Die Frist zur Räumung, die der Eigentümer den Rote-Flora-Nutzern gestellt hat, stößt auf Kritik. Die Polizei bereitet sich auf eine Großdemonstration vor, ein Politiker spricht von „Provokation“.
Von besinnlicher Weihnachtszeit keine Spur: Die Hamburger Polizei ist in diesem Dezember im Dauerstress – und nun droht rund um die Rote Flora, dem links-autonomen Szenetreff im Schanzenviertel, eine Eskalation. Eigentümer Klausmartin Kretschmer hatte in der vergangenen Woche angekündigt, eine Räumung des Gebäudes vornehmen zu lassen, wenn die Nutzer nicht bis zum 20. Dezember von sich aus gehen würden.
Da ohnehin für den Folgetag, also den kommenden Sonnabend, eine Großdemonstration der linken Gruppierungen angemeldet worden war, wird nach dieser Provokation jetzt mit einer hohen Gewaltbereitschaft gerechnet.
Einen Vorgeschmack darauf gab es am Donnerstag, als Linksautonome aus dem Umfeld der Roten Flora eine Peterwagenbesatzung angriffen. Die Beamten mussten flüchten und rammten dabei am Neuen Pferdemarkt ein Taxi, das dann auch attackiert wurde. „Damit wurde eine Schwelle überschritten“, sagt Mirko Streiber, Sprecher der Hamburger Polizei. Die Angriffe, denen die Polizisten, der Taxifahrer und seine beiden Fahrgäste ausgesetzt waren, sind von nicht gekannter Brutalität. Bislang hatte die Szene es vermieden, Menschen in akute Gefahr zu bringen.
Wenig Verständnis von Sicherheitsbehörden und Politik
Am kommenden Sonnabend nun wollen laut Anmelder 3000 Demonstranten durch die Stadt ziehen. Schon im Vorfeld gab es Streit mit den Sicherheitsbehörden. Sie hatten die ursprünglich geplante Streckenführung, die unter anderem durch die Mönckebergstraße führen sollte, untersagt. Das Gericht folgte der Auflage der Polizei.
Mittlerweile gehen die Experten davon aus, dass deutlich mehr als 3000 Demonstranten aufmarschieren werden. Die linksautonome Szene mobilisiert bundesweit und sogar im Ausland. Der Anteil der gewaltbereiten Teilnehmer wird nach bisherigen Einschätzungen hoch sein. Auch die Polizei wappnet sich und holt aus vielen Bundesländern Hundertschaften zusammen. Sollte die eigentliche Demonstration unter Kontrolle bleiben, richten sich die Sicherheitskräfte dennoch darauf ein, dass im Anschluss kleinere Gruppen in der Innenstadt unterwegs sind, um zu randalieren.
Das Verständnis für das Vorgehen Kretschmers hält sich bei den Sicherheitsbehörden entsprechend in Grenzen. Kritik kommt auch aus der Politik, so von dem innenpolitischen Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Arno Münster: „Der gießt Öl ins Feuer.“
Ausgebufften Immobilienprofi als Berater
So drohte Kretschmer anfangs eher dubios mit einem amerikanischen Sicherheitsunternehmen, das angeblich interessiert an der umstrittenen Immobile sei. Dann wurden die Attacken konkreter, zumal sich Kretschmer im Herbst mit Gert Baer einen ausgebufften Immobilienprofi als Berater an die Seite holte.
Beide stellten plötzlich Pläne für ein neues Stadtteilzentrum samt großem Konzertsaal vor und reichten dazu beim zuständigen Bezirksamt Altona auch einen Bauvorbescheids-Anfrage ein. „Die Rotfloristen könnten dort ja gerne Räume anmieten“, argumentierten sie süffisant. Argument: Man wolle ein Stadtteilzentrum für alle bauen, in seiner jetzigen Form diene das Gebäude doch nur Linksextremen, die den demokratischen Staat stürzen wollten.
