Das Angebot an Restaurants mit rein pflanzlichen Gerichten, an Supermärkten und veganen Läden wird immer größer. Tierrechtorganisation PETA kürt Hamburg zur veganer-freundlichen Stadt.

Hamburg. Es ist nicht so, dass diese Menschen humorloser, blasser oder verkniffener wären als die, die Fleisch essen und Milch trinken. Aber suspekt sind sie einem zunächst doch. Warum tun sie sich das an? Veganer, wie Christian Vagedes, fast 40, verzichten nicht nur auf Fleischkonsum, sondern auf alle Produkte, die tierischen Ursprungs sind. Das muss ein umständliches Leben sein. „Keinesfalls“, sagt der Gründer der veganen Gesellschaft Deutschland. „Immer mehr vegane Produkte kommen auf den Markt.“ Die Tierrechtsorganisiation PETA Deutschland e.V. hat Hamburg zur veganer-freundlichen Stadt gekürt, die Stadt liegt auf Platz 5 von zehn. Vielfalt und Originalität an veganem Angebot wurden ermittelt. Längst haben die Pflanzenesser eigene Supermärkte, Restaurants und Schuhläden. Es gibt veganen Strom und vegane Versicherungen. Zum ersten Mal veranstalten sie an diesem Wochenende ihre erste eigene Messe in Hamburg – einen Tag nach dem offiziellen Welt-Veganer-Tag.

Vegan schmeckt. Jedenfalls das Mittagsgericht Nummer 4 hier im vegetarischen und veganen Restaurant „Manu“ an der Grindelallee in Eimsbüttel. Gemüse Kashmiri mit Erbsen, Rosinen, Cashewnüssen in einer Currysauce mit Basmatireis. Dazu einen veganen Mangolassi. Nicht nur Christian Vagedes liegt dieses Essen mehr als ein Schnitzel gegenüber in der Schweinske-Filiale. Auch Restaurantbesitzer Karnail Singh-Mann aus Indien ist Vegetarier und verzichtet zumindest auf Fleisch. Vor vier Monaten hat er sein Restaurant hier eröffnet – für Menschen wie Christian Vagedes, der vor zwölf Jahren seine Ernährung umgestellt hat. „Als sich meine erste Tochter ankündigte, habe ich alles komplett überdacht“, sagt er. „Ich muss mit dem Fleischessen aufhören. Ich hatte so einen Verantwortungsflash. Man denkt plötzlich an nachfolgende Generationen.“ Von einen Tag auf den anderen aß er kein Fleisch mehr. Und weil er findet, dass das nur halbherzig ist, hat er auch auf alle anderen tierische Produkte verzichtet. Auf Fisch und Meerestiere, auf Eier und Milchprodukte, auf Zusatzstoffe wie Gelatine, die ja aus Knochen und Knorpeln gewonnen wird, auf Leder und Wolle. Mittlerweile gibt es für alle tierischen Produkte Ersatz aus Pflanzen: Sojamehl statt Ei oder Stärke aus Kartoffeln. Nur wenn er alles weglässt, könne er dem Tier- und Klimaschutz, der Gesundheit gerecht werden. Statt Lederschuhe trägt er welche aus Veggiesuede, aus Kunstfasern, im Budapesterdesign, Ton in Ton mit dem dunkelbauen Baumwolljackett. Fleisch allein wegzulassen, sei ein Konzept von gestern.

Bundesweit gibt es etwa 800.000 Veganer, wie viele es in Hamburg sind, ist nicht bekannt. Wem es ernst ist mit Tier- und Klimaschutz und dem sparsamen Umgang mit Ressourcen kann in Hamburg im ersten vegangen Supermarkt im Phönixhof in Altona einkaufen. Die Ladenkette Veganz bietet Lebensmittel, Kosmetik, sogar Nahrung für Hunde. Ab November entstehen weitere 300 Quadratmeter mit Restaurant und Café sowie Veranstaltungsfläche. Der eco-Stammtisch soll sich auf dem Gelände treffen können, es soll vegane Kochkurse geben. Nebenan werden bei avesu vegane Schuhe verkauft. Wer unförmige Hanfpantoffeln erwartet, wird enttäuscht: Hell und modern kommt der Laden daher. Pumps und Anzugschuhe werden genauso angeboten wie Sneaker oder Plateau-Stiefeletten. Sämtliche Schuhe sind aus Kunststoff, viele aus Polyurethanen (PU), einem recycelbaren Lederimitat. Die Schuhe kosten 80 bis über 200 Euro.

Janina Wichmann leitet seit der Eröffnung vor wenigen Wochen die Filiale. Seit 13 Monaten lebt sie vegan. Nicht aus Tierschutzgründen, sondern aus Gesundheitsgründen suchte die 25-Jährige nach einer Diät und entschied sich für eine vegane Variante. „Danach ging es mir so gut, dass ich dabei geblieben bin.“ Keine Bauchschmerzen mehr nach dem Essen, ein besserer Schlaf und zehn Kilo weniger auf der Waage. Mit der ethischen Komponente ihrer Entscheidung beschäftigte sie sich erst anschließend. Sie wollte kein Teil mehr sein des „kranken Systems“, wie sie es nennt. Bekehren möchte sie aber niemanden. Ihr Freund isst Fleisch, verzichtet in ihrer Gegenwart darauf. Nicht, weil sie es will, sondern aus Rücksicht. „In seinem Kühlschrank steht immer eine Sojamilch für mich.“ Durch ihren veganen Lebensstil hat sie viele Freunde kennen gelernt, die alten, die Fleischesser, sind geblieben. Sie lebt seit zwei Jahren in Hamburg und freut sich über die Vielfalt an veganen Läden und Restaurants. Zuhause in Oldenburg werde sie beäugt, wenn sie einen Latte Macchiato mit Sojamilch bestellt.

