In der Nacht zu Sonntag sind die Esso-Hochhäuser geräumt worden. Am Nachmittag sicherten die Bewohner Wertgegenstände aus ihren Wohnungen. Am Abend gingen hunderte Menschen auf die Straße.
Hamburg. Nach der Evakuierung der „Esso-Häuser“ an der Hamburger Reeperbahn haben nach Polizeiangaben etwa 750 Menschen überwiegend friedlich gegen die Wohnungspolitik des Senats demonstriert. „Wir haben es hier nicht mit einer Naturkatastrophe zu tun, sondern mit einem Zustand, der über Jahrzehnte herbeigeführt worden ist“, kritisierte ein Redner. Es dürfe sich nicht lohnen, Häuser „kaputt zu besitzen“. Seit Jahren werfen Bewohner und Initiativen dem Besitzer der Gebäude vor, nicht in die Instandhaltung zu investieren.
Auch am Tag nach der kurzfristigen Räumung der Esso-Hochhäuser flattert rotes Absperrband rund um den Bereich um die bekannte Esso-Tankstelle an der Reeperbahn. Die Sperrung der Polizei gilt auch am Sonntag. Mittlerweile sind sogar noch Bauzäune hinzugekommen, die den Bereich um die Wohnhäuser zusätzlich absperren. Polizisten kontrollieren die Ein- und Ausgänge. Die sogenannten Esso-Häuser im Stadtteil St. Pauli mussten am späten Sonnabend kurzfristig geräumt werden.
Gegen 22.30 Uhr wurden rund 50 Bewohner der Häuser an der Hamburger Reeperbahn aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen. Noch immer müssen sie weiter auf die Rückkehr in ihre Wohnungen warten und fanden vorerst Unterkunft in einer Schule in Altona. Bewohner Reiner Franke, 52, klagt: „Wir wissen immer noch nicht, was los ist.“ Aber nicht nur die Bewohner der Esso-Hochhäuser sind betroffen, auch Gäste aus dem Hotel am Hafen verbrachten die Nacht in der Turnhalle. Das Rote Kreuz stellt Brötchen mit Käse und Jagdwurst. Es gibt Kaffee und Tee. Andere kamen bei Freunden und Familie unter. „Wir haben ein paar der älteren oder kranken Leute in Hotels untergebracht“, sagte Bernhard Taubenberger von der Bayerischen Hausbau.
Andi Schmitt, der Inhaber des Molotow, weiß nicht, wie es weitergeht. Er hoffte auf der anstehenden Pressekonferenz weitere Informationen zu bekommen. Wie das Abendblatt herausfand, war Andy Grote kurz vor der Pressekonferenz bei den Bewohnern in der Turnhalle. Dort teilte er den Betroffenen mit, dass diese kurz in ihre Wohnungen zurück könnten, um wichtige Unterlagen, Medikamente und Wertsachen sichern zu können. Sie sollen vom THW begleitet werden und umgehend die Wohnungen wieder verlassen. Auch die Touristen aus den Hotels können kurz in ihre Räume zurückkehren. Anschließend kommen die rund 50 Personen in Hotels unter und müssen nicht zurück in Notunterkünfte.
„Eine Rückkehr in die Wohnung ist unwahrscheinlich“
Am Nachmittag sagte Bezirkschef Andy Grote bei der Pressekonferenz mit Bernhard Taubenberger von der Bayerischen Hausbau GmbH, dass die Polizei die Meldungen der Bewohner sehr ernst genommen habe. „Die Gebäude befinden sich in einem kritischen statischen Zustand. Es gibt Gefahr von Schäden für Leib und Leben.“ Die Bewohner sollen nun bei Verwandten und Freunden oder im Hotel unterkommen. „Eine Rückkehr in die Wohnungen ist unwahrscheinlich.“
Der Eigentümer der Häuser will zügig weiteren Wohnraum anmieten. Es sei eine dramatische und schwierige Situation für jeden einzelnen. Grote versprach: „Wir sorgen, dass jeder Einzelne individuell versorgt ist. Die Gesundheit und Sicherheit der Menschen geht vor.“
Bernhard Taubenberger bedankte sich bei allen Helfern, die in der vergangenen Nacht die Menschen versorgt hätten. Die Vorwürfe der Initiative wies Taubenberger zurück: „Wir haben instandgehalten, was instandzuhalten war.“ Die Initiative hatte zuvor geklagt, dass die maroden Gebäude zu lange nicht modernisiert worden waren. Für die Mieter, so Taubenberger weiter, sei bislang keine finanzielle Entschädigung geplant.
