Essen und leben ganz ohne tierische Produkte: Die Ladenkette Veganz bietet Lebensmittel, Kosmetik, Schuhe und Nahrung für Hunde
Auf dem Regal locken Algensnacks, Fischstäbchen aus Tofu oder Kokosjoghurt den neugierigen Gourmet, nebenan können sich die Damen mit erdölfreiem Make-up verschönern, sogar vegane Kauleckerlis für Hunde gibt es in dem lichtdurchfluteten neuen Supermarkt für vegane Produkte, Veganz. Im Eingangsbereich, der sich zum Innenhof des Altonaer Phoenixhofs mit seinen Restaurants, Architekturbüros und Möbelshops in charmanten Backsteinbauten öffnet, lockt das vegane Bistro Fairy Food mit veganem Kuchen, Kaffee mit Sojamilch oder Rohkostwraps. „Wir bieten alles für Veganer an, allein 80 Käsealternativen und 45 Varianten für Milchliebhaber“, sagt Helen Unsinn, Geschäftsführerin von Veganz in Hamburg.
Alles für Kunden, die mit Achtung, Respekt und Verantwortung gegenüber Menschen, Tieren und der Umwelt leben und konsumieren wollen, aber nichts mit erhobenem Zeigefinger. Helen Unsinn, eine junge, energiegeladene Frau mit braunem, welligen Haar, will begeistern und nicht missionieren. Bei ihrem Mann Peter ist das schon gelungen. „Er war immer totaler Fisch- und Fleischfan, und ich habe ihn damit auch so leben lassen, doch heute lebt auch er vegan.“
Beim kleinen Hunger auf Steak gibt es eben das Seitanstück, das in Steakform und -farbe mit den bekannten Gewürzen mariniert auf den Grill kommt. Und die Spaghetti mit Meeresfrüchten werden in der Familie, die mit der kleinen Tochter in Blankenese wohnt, gekrönt von Garnelen aus Yamswurzelpulver und Curdlan-Gel.
Veganz ist nach eigenen Angaben der erste vegane Supermarkt in Hamburg, einen kleinen Laden für Anhänger dieser Lebensweise gibt es bisher mit Bevegend nur auf dem Kiez. Natürlich gibt es zahlreiche Überschneidungen im Sortiment mit Biosupermärkten, und Naturkosmetik ohne Tierversuche bieten auch Drogerien wie Budnikowsky an. „Aber bei uns bekommt man als Veganer alles, ohne ständig die Packung umdrehen zu müssen“, wirbt Helen Unsinn für die Vielfalt mit immerhin 6000 Produkten von mehr als 200 Lieferanten aus 30 Ländern.
Das Angebot hat sich parallel zur Gruppe der Veganer erweitert. Laut der Nationalen Verzehrstudie ernährten sich in Deutschland im Jahr 2008 etwa 0,1 Prozent der Bevölkerung vegan, insgesamt also weniger als 80.000 Menschen. Der deutsche Vegetarierbund Vebu schätzt die Zahl der in Deutschland lebenden Veganer mittlerweile aber auf 600.000. Früher gehörten zu den Menschen mit dieser Lebensweise hauptsächlich Sozialarbeiter und Pädagogen, heute kaufen auch Schüler und Pensionäre, Werber und Banker immer bewusster ein: Reformhäuser und Biomärkte haben sich in die Mitte der Gesellschaft bewegt, der Trend zu gesundem Essen ist längst nicht mehr nur Teppichtaschentypen vorbehalten.
Veganz muss zwar in Hamburg Pionierarbeit leisten, bildet im übrigen Bundesgebiet aber bereits eine kleine Kette. In Berlin schlagen sich bereits zwei Veganz-Supermärkte erfolgreich, ein weiterer Standort hat kürzlich in Frankfurt eröffnet. Noch in diesem Jahr sollen vier Märkte in Wien, Prag, München und Leipzig folgen.
Die Marktlücke hat vor zwei Jahren Jan Bredack erkannt. Der Gründer von Veganz arbeitete zuvor bei Daimler als Vertriebsleiter und baute für den Mercedes-Hersteller auch ein Autowerk in Russland auf. Bredack machte sich nicht nur aus betriebswirtschaftlichem Kalkül selbstständig, sondern wollte mit Veganz auch die Sinnfrage in seinem Leben beantworten.
Mit der gleichen Motivation kam auch das Team von Helen Unsinn zusammen, neun festangestellte Vollzeitmitarbeiter, die als ehemalige Journalisten, Logistiker und Naturschützer zwar ganz unterschiedliche Hintergründe haben, aber doch eines verbindet: Sie sind Veganer und daran interessiert, das Motto „Wir lieben Leben“ von Veganz auch in ihrem eigenen Leben zu verwirklichen. Ursprünglich war die Idee des veganen Lebens entstanden, als in den Lehren des Pythagoras von Samos die Idee verfolgt wurde, dass die Verwandtschaft aller Tiere als Grundlage menschlichen Wohlwollens ihnen gegenüber gelten soll. Im deutschsprachigen Raum etablierten sich solche Haltungen und Lebensweisen auch in der Gründerzeit mit der Lebensreformbewegung.
Sich vegan zu ernähren, bedeutet grundsätzlich eine Form der vegetarischen Ernährung, bei der alle Tierprodukte, einschließlich Vogeleiern, Säugetiermilch und Honig vermieden werden. Auch Produkte, in denen sich tierische Bestandteile verstecken, sind tabu, etwa Kosmetika mit Collagen oder Fruchtsäfte, die mit Gelatine geklärt wurden. Veganismus kann aber auch eine Lebensweise beschreiben, bei welcher der Konsum aller Tierprodukte abgelehnt wird, also nicht nur bei der Ernährung. Dies kann eben auch Kleidung und andere Gebrauchsgegenstände aus Haut und andere Tierprodukte betreffen, wie Seide, Perlen und Tierwolle. Diese Philosophie verfolgt als Untermieter bei Veganz auch der vegane Schuhladen Avesu, der leder- und wollfreie Schuhe anbietet. Die Materialalternativen reichen von Kork über Stoff bis hin zu Veloursleder. Auswüchse, wie sie aus der Massentierhaltung bekannt sind, gebe es beispielsweise auch bei Schafen, die für die Kleidung geschoren werden, sagt Helen Unsinn. Daher gehe es Veganern eben nicht nur darum, ob ein Tier für unser Schnitzel geschlachtet wird und dabei leidet. Die Rücksicht auf Tiere reicht dabei bis zum Verzicht auf Seide, bei deren Produktion auch die Seidenraupen ein unnatürliches Dasein fristen müssen.
Bei uns bekommt man als Veganer alles, ohne ständig die Packung umdrehen zu müssen.