Ein Investor wird geschasst, das Honorar der Architekten steigt. Teil 2 der Elbphilharmonie-Serie im Abendblatt.

Den Champagner haben sie schon am Morgen im Harburger Büro der ReGe kalt gestellt. Es ist Mittwoch, der 19. Januar 2005. Der Tag, an dem die Stadt endgültig die Regie über das Bauwerk Elbphilharmonie übernimmt. Wenn das kein Grund zum Feiern ist.

Um 16 Uhr sitzen Hartmut Wegener, sein Projektleiter Heribert Leutner und sein Geschäftsführer Dieter Peters auf der einen Seite des Tisches im Großen Sitzungssaal am Veritaskai. Gegenüber haben Pierre de Meuron, sein Mitarbeiter Jürgen Johner und sein Architekten-Partner Ernst Höhler Platz genommen. 90 Minuten später unterzeichnen die Herren den „Generalplaner-Vertrag“. Ernst Höhler muss danach sofort weg. Um 17.35 Uhr stoßen fünf Männer mit einem Glas Lanson, sehr gut gekühlt, auf das Vertragswerk an.

Sie haben ja auch lange darum gerungen. Denn ein Bauwerk entsteht in mehreren Phasen. Und der Vertrag regelt, welche dieser neun sogenannten Leistungsphasen von den Architekten (den Generalplanern) und welche vom Baukonzern (dem Generalunternehmer) durchgeführt werden. Von der ersten Idee und der Ermittlung der Grundlagen (Leistungsphase 1) über den Entwurf, die Genehmigung, die Ausführung und Fertigstellung bis zur Objektbetreuung nach der Abnahme des Gebäudes (Phase 9) ist es ein weiter Weg. Da braucht es eindeutige Abgrenzungen. Idealerweise wird zunächst zu Ende geplant – und dann gebaut.

Knackpunkt ist oft die Leistungsphase 5: die Ausführungsplanung. Darin geht es um die mühevolle Detailarbeit, die sehr entscheidend für Aussehen und Funktionalität des Gebäudes ist. Meist übernimmt ab hier die Baufirma die Planung und damit die Regie über die Architekten, damit dann eines garantiert ist: Planen und Bauen aus einer Hand.

Die Elbphilharmonie aber soll ein weltweit einmaliges Gebäude werden. Treppen, Fenster, Decken, Wände – nahezu alles in diesem Konzerthaus ist gebogen, gekrümmt oder geschwungen. Als wäre bereits die Architektur in Musik verwandelt worden. Rechte Winkel scheint es nicht zu geben.

Das ist die Handschrift von Herzog & de Meuron. Damit ihre kühnen Pläne nicht von einem soliden Generalunternehmer im Bauprozess auf kostengünstige Standardmaße gestutzt werden, lassen sie sich vertraglich auch den Großteil der Ausführungsplanung zusichern. Das wird zu massiven Konflikten führen.

Eine Kostenobergrenze wird nicht festgelegt. Der Vertrag erhält zwar Hinweise auf eine noch abzuschließende Bonus-Malus-Regelung. Sie bezieht sich auf einen vereinbarten Kostenrahmen. Und führt zu einem Erfolgshonorar, wenn dieser eingehalten (Bonus) – oder zu einem Honorar-Abzug (Malus), wenn das Limit überschritten wird. Eine gängige Methode für den Bauherrn, den Architekten verbindliche Kostenvorgaben zu machen. Doch das ist nur Theorie. Es kommt nie zu einer Bonus-Malus-Regelung. Am 29. November 2006 einigt man sich darauf, dass sie endgültig entfällt.

Die Architekten erhalten für diesen ersten Vertrag 31,5 Millionen Euro. Am Ende werden sie auf fast 100 Millionen Euro Honorar kommen. Ihr Satz ist gekoppelt an die Baukosten und liegt 35 Prozent über der Summe, die in der deutschen „Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI)“ festgelegt ist. Die Branche spricht von einem „Schweiz-Zuschlag“. Ein bekannter Hamburger Architekt sagt, dass er solch einen Vertrag auch gern mal abschließen würde: „Dann könnte ich mein Büro vier Wochen schließen und alle Mitarbeiter auf die Bahamas einladen.“

Dieter Becken, der geschasste Investor, sagt, der Vertrag sei „absolut üblich“, er habe in vielen Projekten ähnliche Verträge abgeschlossen. Becken sieht aber ein sehr entscheidendes anderes Problem: „Ich hätte darauf bestanden, dass aus dem Architektenvertrag heraus die Leistungsphase 5, also die Ausführungsplanung, auf den Generalunternehmer übergeht. Nur das wäre mit mir möglich gewesen. Ich wäre sonst aus dem Projekt ausgestiegen, weil ich nach 32 Jahren Erfahrung weiß, dass das eigentlich immer schiefgeht.“ Pierre de Meuron meint, das wäre durchaus möglich gewesen, weil das etwa beim Bau der Münchner Allianz Arena auch praktiziert worden sei, „wo wir unter dem Generalunternehmer gewesen sind“.

Warum es bei der Elbphilharmonie nicht dazu kam, lässt sich wohl nie mehr klären, denn es gibt fundamental entgegengesetzte Aussagen. Pierre de Meuron, dessen Worte durch seinen Schweizer Dialekt stets daherkommen, als seien sie von Blumen umrankt, erinnert sich an die Verhandlungen zur Ausführungsplanung so: „Das war auch ein gegenseitiges Diskutieren und nicht irgendeine Bedingung oder irgendeine Drohung unsererseits.“ Er kenne sich nicht so, dass er stur verhandele. „Das gibt es nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich damals so eine Haltung eingenommen habe.“

Wegener und Leutner sagen, dass sie in diesen Gesprächen jedes Mal versucht hätten, die Ausführungsplanung auf die Baufirma zu übertragen. „Immer haben die Architekten gesagt, das würden sie nicht akzeptieren.“ Was sie akzeptieren, ist, dem Bauunternehmen die Ausführungsplanung für die Bereiche Tragwerk und Technische Gebäudeausrüstung (TGA) – also Heizung, Lüftung, Elektrik, Licht und Aufzüge – zu überlassen. Womit das Planungschaos komplett ist, weil es jetzt Tausende Schnittstellen gibt. Oder anders: Das kann funktionieren, wenn sich die Parteien als Partner verstehen. In Hamburg wird das Gegenteil der Fall sein.

Am 12. Februar 2005 erklärt Jacques Herzog: „Unser Bestreben ist es, etwas noch nie Gesehenes zu schaffen. Ich sage das mit allem Respekt vor dieser großen Herausforderung.“ Die von Hans Scharoun gebaute Berliner Philharmonie stelle seit dem Krieg für alle sowohl Vorbild als auch ein fast unbezwingbares Monument dar. „Vor allem innen ist sie unglaublich. Nie wieder wurde das erreicht. Deshalb ist es vielleicht auch falsch, von diesem Vorbild auszugehen. Deshalb muss man wohl neu denken.“

Und das tun sie in Hamburg. Als am 24. Februar die EU-weite Ausschreibung des Investorenwettbewerbs beginnt, ist die Aufforderung in den „Informationen zum Teilnahmewettbewerb“ unmissverständlich: „Auf dem historischen Kaispeicher A soll die Elbphilharmonie als neues städtebauliches und kulturelles Wahrzeichen Hamburgs entstehen. Für die Philharmonie wird eine außerordentlich hohe Qualität angestrebt. Erklärtes Ziel ist es, mit dem neuen Konzertsaal zu den zehn besten Häusern der Welt zu gehören.“ Die Messlatte liegt jetzt ganz oben.

