Am Montag wurde die Statik der Esso-Häuser erneut überprüft. Bezirksamtsleiter Andy Grote hält Abriss der Esso-Häuser im ersten Quartal für realistisch. Demonstration am Sonnabend.

Hamburg. Am Montagnachmittag wurde die Statik der einsturzgefährdeten Esso-Häuser in Hamburg-St. Pauli erneut überprüft. Mitarbeiter der Landesprüfstelle Baustatik gaben ihre Einschätzung zu den maroden Gebäuden ab, wie Bezirksamtschef Andy Grote (SPD) sagte. Dabei „haben Statiker insbesondere im Bereich der Tiefgarage neue Haarrisse und gebröckelte Bausubstanz festgestellt“, wird Grote in der „Mopo“ zitiert.

Zuvor hieß es noch, dass „bislang keine sichtbaren Schäden, etwa Risse“ sichtbar waren. „Die Häuser werden nicht wieder bewohnt werden können. Anfang des Jahres wird es dann einen geordneten Auszug geben: Alle Bewohner werden die Möglichkeit bekommen, ihr Hab und Gut aus ihren Wohnungen zu holen", so Grote weiter in der „Mopo“.

Nach Anordnung des Bezirksamtes sind die Häuser, die in der Nacht zu Sonntag evakuiert worden waren, gesperrt. Bewohner hatten von wackelnden Wänden berichtet. „Wie uns auch der Hausmeister der Esso-Häuser bestätigte, war es am Sonnabend selbst für St. Pauli-Verhältnisse extrem laut. Nicht auszuschließen, dass da ein Zusammenhang ist“, sagte Grote. Die Mieter kamen bei Verwandten, Freunden oder in einer Turnhalle unter. Am Montag durften sie nochmals Haustiere, Medikamente und Wertsachen aus ihren Wohnungen holen.

Abriss schon im 1. Quartal realistisch

Unter Hochdruck werde nach Ersatzwohnungen gesucht, berichtete Grote. Er hofft, dass Mieter und Gewerbetreibende noch ihr gesamtes Inventar herausholen können. Ziel sei ein geregelter Auszug. Stünden die Häuser leer, könnte nach Grotes Einschätzung ein Abriss schon im 1. Quartal realistisch werden.

Der Grundeigentümer, die Bayerische Hausbau GmbH, plant einen Neubau mit knapp 20.000 Quadratmeter Geschossfläche, fast viermal so viel wie bisher. Die Gewerbefläche soll sich auf 5000 Quadratmeter nahezu verdoppeln. Der Prozess, Ersatzwohnungen zu finden, werde beschleunigt, sagte Unternehmenssprecher Bernhard Taubenberger der dpa. Die Mieter sollten ursprünglich zum 31. Juni 2014 ausziehen. Weitere Wohnungen für sie seien aktuell bereits angeboten worden, ergänzte der Sprecher.

Demonstration am Sonnabend geplant

Für den kommenden Sonnabend haben Aktivisten aus dem Umfeld des Kulturzentrums „Rote Flora“ zu Protesten unter anderem gegen das Gewinnstreben von Hauseigentümern aufgerufen.

Die Polizei erwartet mehr als 3000 Teilnehmer. „Wir gehen davon aus, dass es reichlich ruckeln wird“, sagte ein Polizeisprecher am Montag. Für den Großeinsatz sei bereits Unterstützung aus anderen Bundesländern angefordert worden. Die Esso-Häuser waren in der Nacht zu Sonntag wegen Einsturzgefahr evakuiert worden, nachdem zwei Mieter von wackelnden Wänden berichtet hatten.

Bereits am Sonntagabend waren etwa 750 Demonstranten durch das Viertel gezogen und haben gegen den Abriss der Häuser demonstriert. Anschließend kam es zu Ausschreitungen im Schanzenviertel. Demonstranten bewarfen Streifenwagen mit Flaschen.