Wenige Wochen später machte ihr Versuch Schlagzeilen, ein Konzert der Band Fettes Brot in der Flora per Hausverbot zu verhindern. Und jüngst nun forderten sie den Verein Rote Flora zum Verlassen des Gebäudes auf. „Ich muss sie bitten und dringend auffordern, mein Eigentum sofort zu verlassen“ teilten sie in einem Schreiben dem Verein mit. Sollte dies nicht bis zum 20. Dezember geschehen sein, werde man die Hamburger Behörden und Gerichte auffordern, das Haus räumen zu lassen.
Eine Drohung, die Innenpolitiker Münster mit Blick auf die schon zuvor bekannte Großdemonstration als „Provokation“ brandmarkt. Man begrüße die „konstruktive Mithilfe für die Mobilisierung“, heißt es dann auch ironisch aufseiten der linksautonomen Flora-Aktivisten, die lange sehr zerstritten waren, nun durch die ständigen Angriffe aber offenbar wieder die Reihen fest schließen.
Die Vorgeschichte der Roten Flora
Doch eine Räumung des 1889 als Theater gebauten Hauses dürfte für Kretschmer nicht einfach werden. Und das hat viel mit der Vorgeschichte zu tun: Eigentlich sollte auf dem Grundstück ein neues Theater für das Musical „Phantom der Oper“ gebaut werden. Aus Protest gegen eine angebliche Kommerzialisierung des Stadtteils besetzten Linksautonome 1989 das Haus, das sich damals im Besitz der Stadt befand.
Immer wieder kam es zu Krawallen, doch der Senat traute sich nicht an eine Räumung. 1990 unterzeichnete die damalige Stadtentwicklungssenatorin Traute Müller (SPD) mit den Besetzern einen Nutzungsvertrag, der aber bald wieder aufgelöst wurde. 1992 stellte die Stadt ein Ultimatum für die Unterzeichnung eines neuen Vertrages und drohte mit Räumung – was aber nie geschah. Vor der Bürgerschaftswahl 2001 gerieten das Haus und die ständigen Krawalle dort in den Wahlkampf, vor allem die Schill-Partei sprach von einem rechtsfreien Raum, den der rot-grüne Senat dulden würde.
Und nun trat Kretschmer auf den Plan, der sich zu dieser Zeit noch gern als Kulturinvestor bezeichnen ließ. Er kaufte für lediglich 370.000 Euro die Rote Flora und verschaffte der Stadt damit Ruhe. Im Kaufvertrag ist allerdings eindeutig aufgeführt, dass die Rotfloristen „auf Basis einer Duldung“ das Haus nutzen. Eine Räumung kann Kretschmer daher allenfalls nach langwierigen zivilrechtlichen Verfahren erwirken – und auch das ist aus Sicht von Mietrechtsexperten fraglich. Eben weil er das Gebäude im Wissen um die besonderen Nutzer gekauft habe.
Will Kretschmer Krawalle provozieren?
Was seine Beweggründe waren, ist inzwischen aber unerheblich. Denn spätestens seit 2011 versucht Kretschmer, die Rote Flora wieder der Stadt zu verkaufen. Ein Angebot über 1,2 Millionen Euro lehnte er ab, wie Baer bestätigte. Doch mehr wollte der Senat offensichtlich nicht bieten.
Stattdessen reagierte die Stadt mit einem neuen Bebauungsplan, der eine Nutzung des Flurstücks als Stadtteilzentrum festschreibt und einen Abriss unmöglich macht. Ein Verkauf an Dritte macht damit für Kretschmer wenig Sinn. Mit seinen immer neuen Vorstößen, so vermuten Politiker wie Münster, wolle er daher nun Krawalle provozieren und so die Stadt zum Rückkauf drängen.
Wenn der Bebauungsplan wie vorgesehen im Januar rechtskräftig wird, erhält er allerdings auch ein Recht auf Rückkauf, weil sein Eigentum als Allgemeinfläche ausgewiesen wird. Allerdings stünde ihm dann nur der Verkehrswert zu. Und der dürfte mit der Festschreibung als Stadtteilkulturzentrum noch unter den bereits angebotenen 1,2 Millionen liegen.