Der gesuchte Investor soll nicht nur die Bauleistung übernehmen. Sondern auch die „Mantelnutzung auf eigenes Risiko und mit eigenen Gewinnchancen konzipieren, bauen und vermarkten“. Mit Mantelnutzung ist der Bau des Hotels und der Wohnungen gemeint. Die von der Stadt zu tragenden Baukosten sollen minimiert werden, „indem der Bau der Philharmonie durch Erträge aus der Mantelbebauung möglichst weitgehend quersubventioniert wird“.

Kurz darauf legt die Kulturbehörde eine Aufstellung mit weltweiten Vergleichsprojekten vor. Danach geht man bei der Elbphilharmonie von Baukosten in Höhe von 2886,74 Euro pro Quadratmeter aus. Zum Vergleich: Wohnhäuser in München kosten im Schnitt 3300 Euro pro Quadratmeter. Die meisten der verglichenen Konzerthäuser weisen Kosten zwischen 3000 und 7800 Euro pro Quadratmeter aus. In der Machbarkeitsstudie jedoch, die der Bürgerschaft später vorgelegt wird, werden die Parlamentarier über diese Zahlen nicht informiert. Sonst hätte sich mancher Abgeordnete wohl gewundert, dass man einen Ferrari bestellt, aber nur einen Golf bezahlen will.

Am 22. April wird es schon etwas konkreter: Nach Abschluss ihrer Vorentwurfsplanung kommen die Architekten auf Gesamtkosten von 196,7 Millionen Euro. Für die Konzertsäle veranschlagen sie 90 Millionen Euro. Spannend sind die Extras: Die Fensterelemente sollen unterschiedlich gekrümmt sein. Die Rolltreppe wird – weltweit einmalig – eine konvexe Krümmung erhalten. Ein Unikat soll auch der Tunnel sein, die sogenannte Tube, in dem die extravagante Rolltreppe verläuft.

Ole von Beust findet die von den Architekten ermittelten Kosten hoch. „Aber wir können das schaffen! Es bleibt der Wille des Senats, an der Planung der Elbphilharmonie festzuhalten und diese umzusetzen.“ Mit ihrem Entwurf sei es den Architekten gelungen, die Menschen in der Stadt zu begeistern. „Es ist klar, dass die Elbphilharmonie nicht ohne öffentlichen Zuschuss gebaut werden kann.“ Dafür sind Mittel eingeplant. „Die Stadt ist darauf eingestellt, bis zu einem Drittel der gesamten Baukosten zu übernehmen. Die restlichen Mittel müssen durch privates Investment, aber auch durch Sponsoren, Mäzene und Spender aufgebracht werden.“

Als am 25. April die Teilnahmefrist der europaweiten Ausschreibung endet, liegen 25 Bewerbungen vor, mit sechs Bewerbern werden Verhandlungen aufgenommen. Sie haben bis zum 6. Januar 2006 Zeit, ihre ersten noch unverbindlichen Angebote abzugeben.

Am 18. Mai fällt eine buchstäblich wegweisende Entscheidung. Gérard wollte, nach Prüfung durch einen Verkehrsplaner, den Kaispeicher als Parkhaus nutzen. Nun macht die ReGe den Praxistest. Projektleiter Leutner leiht sich bei der BMW-Niederlassung den größten Wagen, der vorrätig ist: eine schwarze 7er-Limousine. Leutner kurvt eine Stunde durch einen „Wald von Stützen“ und versucht, vorwärts und rückwärts einzuparken.

Das Experiment endet mit einer Millionen Euro teuren Erkenntnis, die Wegener so formuliert: „Das geht nicht, die Pfähle stehen viel zu eng. Es muss komplett entkernt werden.“ Von dem historischen Speicher bleibt nur eine Hülle stehen.

Um das Projekt zu steuern, engagiert die ReGe die Braunschweiger Ingenieur-Gesellschaft Assmann, die vor allem auf Einhaltung von Terminen und Kosten achten soll. Im Statusbericht vom 30. Juni hält Assmann „nach stichprobenartiger Prüfung der Kosten- und Mengenansätze“ eine Einsparung von zehn Millionen Euro für realistisch. Die Realisierungsgesellschaft glaubt der Stichprobe gern und nennt künftig als Gesamtbaukosten 186 Millionen Euro.

Die Architekten bleiben bei ihren knapp 200 Millionen Euro. Und lassen in einer Ergänzung eines Besprechungsprotokolls vom 25.

Mai einfügen: „Die Generalplaner haben eine korrekte Kostenschätzung abgegeben.“

Als der Senat am 12. Juli 2005 die Machbarkeitsstudie zur Elbphilharmonie vorlegt, stehen dort als Gesamtkosten 186,7 Millionen Euro. Davon entfallen rund 95 Millionen auf die Elbphilharmonie und 70 Millionen auf die Mantelbebauung. 22 Millionen sind für besondere Erschließungskosten vorgesehen. Durch Spenden sollen 35 Millionen Euro zusammenkommen.

„Voraussetzung für eine Realisierung ist somit, dass ein eigener Investitionsbeitrag der Freien und Hansestadt Hamburg in Höhe von bis zu 77 Millionen Euro erbracht wird“, heißt es in der Drucksache 18/2570. Ole von Beust sagt dazu, das sei „pessimistisch geschätzt“.

Die (gute) Nachricht aus dem Rathaus an alle Hamburger im Juli 2005 lautet also: Das Jahrhundertbauwerk wird den Steuerzahler höchstens 77 Millionen Euro kosten. Das Risiko der Mantelbebauung (Hotel und Wohnungen) liegt bei privaten Investoren. Aus deren Gewinnen soll ein zweistelliger Millionenbetrag an die Stadt fließen, um die Baukosten für das Konzerthaus zu senken. Fachleute sprechen von einer „positiven Quersubventionierung". Was „negative Quersubventionierung" bedeutet, werden die Verantwortlichen später lernen müssen.

Zu den Kosten heißt es recht zuversichtlich: Überschreitungen des Budgets seien, wenn überhaupt, nur in „eher kleinem Rahmen“ zu erwarten. Allerdings wird darauf verwiesen, dass die „Planungs- und Bauzeit (…) sehr knapp bemessen“ sei. Das „könnte zu Mehrkosten führen“.

Auf der anderen Seite der Elbe wird fieberhaft gearbeitet. In einem 50er-Schuppen auf der Veddel sitzen zehn Experten der Firma Nagata Acoustics vor ihren Laptops. Es geht um einen der wichtigsten Aspekte des gesamten Projekts: die Akustik. Yasuhisa Toyota hat ein 1:10-Modell des Konzertsaals bauen lassen, um dort im Kleinen durchzumessen, wie es später im Großen klingen wird.

