielten auch die drei Doktortitel des Professors eine Rolle, die er sämtlich an der Universität München erworben hatte.
Den ersten, Dr. med., 1942 mit einer Arbeit „Über eine seltene amniogene Missbildung“.
Den zweiten, Dr. phil., 1943 über das NS-verdächtige Thema „Der Seemann und seine Welt – eine rassenpsychologische Untersuchung der Beziehung des Menschen zu Meer und Seefahrt unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Volkes“.
Den dritten, Dr. rer. nat., 1952, über eine „Vergleichende anatomische Untersuchung des Beckenskelettes zum Problem des aufrechten Gangs und die spezielle Geburtsmechanik beim Menschen“.
Weder Mitgefühl noch Anteilnahme
Für eine bedrückende Zahl der Bernbeck-Patienten hatte sich das „Problem des aufrechten Gangs“ für immer erledigt – sie kamen im Rollstuhl zu den Anhörungen des Untersuchungsausschusses.
Wenn es zu einem Zusammentreffen kam, begegnete Bernbeck ihnen ohne irgend ein Anzeichen von Anteilnahme oder Mitgefühl. Warum die als Klinikträger zur Aufsicht verpflichtete Gesundheitsbehörde den Professor so lange hatte gewähren lassen – für die Antwort auf diese Frage stellten sich interessante Umstände heraus.
Der umtriebige Professor war als amtlich bestellter Landesarzt für Körperbehinderte im Behördenapparat hervorragend vernetzt. Patienten, die sich über seine Behandlungsmethoden und deren Ergebnisse beschweren wollten, hatten lange Zeit hindurch kaum eine Chance.
Angeblich hatte die Behörde erst nach der Pensionierung des umstrittenen Operateurs von den hanebüchenen Missständen in der Barmbeker Orthopädie erfahren.
Immerhin gab es aber eine behördeninterne „Abwicklungsstelle“, bei der sich nach und nach etwa zwei Dutzend Bernbeck-geschädigte Patienten meldeten und Schadensersatz verlangten. Es ging um Forderungen von insgesamt rund einer Million Mark.
Behörde um Verschleierung bemüht
Die Behörde tat, was Behörden in solchen Fällen immer tun – sie bemühte sich, die Sache nicht publik werden zu lassen, vermittelte außergerichtliche Vergleiche, zum Beispiel für eine Frau, der nach einer misslungenen Operation auf Bernbecks OP-Tisch das rechte Bein amputiert werden musste, was zu einer Entschädigungszahlung von 60.000 Mark führte.
Von Strafanzeigen gegen den Professor, die sich naturgemäß nicht mehr hätten vertuschen lassen, suchte die Behörde die Geschädigten abzuhalten, indem sie auf die Verfahrenskosten verwies.
So mancher der von Bernbeck in den Rollstuhl operierten Ex-Patienten machte merkwürdige Erfahrungen mit der Krankenhaus-Bürokratie. Da waren die Behandlungsunterlagen nicht auffindbar, weil der Chefarzt i.R. sie angeblich in seinem Starnberger Ruhestandsdomizil verwahrte, wo sie nichts zu suchen hatten.
In anderen Fällen tauchten die betreffenden Teile der Krankenakten wieder auf, aber sonderbarerweise ohne die Röntgenaufnahmen, die vor und nach der Operation gefertigt worden waren.
Dennoch musste der Professor sich nach Strafanzeigen mehrerer Patienten vor Gericht verantworten. Er kam glimpflich davon: 7000 Mark Geldstrafe wegen fahrlässiger Körperverletzung.
Verjährte Fälle, Beweisschwierigkeiten und andere prozessuale Hindernisse hatten ihn vor einer härteren Strafe bewahrt. Ein unbefriedigendes Urteil, angesiedelt im Spannungsfeld von Recht und Gerechtigkeit.