Grote sagte, dass rund 100 Mieter betroffen seien, wovon 75 in der Nacht in der Notunterkunft untergekommen waren. Der Bezirk wies Versäumnisse von sich, schließlich habe man ein Gutachten in Auftrag gegeben und entsprechende Maßnahmen in die Wege geleitet. Nun habe sich „die Informationslage in der letzten Nacht geändert“. Das Risiko müsse nun neu eingeschätzt werden.
Grote kündigte zudem an, dass erst die Bewohner und dann die Gewerbetreibenden Unterstützung erfahren sollen. Zur Problematik der Statik sagte Grote, dass es sich um einen Gebäudekomplex handele, in dem „statisch alles zusammenhängt.“ Daher sehe es auch für die anliegenden Bars und Clubs nicht gut aus, so Grote. Wann gegebenenfalls abgerissen werden soll, ist laut Bezirksamtleiter Grote noch nicht entschieden. Zu diesem Zeitpunkt könne man daher auch noch keine Aussagen, über eine Rückkehr der Bewohner treffen. Jetzt gehe es erst einmal darum, den Menschen sofort zu helfen.
Wie einige Initiativen am Mittag mitteilten, soll es am Abend gegen 18 Uhr eine Demonstration zum Erhalt der Esso-Häuser geben. Eine genau Route sei allerdings noch nicht geplant.
Tumultartige Szenen bei Räumung
Alle Anwohner der Hausnummer Reeperbahn 5 a, b, c mussten am späten Sonnabendabend ihre Wohnungen verlassen. Auch die berühmte Esso-Tankstelle, sowie alle in dem Gebäudekomplex untergebrachten Clubs, Bars und Geschäfte mussten umgehend geschlossen werden. Alle Veranstaltungen wurden unterbrochen und bis auf Weiteres abgesagt.
Zunächst wurde nur der hintere der beiden Gebäudetürme (neben dem Panoptikum) geräumt. In der Nacht musste jedoch auch der zweite gesperrt werden. Viele der Bewohner irrten orientierungslos umher, wussten nicht, wie es weitergehen soll. Immer wieder kam es zu tumultartigen Szenen, da einzelne Bewohner sich weigerten, ihre Wohnungen zu verlassen. Die Mieter durften ihre wichtigsten Wertgegenstände einpacken und wurden über Nacht in Hotels oder Notunterkünften in der Königstraße untergebracht. Busse standen bereit, um die Anwohner abzuholen. Die Esso-Tankstelle stellte Kaffee und belegte Brötchen zur Verfügung.
„Eines der Häuser hat richtig gezittert“
Bis tief in die Nacht patrouillierten Polizisten und Sicherheitsleute in dem Gebäude. Auch die Hamburger Feuerwehr war mit zahlreichen Einsatzkräften vor Ort. Im Laufe des Sonntags sollen weitere Untersuchungen stattfinden.
Wie die Polizei am späten Sonnabend bestätigt, hatte man gegen 22:30 Uhr mit der Räumung der Gebäude begonnen. Zwei Anwohner hatten der Polizei gemeldet, dass ihre Wände wackeln und der Putz von der Decke fallen würde. „Eines der Häuser hat richtig gezittert“, sagte ein Mitarbeiter der Tankstelle.
Die Tiefgarage unter den Wohngebäuden wurde bereits im Juni gesperrt. Ein Gutachten hatte eine weitgehende Schädigung des Stahlbetons festgestellt. Auch die Balkone der Wohnungen dürfen seit einigen Wochen nicht mehr betreten werden. Die Bauprüfabteilung des Bezirksamtes Mitte hat die Benutzung untersagt. „Alle Balkone sind gegen Abstürzen durch unterstützende Maßnahmen wie zusätzliche Gerüststützen zu sichern“, heißt es in der Anordnung der Bauprüfabteilung. Sie wurden daraufhin mit Holzbalken abgestützt.
Die Sicherheitsmängel wurden durch die Gutachter des Hamburger Büros dr-architekten entdeckt. Diese haben im Auftrag der Stadt ein Gutachten erstellt, um die Standfestigkeit der Gebäude zu untersuchen. Seit Jahren wird über die Zukunft der Esso-Häuser diskutiert. Die Bayerische Hausbau, Eigentümer der Immobilie, will den alten Bestand abreißen und hier 240 neue Wohnungen samt Gewerbe erstellen. Die Initiative Esso-Häuser setzt sich für einen Erhalt und die Sanierung der Häuser ein.
Am kommenden Wochenende wollen Aktivisten aus dem Umfeld der Roten Flora für den Erhalt der Esso-Häuser demonstrieren.
"Die Bayerische Hausbau hat die Esso-Häuser vorsätzlich verfallen lassen und gezielt heruntergewirtschaftet", sagte ein Mitglied der Initiative Esso-Häuser dem Abendblatt.
Mit Material von dpa