Hotel- und Taxigutscheine für die Bewohner

Einer der betroffenen Bewohner der Esso-Häuser ist Rainer Franke. Der 52-Jährige hat in der vergangenen Nacht im Hotel übernachtet. Für die kommenden drei Tage sei gesichert, dass er ein Dach über dem Kopf habe. „Grundsätzlich fühle ich mich gut aufgehoben“, sagt er. Er und die anderen Bewohner hätten neben einem Hotelgutschein auch einen Taxigutschein und 50 Euro Bargeld bekommen.

Auch Robert Majewski (35) und Christian Najmann (33) haben im Sleep Hotel an der Königsstraße übernachtet. In der Unterkunft in der Schule an der Königstraße ist mittlerweile niemand mehr.

Am Sonntag durften sie nochmal kurz für 15 Minuten in ihre Wohnung. "Aber in der Hektik haben wir natürlich tausend Sachen vergessen", sagt Robert.

Derzeit lässt der Hausmeister der Esso-Häuser die Bewohner einen nach dem anderen zu ihren Wohnungen um letzte Sachen rauszuholen. Bis zu einer Stunde müssen die Leute warten.

„Kurz vor Weihnachten, das ist eine Katastrophe“

Bis Mittwoch kommen Robert Majewski und Christian Najmann zunächst im Hotel unter. Was danach ist, wissen sie nicht. "Das Problem sind ja auch die Möbel. Man weiß ja gar nicht, was mit all unseren Sachen passiert", sagt Christian. Die beiden gehen nicht davon aus, dass sie zurückkehren können. "Und das so kurz vor Weihnachten. Das ist eine Katastrophe. Bis Weihnachten werden wir ja keine Wohnung haben", sagt Robert.

Die beiden wohnen seit fünf Jahren in der dritten Etage. Von Schäden hätten sie nichts mitbekommen. Rund 5000 Euro haben die beiden in die Wohnung investiert, zum Beispiel in eine neue Einbauküche.

"Aber hier hat ja niemand mehr was gemacht. Die haben darauf hingearbeitet, das hier abzureißen. Das war kalkuliert. Die wollten nie sanieren", sagt Christian.

Vor rund vier Wochen hatten die beiden ein Angebot für eine neue Wohnung von der Bayerischen Hausbau bekommen. "Die hat uns aber nicht zugesagt. Jetzt denkt man, hätte man mal."

Häuser gelten seit Langem als marode

Was dazu geführt hat, dass die Wände der Esso-Häuser am Sonnabendabend plötzlich gewackelt haben, ist ebenfalls noch ungeklärt. Laut Bewohnern hätte es mehrere laute Musikereignisse im Gebäude und in der näheren Umgebung gegeben. „Es kann sein, dass das mit ursächlich war“, so Bezirksamtsleiter Andy Grote. Das Hauptaugenmerk des Bezirksamts liege jetzt bei den Mietern, nachdem die „Perspektive eines geordneten Auszugs“ durch die Ereignisse über den Haufen geworfen wurde. Man werde nach Kräften helfen, auch wenn es nicht sofort für jeden Einzelfall eine „passgenaue Lösung“ gibt.

Die Evakuierung ist ein Höhepunkt im jahrelangen Streit um Erhalt und Abriss der in den 60er-Jahren gebauten Hochhäuser. Eine breite Aktivistenszene will den Abriss der Häuser verhindern, die zum Symbol im Kampf gegen die Verdrängung und teure Neubauten geworden sind. Die Bayerische Hausbau aus München hatte den Komplex samt der Esso-Tankstelle 2009 gekauft. Die Firma plant den Bau von 240 neuen Wohnungen, darunter auch Sozialwohnungen für die bisherigen Bewohner.

Die Häuser gelten seit Langem als marode: Die Tiefgarage ist bereits gesperrt. Ein Gutachten hatte eine schwere Schädigung des Stahlbetons festgestellt. Auch die Balkone der Wohnungen dürfen seit Wochen nicht mehr betreten werden, im Juni sollten die Häuser geräumt werden. Fazit des Gutachtens: „Der Zustand von nahezu hundert Prozent der Bauteile ist kritisch oder grenzwertig.“

Mit Material von dpa