Das Konzertsälchen − viel Holz, viele Kabel, von einer Firma in Süddeutschland gebaut − misst 5 x 5 x 3,5 Meter. Auf den 2100 Plätzen sitzen Besucher-Attrappen, die niedliche Filzjäckchen tragen. Da hier alles kleiner ist, müssen die Töne, die in fünf Varianten aus kleinen Lautsprechern kommend von 56 Messstationen wahrgenommen werden, entsprechend hoch sein. Für menschliche Ohren sind sie nicht mehr hörbar. Damit die Schallwellen sich in dieser Playmobil-Philharmonie maßstabsgetreu verhalten, wird der Sauerstoffanteil der Luft auf fünf Prozent verringert.

Ende August 2005 sollen die Messarbeiten beendet sein. Die Kosten: rund 200.000 Euro. Falls die Akustik nicht so wird wie bestellt, würde das ganze Projekt ein Desaster. Toyotas Mitarbeitern ist dieser Druck nicht anzusehen. Sie arbeiten konzentriert vor sich hin.

Der Rest des Bauwerks wird auf dem Reißbrett munter verändert: Das Hotel hat nun nur noch eine Geschosshöhe von drei Metern. Die Folge: ein Geschoss mehr, 226 statt 200 Zimmer. Philharmonie-Büros werden ins Innere verlegt, um mehr Wohnungen zu generieren. Der Wellnessbereich wandert vom 18. Obergeschoss in den alten Speicher. Der Konferenzbereich wird nach oben verlegt. Das wird ein Jahr später abermals geändert. Wie so vieles andere auch noch.

Warum das zu einem gewaltigen Problem werden kann, erfahren die Bürgerschaftsabgeordneten am 23.

August. 14 Experten sind im Festsaal des Rathauses zur Sitzung von Haushalts-, Stadtentwicklungs- und Kulturausschuss erschienen. Auf der vorbereiteten Liste stehen 80 Fragen.

Von NDR-Chefdirigent Christoph von Dohnányi wollen die Parlamentarier gleich zu Beginn wissen, ob es überhaupt einen Bedarf für die Elbphilharmonie gibt. „War ein Bedürfnis für die Neunte von Beethoven da?“, fragt er weltmännisch zurück. „Eigentlich nicht. Aber sie war da. Und dann kam das Bedürfnis. War ein Bedürfnis für Coca-Cola da? Eigentlich nicht.“

Einer der Sachverständigen ist Volkwin Marg, einer der renommiertesten Architekten Hamburgs. „Wenn man eine so epochale Entscheidung will, muss man Farbe bekennen. Bei einer Kathedrale des Geistes hat noch niemand kleinkarierte Maßstäbe angelegt“, sagt er. Marg warnt aber auch: vor Planungsentwicklungen und Sonderwünschen der Investoren, die den Genauigkeitsgrad einer Kostenkalkulation enorm beeinflussen könnten. Selbst wenn diese weichen Prämissen nicht berücksichtigt würden, sagt Marg, wenn also absolut „harte Rahmenbedingungen“ gegeben sind, sei man „stolz, wenn man in einer solchen Phase zwischen fünf und zehn Prozent Genauigkeit schafft“. Und weiter: „Wenn die Prämissen aber so weich sind, muss man Luft lassen. Es sei denn, man will sich prophylaktisch gesundrechnen.“

Übersetzt: Die kalkulierten rund 200 Millionen Euro Baukosten haben eine geringe Aussagekraft. Man kann sie glauben oder nicht. Später wird oft von einem „politischen Preis“ die Rede sein, mit dem das Jahrhundertbauwerk erst einmal auf die Schiene gesetzt worden ist. Weil die realistische Angabe der Kosten und Risiken womöglich zum Stopp der Planungen geführt hätte.

Zum Schluss erweist sich der Professor als Prophet. Marg warnt eindringlich davor, nicht etwas runterzurechnen, „wo man anschließend ständig vor der Öffentlichkeit in einer Notsituation steht und sagt, da ist nun wieder dies Unvorhergesehene gekommen und das.“ ReGe-Chef Wegener kontert: „Aber Herr Marg, das ist wirklich ein glattes Eis, auf das Sie sich eben begeben haben.“

Doch der Architekt Marg bekommt Unterstützung vom Immobilien-Fachmann Frank Billand. „Die größten Kostenüberraschungen kommen immer, wenn Sie während der Bauzeit noch Planungsänderungen vornehmen“, sagt er. Seine dringende Empfehlung: „Eine Planungssicherheit bis zu den Vergabeentscheidungen.“ Wenn die Elbphilharmonie ein Wünsch-dir-was-Projekt werde, bei dem die halbe Stadt noch laufend Änderungswünsche in den laufenden Prozess einbringe, „können Sie schnell zu 50 Prozent Mehrkosten kommen“.

Hartmut Wegener entgegnet: „Wir haben sehr seriös die Kosten berechnet.“ Der Vorentwurf gehe weiter als ein normaler Vorentwurf, dadurch sei „eine viel stärkere Planungstiefe“ erreicht. Ein Jahr später werden die Architekten die ReGe in einem ziemlich verzweifelten Schreiben vor einer unfertigen Planung warnen.

Wegener teilt auch mit, dass die Eignung des Kaispeichers als starker Sockel für den gewaltigen Glasaufbau hervorragend sei. „Wir gründen auf 1111 Pfählen, sie sind von der Belastbarkeit exzellent. Das ist von drei Büros geprüft worden. Es ist Fakt, dass die Pfähle eine Belastungsmöglichkeit haben, die 40 Prozent über dem Soll liegt. Das heißt, wir haben 40 Prozent Reserve bei der Belastbarkeit.“

Unter den Eingeladenen ist auch Christoph Lieben-Seutter. Der Intendant des Wiener Konzerthauses hat noch eine Empfehlung für die Hamburger: „Seien Sie froh, dass Sie keine Schuhschachtel-halle haben, die kann man von der Stange kaufen.“ Kurz vor 22 Uhr wird die Sitzung mit Hinweis auf das gleich beginnende UI-Cup-Finale des HSV in Valencia beendet. Die Elf von Trainer Doll erreicht durch ein 0:0 die erste Runde des Uefa-Cups.

Hamburg soll etwas weltweit Einmaliges erhalten. Dafür wird der Erfinder geehrt: Alexander Gérard erhält am 1. September 2005 die Semper-Medaille des Architektur-Centrums. Die Juroren sind überzeugt, „dass die Initiierung der Elbphilharmonie eine der größten Stadtentwicklungsimpulse in diesem Jahrhundert ist“.

Und dafür macht am 26. Oktober 2005 die Bürgerschaft den Weg frei. Sie stimmt dem Vergabeverfahren zu. Zugleich beschließt das Parlament, sich vom Senat in einem halbjährlichen Rhythmus über die Entwicklung von Kosten, Konzepten, Sponsoren und Personal berichten zu lassen. Der erste Bericht wird über ein Jahr später – im Dezember 2006 – vorgelegt. Weitere folgen nur sehr unregelmäßig.