Mittlerweile gibt es 15 bis 20 vegane Restaurants. Vegan allein reicht allerdings häufig nicht, um wirtschaftlich bestehen zu können, sagt Hans Joachim Hess, Inhaber der drei Season-Restaurants, die zu 90 Prozent vegetarische/vegane Speisen anbieten. Es seien ernährungsbewusste Menschen, aber nicht immer reine Veganer, die seine Restaurants besuchen und dort vegetarisch oder vegan essen. „Wir haben viele Mitarbeiter von Kanzleien, Menschen, die viel sitzen und sich bewusst ernähren.“ Der Trend, sich vegan oder vegetarisch zu ernähren sei besonders bei Jugendlichen und Studenten stark ausgeprägt, hat Hess beobachtet. Auch wenn sich die meisten Restaurants auf Szenestadtteile, wie Ottensen, die Schanze oder St. Georg konzentrieren, bedeutet das nicht, dass die Veganer ihren Cappuccino mit Sojamilch nicht auch in Wilhelmsburg oder Hamm bekämen. Thomas Schönberger, 55, wohnt in Hamm und weiß das. Seit zehn Jahren ernährt er sich vegan, „weil ich nicht möchte, dass Tiere für mich in Anspruch genommen werden“, sagt der Bildungsreferent und Vorsitzende des Vegetarierbund Deutschland. „Die Angebote für einen veganen Lebensstil haben in den vergangenen fünf Jahren zugenommen.“ Selbst Eis gibt es vegan.

Es geht nicht um den Verzicht

Es gehe nicht um Verzicht, da sind sich die Veganer einig. Er vermisse gar nichts, sagt Christian Vagedes. „Es macht Spaß und es ist ein Gewinn“, sagt er. Mit der Umstellung auf die vegane Ernährung sei er fitter und gesünder geworden, kann die doppelte Strecke joggen, und er habe seitdem kaum noch Erkältungen. Auch seine elf- und zwölfjährigen Töchter und seine Frau ernähren sich vegan. Aber freiwillig, das ist dem Produktdesigner ganz wichtig. „Ich habe das meinen Töchtern frei gestellt“, sagt er. Die drei Katzen bekommen veganes Futter vom Tierarzt. Wenn sie sich eine Maus fangen, sei das in Ordnung, sagt Vagedes und lacht.

Veganismus habe sich von politisch motivierter Kapitalismusablehnung zum salonfähigen Lifestyle entwickelt, sagt die Ernährungssoziologin Pamela Kerschke-Riesch von der Universität Hamburg. Es gebe unterschiedliche Motive, sich vegan zu ernähren. In den letzten Jahren sei Veganismus aus der Schmuddelecke herausgekommen. Dafür ist unter anderem das Lebensgefühl der US-Westküste verantwortlich: „Hollywood-Stars finden es schick, sich vegan zu ernähren“, so Kerschke-Riesch. Veganer stünden immer noch für Tierschutz ein, doch nicht mehr so politisch motiviert wie Vegetarier vor zwanzig Jahren. Natürlich sei der Verzicht ökologisch ausgerichtet, Veganer verurteilen die Massentierhaltung. Doch von Askese ist keinesfalls mehr die Rede. Während früher Veganismus gleichzusetzen war mit Verzicht, so gilt es heute als Genuss, so Kerschke-Riesch. Wie jeder Trend entwickle sich auch der Veganismus zunächst in Großstädten, wo kulturelle Vielfalt herrscht und Biosupermärkte mit Kühlregalen von Fleischersatz auffahren. Auch soziale Netzwerke unterstützen den Trend.

Im „Dear Matsu“ an der Lappenbergsallee verarbeiten die Besizter Silvia Graefke und Matthias Krull regionale und Bioprodukte. Zu viele Veganer verzichteten einfach auf tierische Produkte. Das sei dann sehr ungesund. „Günstig ist die Versorgung mit vielen Vitalstoffen, das heißt einigen Vitaminen, Spurenelementen und Ballaststoffen“, sagt Ernährungsberaterin Birgit Schramm. Der Eiweißbedarf sei durch eine gut geplante Ernährung mit Hülsenfrüchten, Getreiden und getreideähnlichen Produkten, wie Amaranth, Buchweizen Quinoa und Nüssen zu decken. Frisches Obst, Trockenfrüchte, gekeimtes Getreide oder Hülsenfrüchte sind gute Lebensmittel mit einer hohen Nährstoffdichte. Problematisch sehe es mit den Eisen, Zink, Vitamin B12 und Calcium aus, die vorwiegend bis ausschließlich aus tierischer Nahrung geliefert werden. Schramm: „Physiologisch betrachtet, benötigen wir eher Milchprodukte und Fisch als Fleisch.“

Vegane Ernährung ist mehr als ein Trend. Es ist eine Bewusstseinsänderung und allumfassend: Es gibt vegane Wandfarbe, Kosmetik ohne Tierversuche und tierische Produkte. Versicherungen und Stormanbieter haben sich auf vegane Kunden eingestellt und stecken das Geld ihrer Beitragszahler in Unternehmen, die nach veganen Grundsätzen handeln. Die Veganfachmesse am Hamburg Airport am Sonnabend, 2. November, von zehn bis 18 Uhr im Terminal Tango (Flughafenstraße), kann jeder besuchen. Veganer sagt Christian Vagedes sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.