Die Abgeordneten verbinden ihr Ja zum Projekt sogleich mit Sonderwünschen: einem dritten Konzertsaal zum Beispiel. CDU und GAL sind dafür, die SPD enthält sich. Dietrich von Albedyll, Chef der Tourismus GmbH, jubelt nach der Sitzung: „Hamburg bekommt seinen Eiffelturm!“

Auf der Zuschauertribüne sitzt Alexander Gérard. Er wird vom ehemaligen Stadtentwicklungssenator Willfried Maier (GAL) als „Bürgerinitiative Gérard & Marko“ direkt angesprochen: „Es ist etwas ganz Überraschendes passiert: Die Kaufleutestadt Hamburg, also Merkurs eigene Tochter, schafft sich ein neues Stadtsymbol. Nicht wie Frankfurt neue Hochhäuser. Sie schafft sich einen Musentempel, dem sie erstmals wieder erlaubt, in die Stadtsilhouette einzugreifen und die Versammlung der Türme der Hauptkirchen zu ergänzen. Das ist ein Zeichen für die Bereitschaft der Stadt zur Selbstüberschreitung ihrer Möglichkeiten.“ Maier plädiert außerdem dafür, dass auch für die Subkultur Platz im Speicher sein müsse.

Staatsrat Volkmar Schön nennt diese Zeit die Wünsch-dir-was-Phase. „Es fiel schwer, nein zu sagen, weil niemand bei diesem Projekt als Spaßverderber dastehen wollte.“

Eines läuft jedenfalls nach Plan: Hamburgs Mäzene zeigen sich großzügig. Im August machen Hannelore und Helmut Greve den Anfang und stiften 30 Millionen Euro. Im September eilt Michael Otto ins Rathaus und teilt von Beust mit: „Mit der Elbphilharmonie entsteht ein neues Wahrzeichen und gleichzeitig ein kulturelles Zentrum in der Hafen-City. Mein Beitrag in Höhe von zehn Millionen Euro soll ein wesentlicher Schritt sein, dieses einzigartige Projekt zu realisieren.“ Vier Wochen später folgt die Hermann Reemtsma Stiftung mit zehn Millionen Euro.

Am 31. Oktober nimmt die Stiftung Elbphilharmonie ihre Arbeit auf, ins Leben gerufen von der Warburg Bank und der HSH Nordbank. Wichtigste Aufgaben: Geld sammeln, gute Stimmung machen. Karin von Welck verkündet, die Stiftung verstehe sich als „Bürgerinitiative“. Die Erträge würden dazu dienen, dauerhaft den laufenden Betrieb zu unterstützen.

Wer aber soll in dem Konzertsaal das Profil prägen? Am 8. Dezember 2005 werden die NDR-Sinfoniker Orchestra in residence, also das Haus-Orchester. Der Status umfasst die Nutzung des Großen Saales für jährlich bis zu 35 Konzerte zuzüglich Proben. Der NDR lässt sich das rund 950.000 Euro pro Jahr kosten, der Vertrag hat eine Laufzeit von zehn Jahren und beginnt erst mit der Fertigstellung des Gebäudes.

Die Festlegung auf das Rundfunkorchester verstimmt insbesondere die Philharmoniker. Generalmusikdirektorin Simone Young gibt ein betont dürres Statement ab: „Das ist ein Finanzierungsmodell, das aus anderen Städten bekannt ist und keine künstlerische Bevorzugung. Es ist selbstverständlich, dass das Philharmonische Staatsorchester als das Orchester der Stadt in der Elbphilharmonie sehr präsent sein und von der Stadt bei allen Plänen und Projekten unterstützt wird.“

Am 22. Dezember verkündet die Stiftung Elbphilharmonie, sie habe 350 Anstecknadeln (Stückpreis 10 Euro) verkauft und mit Spendenbriefen sowie dem Verkauf von „Elbphilharmonie-Schneeglitzerkugeln“ für 25 Euro das Stück etwa 75.000 Euro eingenommen.

Am Ende des Jahres 2005 schaut die Stadt voller Vorfreude auf das geplante Konzerthaus. Der Zuspruch ist groß, mehr als 50 Millionen Euro Spenden sind eingegangen. Die Kosten scheinen überschaubar. So soll es weitergehen. Tut es aber nicht: 2006 wird das Jahr der fatalen Fehlentscheidungen.

Im Februar stellt sich Ascan Mergenthaler, 44, in Hamburg vor. Er ist nach Christine Binswanger und Robert Hösl bereits der dritte Partner von Herzog & de Meuron, der nun für das Projekt zuständig ist. Er wird nicht der letzte sein. Seine Mutter ist Hamburgerin, er hat eine enge Beziehung zur Stadt. Ein ruhiger Gesprächspartner, der auf den Dialog setzt.

Doch der wird immer mühevoller, je detaillierter der Grad der Entwürfe ist. Aus kühnen Träumen müssen irgendwann Pläne werden, nach denen gebaut werden kann. Aus gewagten Gedanken klare Anleitungen, für deren Umsetzung viele behördliche Genehmigungen erforderlich sind. Da hört der Spaß schnell auf. Und die Konflikte fangen an. Vor allem wegen des Geldes: In der Bauherrenbesprechung Nr. 17 am 5. April 2006 verkünden die Architekten, dass weder die Baukosten von 186 noch von 196 Millionen Euro zu halten sind. Man nimmt es zur Kenntnis.

Am 12. April trifft die ReGe eine Vorentscheidung. Sie wählt zwei Bewerber aus: Die Strabag, mit 75.000 Mitarbeitern eines der größten Bauunternehmen Europas, mit Sitz in Wien. Und IQ2. Hinter diesem Konsortium stehen der Essener Baukonzern Hochtief, die Commerzbanktochter Commerzleasing, ein Hotelbetreiber (ArabellaSheraton), ein Parkhausbetreiber (APCOA), eine Gastronomiegruppe (Nordmann) ein Fassadenbauer (Gartner), HSH Nordbank, Bayerische Landesbank und Quantum (Wohnungen).

Der Grund für die schnelle Entscheidung: Aus Zeitgründen sei es „zweckmäßig, die weiteren Verhandlungen nur mit zwei Bietern weiterzuführen“. Dabei lag der dritte Bieter, die Frankonia, mit einem Zuschussbetrag für die Stadt von 140 Millionen Euro nur drei Prozent über IQ2 (136 Millionen). Strabag kommt auf 124 Millionen Euro. Pierre de Meuron kritisiert: „Bei so komplexen Projekten sollten mindestens drei Bieter an der Schlussverhandlungsrunde teilnehmen.“

Eine Woche später legen die Architekten mit der Entwurfsplanung konkretere Zahlen vor: Die Baukosten steigen gegenüber der Berechnung aus dem Vorjahr auf 228,6 Millionen Euro – also 32 Millionen Euro mehr.

Ursachen dafür gibt es viele. Etwa ein bisher nicht eingeplanter riesiger akustischer Reflektor über der Bühne, der für das optimale Klangerlebnis erforderlich ist. Ein Lichtschacht, der den Wohnraum höherwertiger machen soll. Und vor allem die Umstellung von einer zweischaligen auf eine einschalige Glas-Fassade, die kostenneutral sein soll. Tatsächlich schlagen die 1100 unterschiedlich gebogenen und bedruckten Fensterelemente am Ende mit mehr als 50 Millionen Euro zu Buche. Kalkuliert wird noch im Sommer mit 28,7 Millionen Euro, also gut der Hälfte.

Zugleich warnen die Architekten in einer Besprechung mit der ReGe sehr deutlich: „Die jetzt anstehenden Abstimmungen mit den Investoren sind in der nötigen Tiefe im derzeitigen Zeitplan nicht zu leisten.“ Sie werden diese Warnung in den nächsten Monaten wie eine Monstranz vor sich hertragen: „Eine ausreichende Detaillierung der Pläne ist in der vorgegebenen Zeit nicht möglich“, steht im Protokoll der Bauherrenbesprechung vom 2.

Juni. Wegener: „Die Architekten haben gesagt, sie bräuchten noch sechs Monate – sie haben vier Monate bekommen.“ Und ein neues Kostenziel: 210 Millionen Euro.

Während noch kein Kubikmeter Erde bewegt wurde, steht der Intendant schon vor der Tür. Christoph Lieben-Seutter stellt sich am 6.

Juni im Rathaus als Generalintendant für Elbphilharmonie und Laeiszhalle vor. Sein Auftakt ist eine Einschätzung, die nicht alle gern hören: „Hamburg ist keine Musikstadt. Ich würde nie wagen, das zu behaupten.“ Der gebürtige Wiener, gelernter Software-Ingenieur, hat einen Fünfjahresvertrag unterschrieben und soll ab 2007 die verkrustete Hamburger Musiklandschaft in die Moderne führen. Auf die Frage: „Warum kommt man nach Hamburg, wenn man einen Konzertsaal in Wien leitet?“, antwortet er: „Ich bin ein Mensch, der gern etwas aufbaut.“

In diesen Tagen läuft auch die Goodwill-Kampagne neu an. Die ersten Plakate hatten Prominente wie Simone Young oder Corny Littmann gezeigt, nun sollen normale Bürger ran: Bankkaufleute, Bäckereiverkäufer, Buchhändler. Weitere Ideen: Die Bäckerinnung spendet zehn Cent vom Verkauf eines Brots, Darboven wirbt auf Kaffee-Verpackungen für das Projekt: Für drei Aufkleber gibt es eine Anstecknadel.

Draußen in der Stadt wächst die Euphorie – und hinter den Türen die Verzweiflung. Deutlicher als am 16. Juni 2006 sind die Architekten nie wieder geworden. Jetzt warnen Herzog & de Meuron schriftlich vor den unabsehbaren Folgen einer unfertigen Planung: Das Projekt weise eine enorme Komplexität auf. Wenn die Ausschreibung zu früh versandt werde, würden zahlreiche Ergänzungen und Änderungen notwendig. Dies erhöhe die Gefahr, „dass der Generalunternehmer für vom Vertrag abweichende Leistungen berechtigt oder unberechtigt sehr hohe Mehrkosten geltend machen würde“.

Einen bis zum 10. August fertigen Plan schließen sie aus: „Die Änderungswünsche der Investoren und des neu gewählten Intendanten würden nicht eingearbeitet sein.“ Dann folgt der entscheidende Satz: „Das Kostenziel, die angestrebte Qualität und der Fertigstellungstermin sind in höchster Gefahr.“

Wegener empfindet die Warnung der Architekten als „Weiß-Fuß-Vermerk“. Die Planer seien „sehr professionell darin, sich aus der Verantwortung zu ziehen“, heißt es. Andere aber mögen nicht ausschließen, dass die Warnung berechtigt ist. Manchem wird mulmig: „Die Warnung war natürlich eine Katastrophe“, sagt ein ReGe-Mitarbeiter. „Aber wir wollten uns nicht aufhalten lassen.“ So kommt man auf die Idee, „Budgets“ für einzelne Teile des Projekts zu bilden. Das hört sich zunächst vorteilhaft für den Bauherrn an, weil beispielsweise ein Eine-Million-Euro-Budget irgendwie nach der Obergrenze von einer Million klingt. In der Praxis kommt es anders. „Den Architekten sind die Budgets völlig egal gewesen“, sagt ein ReGe-Mitarbeiter.

Am Beispiel der „Weißen Haut“ wird das teure Ausmaß dieser Schätz-Aktion deutlich. Auch sie ist im Vertrag als Budget-Position ausgewiesen. Wenn man so will, ist die Weiße Haut das Herz der Elbphilharmonie. Ohne sie kein schöner Klang. Wenn sie so funktioniert, wie sich das ihre Erfinder vorstellen, kann die Elbphilharmonie bei den weltbesten Konzertsäle mitspielen.

Die Weiße Haut ist ein technisches und architektonisches Wunderwerk. Sie besteht aus etwa 10.000 einzelnen Elementen, die am Ende auf einer Fläche von fast 6000 Quadratmetern die Innenverkleidung im Großen Saal bilden. Ihr Material besteht aus 3-D-gefrästen Gipsfaserplatten. Alle unterschiedlich in Form und Größe, Gewicht und Oberflächenstruktur. Sie sollen die Töne optimal in jeden Winkel des Saals reflektieren. Einzelne Exemplare dieser massiven Gipsplatten sind bis zu 150 Kilogramm schwer.

Das Problem: Die Weiße Haut ist, genau wie die Glasfassade oder die gebogene Rolltreppe, ein Unikat. So etwas wurde weltweit noch nie gebaut. Was also wird sie kosten? Weil das zu diesem Zeitpunkt niemand wissen kann, wird geschätzt. Nach den groben Angaben der Architekten wird das Budget Weiße Haut erst einmal so spezifiziert: „Wände, Unterschichten, Brüstungen, Decke, Gipsformteil oder gleichwertige Arbeit, vorfabriziert als Akustikelement, ohne Lichtelement.“ Die Höhe dieses Budgets: 3,5 Millionen Euro.

Nun hat man eine Zahl – und viele ungelöste Fragen: Findet der Baukonzern, der die Ausschreibung gewinnt, eine Firma, die diese Verkleidung für knapp 540 Euro pro Quadratmeter produziert und anbringt? Und wenn nicht, entscheidet der Bauherr, billigeres Material zu nehmen, um das Budget einzuhalten? Was aber sagen dann die Architekten dem Akustiker Toyota, mit dem sie einen Vertrag geschlossen haben und dessen Kunst sich nicht an Kosten, sondern am Klang orientiert?

Im Sommer 2006 wird immer deutlicher, dass man mehr Zeit bräuchte, um all diese Fragen zu klären. Die ReGe aber schlägt alle Warnungen in den Wind. Sie besteht auf der Fortsetzung des Verfahrens. Sie fordert am 10.

August Strabag und IQ2 zur verbindlichen Angebotsabgabe bis zum 15.September auf. Wegener denkt auch an politische Schwierigkeiten, falls es zu Verzögerungen kommt.

Hat aber die Senatskanzlei, also den Ersten Bürgermeister, dieser Hilfeschrei der Architekten überhaupt erreicht? „Nein”, sagt Nikolas Hill, damals Leiter des Planungsstabs der Senatskanzlei. „Nein”, sagt Thomas Stögbauer, Mitarbeiter der Senatskanzlei. „Nein”, sagt auch Volkmar Schön, Chef der Senatskanzlei. Das irritiert, weil Wegener behauptet, mit Schön und Staatsrat Gottschalck über die Warnung gesprochen zu haben.

Auch Ole von Beust will nichts erfahren haben. „Wenn die Architekten vor der Ausschreibung warnen und davor, dass Kosten und Termine in höchster Gefahr sind, hätte man mir das mitteilen müssen. Ich hatte ja die politische Verantwortung.”

Dabei gibt es die Chance zur Aufklärung im Rathaus. Am 20. Juni 2006 befragen die Abgeordneten bei der Sitzung des Kultur- und des Stadtentwicklungsausschusses Hartmut Wegener, Pierre de Meuron und Karin von Welck zur Entwicklung des Projekts und insbesondere zu den Kosten. Wegener erklärt, der Planungsprozess sei ein „integriertes Verfahren“. „Das ist wirklich selten. Parallel zu den Verhandlungen mit den Investoren, die Änderungsvorschläge machen, die wiederum zu den Architekten gebracht werden, wird hier weiter geplant.” Wegener endet mit den Worten: „Meine Damen und Herren, wir sind auf einem sehr guten Weg.”

Warum aber hat Pierre de Meuron in dieser Sitzung den Abgeordneten nicht von den Warnungen und den drohenden Mehrkosten berichtet? „Wir sind als Architekten zur absoluten Loyalität gegenüber dem Bauherrn verpflichtet“, sagt er. „Intern können wir immer Kritik äußern, nach außen nicht.“

Die Abgeordneten erfahren an diesem Tag ebenfalls nicht, dass die Planer mittlerweile auf Baukosten von 228,6 Millionen Euro kommen – 40 Millionen mehr, als zuletzt offiziell genannt. Aber sie erfahren kurz vor 18 Uhr, dass Deutschlands Nationalelf 3:0 gegen Ecuador gewonnen hat. Das Achtelfinale der Heim-WM ist erreicht. Auf dem Heiligengeistfeld feiern 80.000 Menschen eine gigantische Party. Das „Sommermärchen“ nimmt seinen Lauf.

Nur einen Tag später, es ist Mittwoch, der 21.Juni 2006, gerät das Projekt Elbphilharmonie endgültig aus den Fugen. Die Bietergemeinschaft IQ2 macht einen Vorschlag, der das komplette Modell auf den Kopf stellen wird. Es geht nicht nur um einen „ordnungspolitischen Sündenfall“ und ein fehlendes Protokoll, sondern auch um ein handschriftlich korrigiertes Gutachten und manipulierte Akten. Es geht darum, dass mit einem Mal nicht mehr ein privater Investor das Risiko des Hotelbaus übernimmt – sondern die Stadt. Die große Trickserei beginnt.

Noch immer gilt der Senatsbeschluss aus dem Januar 2005, das Projekt als Investorenmodell auszuschreiben. Also Hotel und Wohnungen, Gastronomie und Parken auf Kosten und auf Risiko eines privaten Investors zu betreiben. Nun jedoch schlägt ein Bieter vor, die Stadt selbst solle als Investor und Eigentümer von Hotel, Gastronomie und Parkhaus auftreten. Warum? Um das Bauwerk zu einem günstigeren Preis anbieten zu können.

Experten nennen so etwas „Forfaitierungsmodell“. Dabei geht es um bessere Kreditkonditionen. Um den kommerziellen Mantel zu errichten, muss sich der private Investor Geld von der Bank leihen. Als reines Bauunternehmen, das für den Investor Stadt Hamburg das Hotel hochzieht, hat der Konzern einen Anspruch auf Zahlung von Werklohn. Diese Forderung kann an die Bank verkauft werden. Und die hat mit Hamburg – also dem Staat – einen Triple-A-Kunden und so einen viel besseren Schuldner, als es ein privates Unternehmen wäre. Das nämlich kann im Gegensatz zur Stadt pleite gehen. Deshalb verleiht die Bank das Geld zu niedrigeren Zinsen. Dieser Kostenvorteil wird von der ReGe mit zehn bis 14 Millionen Euro angegeben.

Die Entscheidung darüber soll in einem Bürgermeister-Gespräch fallen. In einem Vorbereitungsvermerk schreibt Senatskanzlei-Mitarbeiter Thomas Stögbauer am 27. Juni: „Während der Bau und der Betrieb von Parkhäusern für die Stadt nicht wesensfremd ist, wäre dies beim Hotel nach den Immobilienverkäufen der letzten Zeit sicherlich ein ‚ordnungspolitischer Sündenfall’, der für viel Gesprächsstoff sorgen dürfte.” Er nennt in dem Vermerk aber auch einen Kostenvorteil von 15 Millionen Euro.

Das wegweisende Treffen ist am nächsten Tag: um 13 Uhr im „Bazi“, dem Bürgermeisteramtszimmer. Die Runde ist zu siebt: Ole von Beust, Karin von Welck, Hartmut Wegener, Volkmar Schön, Robert Heller (der Staatsrat der Finanzbehörde), Thomas Fuchs sowie Nikolas Hill, Leiter des Planungsstabes der Senatskanzlei.

Wegener legt das neue Konzept vor. Vor allem der Kostenvorteil des „Forfaitierungsmodells“ ist verlockend. Kontroverse Diskussionen gibt es nicht. Von Welck verlässt sich auf „diejenigen, die etwas davon verstehen“. Und die sind der Überzeugung, dass es eine wirklich gute Idee ist. Die vorgetragenen Argumente sind offenbar so überzeugend, dass nicht lange über Risiken diskutiert wird. Abgestimmt wird nicht. Am Ende sagt von Beust, dass man es so mache. Der Senatsbeschluss vom 20. Januar 2005, das Investorenmodell zu verfolgen, ist damit zwar nicht formell aufgehoben. Aber faktisch wird er an diesem Tag beerdigt – quasi aus dem „Bazi“-Fenster geworfen.

Bezeichnend: Ein Protokoll dieser Sitzung existiert nicht.

Von Beust sagt später: „Die Realisierung des Projekts stand vor ordnungspolitischer Geradlinigkeit. Wir wollten den praktischen Weg gehen, um das Gesamtprojekt fertigzukriegen. Und vermutlich habe ich selber auch einen ordnungspolitischen Sündenfall in Kauf genommen mit dem Ziel, das Projekt … fertigzustellen.“ Dazwischen fügt er an: „... ist natürlich nicht vernünftig, ist ja anders gelaufen …“

Wegener schickt um kurz nach 16 Uhr ein Fax an die beiden Bieter: „Nach heutiger Abstimmung mit dem Ersten Bürgermeister kann ich Ihnen das Ergebnis der Grundsatzentscheidung hinsichtlich der Modellfindung für das Projekt Elbphilharmonie mitteilen. Es soll das Forfaitierungsmodell in Kombination mit FM-Leistungen weiterverfolgt werden.“ Das bedeutet, dass die Stadt das Hotel (für 20 Jahre), Parkhaus und Gastronomie an ein Unternehmen verpachtet. Anschließend soll es verkauft werden. Fünf Sterne auf Staatskosten.

Nun trägt die Stadt plötzlich das Investorenrisiko. Sämtliche zukünftigen Kostensteigerungen für den kommerziellen Mantel werden zulasten der Steuerzahler gehen. Aber davon will an diesem Tag niemand etwas wissen. Die Kalkulation lautet erst einmal: Mit den laufenden Pachteinnahmen (Hotel) sollen die Zinsen für einen 130-Millionen-Euro-Kredit bedient werden.

Nach 20 Jahren will die Stadt das Hotel verkaufen. Mit dem Verkaufserlös soll der Kredit bezahlt werden. Eine höchst spekulative Sache. Man muss einen Käufer finden, der nach 20 Jahren mindestens 130 Millionen Euro bezahlt.

Dass dies realistisch sein soll, hat die ReGe sogar schriftlich. Es steht in einem Gutachten von PKF Hotel

experts. Das Unternehmen bezeichnet sich selbst als „internationalen Marktführer im Hotel-Consulting“. Die Sache hat dennoch einen Haken: Das Gutachten wird rückdatiert und verändert. Der PUA, der Parlamentarische Untersuchungsausschuss, der sich Jahre später damit befasst, wird „eine intensive Zensur“ des Gutachtens feststellen. „Sämtliche kritische Urteile wurden gestrichen und dadurch das gesamte Gutachten dahin gehend verändert, eine positive Bewertung zu liefern“, heißt es. Bei den handschriftlichen Korrekturen, so steht es im Entwurf des PUA-Berichts, handelt es sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Schrift Wegeners“.

Dazu muss man wissen: Es gibt die Urversion, die Entwurfsversion und schließlich die Endfassung des Gutachtens. Und in der von der ReGe korrigierten Endfassung steht das genaue Gegenteil der Urversion. Ein Beispiel: Aus der Warnung vor einem „überhitzten Markt“ (Urversion) wird erst eine „offene Entwicklung“ (Entwurfsversion) und schließlich eine „tragfähige wirtschaftliche Basis“ (Endfassung). Damit nicht genug: Das Gutachten wurde auch rückdatiert. „Datum wichtig, es muss vor Senat liegen!“, lautet ein Hinweis in den Akten der ReGe.

Die Stadt wird also zum Investor für ein Luxushotel und trägt das finanzielle Risiko. Diese Entscheidung wird am Parlament vorbei getroffen. Als Grundlage muss ein manipuliertes Gutachten herhalten, das rückdatiert wurde. Denn der Senat kennt es zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gar nicht. Das Projekt Elbphilharmonie hat seine Unschuld verloren.

Während die Stadt klammheimlich zum Hotel-Investor geworden ist und die Architekten wegen der unfertigen Planung dringend vor einer Ausschreibung warnen, machen die zukünftigen Nutzer immer weitere Vorschläge. In einem Schreiben der Kulturbehörde an die ReGe vom 27.

Juni wird folgende Wunschliste formuliert: Integration einer Cafeteria, geänderte Raumaufteilung im Backstage-Bereich und im Bereich Verwaltung, Integration eines dritten Saals, Vergrößerung Ticketing-Bereich.

Da sind es gerade mal noch zehn Wochen bis zum Vergabeschluss.

Auch Lieben-Seutter sorgt für Ärger: Bei einer Podiumsdiskussion antwortet er auf die Frage, was ihm hier fehle: „Ein 1-a-Orchester. Das NDR Sinfonieorchester finde ich wunderbar, aber in Berlin oder München sieht’s besser aus.“ Ein 1-a-Fauxpas, die Orchester hier nehmen es ihm unisono übel.

Am 7.September 2006 warnen die beiden verbliebenen Bieter ein letztes Mal vor der zu frühen Ausschreibung. Sie haben eine Menge Gründe, aufgelistet in einem Prüfschreiben von Hochtief: Bei der Tragwerksplanung liegen die statischen Berechnungen nicht vor. Es sei noch nicht einmal gesichert, dass es überhaupt möglich sei, die geformten Glaselemente in der Fassade herzustellen. Bei der TGA-Planung (Heizung, Lüftung, Elektrik, Licht) liegen die Entwurfsunterlagen nicht vor. Und laut Brandschutzgutachten ist im Bereich Tragwerk über dem Großen Saal eine Sprinkleranlange erforderlich – aber in der Planung noch nicht berücksichtigt.

Die Strabag moniert vor allem die Fassade: „Die Verglasung ist durch keinen Glasproduzenten in ihren multifunktionalen Anforderungen bestätigt. Weiterhin war kein Hersteller in der Lage, uns bis zum heutigen Tage Preise für unsere Angebotsbearbeitung zu benennen.“ Insgesamt haben die beiden Bieter noch 239 (!) Fragen an die ReGe. Einen deutlicheren Hinweis auf eine unvollständige Planung gibt es nicht.

Doch es bleibt beim vereinbarten Stichtag: Am 15. September 2006 bis 12 Uhr müssen die „letztverbindlichen Angebote“ abgegeben sein. In der Hochtief-Niederlassung in Bramfeld haben die Mitarbeiter bis nachts um 3 Uhr Unterlagen zusammengestellt und kopiert. Das Ergebnis ist fünf Aktenordner dick und passt gerade in einen Umzugskarton. Es werden zwei Versionen in zwei Kartons gepackt und zwei Fahrer auf die Reise zur ReGe geschickt. Die hat ihren Sitz im Harburger Binnenhafen, in einem umgebauten Kaispeicher. Ein Hochtief-Fahrer nimmt den Weg über die Elbbrücken, einer durch den Elbtunnel. Gegen 11 Uhr treffen beide ein, eine Stunde vor Ablauf der Angebotsfrist.

Das Angebot von Deutschlands größtem Baukonzern beläuft sich auf 274 Millionen Euro Baukosten, inklusive Hotel. Die Summe entspricht rund 2000 Euro pro Quadratmeter. Mancher denkt sich: Das ist aber sportlich. Dafür kann man keine Eigentumswohnung bauen. Die Strabag schickt keine Kartons zur ReGe, sondern nur einen Brief mit einer Vergaberüge. Darin beanstandet Strabag-Geschäftsführer Stefan Mühling die Leistungsbeschreibung. Sie sei keine kalkulatorisch hinreichende Basis für eine Angebotsabgabe. Deswegen müsse man „nicht unerhebliche Risikozuschläge vornehmen“. Sofort wird bei der Strabag angerufen. Wie hoch sei der Risikozuschlag? „100 Millionen Euro“, antwortet Mühling.

Aufgrund dieses Strabag-Schreibens verhängt die Stadtentwicklungsbehörde ein Vergabeverbot für die Elbphilharmonie. Jetzt hat die Stadt ein echtes Problem: Was nun? Drei Alternativen werden diskutiert. A: Gespräche mit Hochtief aufnehmen mit dem Ziel, den Angebotspreis erheblich zu senken – und zudem die Vergaberüge zurückweisen. B: Der Vergaberüge stattgeben, Gespräche mit beiden Bietern aufnehmen, die Planung vertiefen. C: Das Verfahren aufheben und Wiederaufnahme der Gespräche mit fünf Bietern.

Die Vergabeexpertin Ute Jasper berät die ReGe. Ihr Stundenlohn: zwischen 240 und 300 Euro. Sie rät zu Lösung C. „Liebe Leute, sollen wir nicht den Wettbewerb noch einmal aufmachen? Lasst uns die Frankonia noch mal reinholen.“ Das, was wirklich Geld bringe, sei ein Wettbewerb möglichst bis zum Schluss. „Das ist das Einzige, was wirklich Druck aufbaut.“ Man hört nicht auf sie.

Beim Bürgermeistergespräch am 29. September legt Wegener die drei Alternativen vor. Das Hochtief-Angebot wird als nicht wirtschaftlich eingeschätzt. Aber: ReGe und Architekten halten eine Reduzierung um 40 bis 44 Millionen Euro für möglich. Die ist auch deshalb unerlässlich, weil Wegener den Bürgermeister informiert: „Aus den zu hohen Baukosten ergibt sich ein negatives Delta von Pachteinnahmen aus der Mantelbebauung zum Zinsdienst, wodurch negative Quersubventionierung entsteht. Damit ist das Gebot unwirtschaftlich.“ Das heißt: Die Stadt würde mit dem Hotelgeschäft nicht etwa ein Plus machen, sondern kräftig draufzahlen. Und die Bezuschussung des Baus eines Luxushotels mit öffentlichen Mitteln ist natürlich hoch problematisch.

Die zwingende schriftliche Vorgabe der Senatskanzlei für die Nachverhandlungen lautet daher: „In jedem Fall ist die Wirtschaftlichkeit herzustellen, damit Pachteinnahmen und Zinszahlungen im Gleichgewicht sind. Es darf zu keiner negativen Quersubventionierung kommen. Die Kosten sind um ca. 20 Millionen Euro zu senken.“

Was die Entscheidung der Stadt, mit Hochtief weiterzuverhandeln, außerdem beeinflusst: IQ2 droht schriftlich, die Entscheidung rechtlich anzugreifen, wenn das Verfahren nicht allein mit ihnen fortgeführt wird. Ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof könne sich „durchaus auf etwa zwei Jahre erstrecken“, innerhalb dieses Zeitraums „wäre die Realisierung des Projekts ausgeschlossen“. Am 25. September bekommt die ReGe von Hochtief Post: „Hochtief-Vorstand Dr. Abel hat in einem Gespräch mit dem Projektkoordinator erklärt, dass man den Zuschlag erwarte und nicht bereit sei, eine Vereinbarung über die Fortsetzung des Vergabeverfahrens mit Strabag abzuschließen.“

Nun drohen der Stadt also juristische Auseinandersetzungen mit beiden Bietern. Damit nicht genug. Am selben Tag erreicht die ReGe ein Schreiben von Professor Jürgen Grabe von der TU Harburg. Darin äußert er sich zur Tragfähigkeit der 1111 Gründungspfähle des Kaispeichers und beschreibt einen Fall, in dem die geplante „Lasterhöhung, die unserer Kenntnis nach ca. 40 Prozent betragen soll, für einen Großteil der Pfähle auf der unsicheren Seite“ wäre. Sind die elbphilharmonischen Träume buchstäblich auf Sand gebaut?

Der 30. September 2006 ist Starttermin für die Nachverhandlungsgespräche mit ReGe, Hochtief und Architekten. Es geht um Einsparungen von rund 40 Millionen Euro. Viel Zeit bleibt nicht. Es werden Arbeitskreise gebildet. Hochtief schlägt vor, die mehr als 1000 unterschiedlichen Bedruckungsmotive für die Fenster auf 100 zu reduzieren. Und einen Teil der gewölbten Elemente durch plane Fenster zu ersetzen.

Vier Wochen später legt Hochtief ein Angebot über 257 Millionen Euro vor. Die sogenannte Szenografie aber, also die gesamte Bühnentechnik, ist darin nicht enthalten. Dabei liegen der ReGe für die Szenografie bereits seit 2005 drei Kostenschätzungen von Fachplanern vor. Sie belaufen sich auf 11,5, auf 12,7 und auf zehn Millionen Euro. Trotz dieser konkreten Zahlen wird daraus eine Budgetposition – in Höhe von nur sieben Millionen Euro.

Warum dieses Verwirrspiel? Ganz einfach: Der Angebotspreis musste gesenkt werden, zumindest auf dem Papier. Wegener gibt die Weisung, „zu überprüfen, ob das so hoch sein muss“ – das Budget wird daraufhin gesenkt. Wegener räumt später ein: „Eine Fehleinschätzung von mir.“

In einer E-Mail mit Anhang fordert Kulturbehörden-Mitarbeiter Jochen Margedant am 6. November umfangreiche Umgestaltungen, die auch auf Wünschen des neuen Intendanten beruhten. Am wichtigsten: Ein Chorprobenraum (3. Saal) für 100 Sänger, 175 Quadratmeter, 6,5 Meter hoch, im 3. und 4. OG. Es ist immer noch Wünsch-dir-was-Phase. Dabei ist die Ausschreibung längst abgeschlossen. Kulturbehörde und ReGe ist klar, dass die neuen Wünsche erst nach Abschluss des Vergabeverfahrens in die Planung kommen können. Und dass es teuer werden würde.

Wie teuer? Während der Projektsteuerer Assmann die Rohbaukosten auf etwa 200.000 Euro beziffert und die Kulturbehörde wegen dieser „hoch erfreulichen“ Schätzung die ReGe auffordert, den 3. Saal umzusetzen, heißt es bei Hochtief: Die Mehrkosten für den 3. Saal durch Hunderte von Um- und Neuplanungen belaufen sich auf einen knapp zweistelligen Millionenbetrag.

Die Hamburger ahnen von all dem nichts. Es werden nur gute Nachrichten inszeniert – mit 800 Gästen im Festsaal des Rathauses. Am 14. November wird die Stiftung Elbphilharmonie gefeiert, die innerhalb eines Jahres 64 Millionen Euro eingesammelt hat. Jubellaune mit Bürgermeister und Senatorin. Beust sagt: „Die Hamburgerinnen und Hamburger haben damit deutlich gezeigt, wie wichtig ihnen dieses Leuchtturmprojekt ist.” Es gibt eine Torte mit Zuckeraufsatz in Elbphilharmonie-Form.

Drei Tage später schreibt Beust an Strabag-Chef Hans Peter Haselsteiner. Er bietet ein Treffen und eine gütliche Einigung an. Es wird gemauschelt. Um die Vergaberüge aus der Welt zu kriegen, wird angeboten, an Strabag Aufträge zu vergeben, um eine Zahlung von drei Millionen Euro zu vermeiden.

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