Nach dem monatelangen Streit um die Zukunft der afrikanischen Männer, die derzeit in der St.-Pauli-Kirche Obdach gefunden haben, zeichnet sich eine Lösung ab. Innensenator Neumann erläutert die Hintergründe.

Derzeit vergeht kaum ein Tag, an dem in Hamburg nicht gegen die Flüchtlingspolitik des Senats demonstriert wird oder Linksradikale aus Protest Farbanschläge verüben – zuletzt auf das Gebäude der Staatsanwaltschaft in der Innenstadt. Doch in dem monatelangen Streit um die Zukunft der afrikanischen Männer, die über Lampedusa nach Europa gekommen sind und derzeit in der St.-Pauli-Kirche Obdach gefunden haben, zeichnet sich eine Lösung ab. Innensenator Michael Neumann (SPD) erläutert im Gespräch, wie eine solche Lösung aussehen kann, und verteidigt die Haltung des Senats.

Hamburger Abendblatt: In dieser Woche ist viel von einer konkreten Übereinkunft der Behörden mit den Flüchtlingen und der Kirche die Rede gewesen. Gibt es eine Vereinbarung oder zumindest von Ihrer Seite ein Angebot?

Michael Neumann: Voraussetzung ist, dass die Flüchtlinge wie von uns stets gefordert, ihre Identität offenlegen und ihre Fluchtgeschichte schildern. Dass es dann ein transparentes, überprüfbares rechtstaatliches Verfahren gibt, ist eine Selbstverständlichkeit. Wenn es gesetzliche Spielräume gibt, nutzen wir sie.

In welcher Weise?

Neumann: Wenn die Flüchtlinge ihre Identität offenlegen, haben sie die Möglichkeit, einen Antrag zu stellen – auf Asyl oder aber auf humanitäre Aufnahme. Damit dieser positiv beschieden wird, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Wir haben einen Fall, in dem ein Flüchtling schon in drei anderen EU-Ländern einen Asylantrag gestellt hat. Dem kann man aufgrund der Rechtslage auch mit allem Wunsch und Wollen nicht helfen. Es stellt sich aber die Frage, ob man nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens unmittelbar eine Rückführung vollzieht. Wenn gegen die Entscheidung über einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis geklagt wird, kann man auch das Ende des Rechtsstreites abwarten. So lange bliebe der Betroffene dann hier. Bei so hochstrittigen Fragen – manche Verwaltungsgerichte urteilen, dass man Flüchtlinge nach Italien zurückführen kann, andere sagen, dass könne man nicht – sollten meiner Meinung nach die Gerichte überprüfen, ob das, was entschieden wurde, richtig ist. Ich möchte nicht in die Lage kommen, Menschen aus Afrika zurückholen zu müssen.

Sie deuten also an, dass Sie die Flüchtlinge nicht sofort abschieben würden. Das ist Ihr Angebot.

Neumann: Das machen wir auch, wenn Eingaben an die Bürgerschaft gestellt werden. Das ist kein Sonderrecht, kein unübliches Verfahren.

Das klingt so, als zeichne sich eine Lösung ab.

Neumann: Das vermag ich nicht zu sagen. Aber ich bin froh, dass Bischöfin Fehrs so klar Position bezogen hat und wir uns in der rechtlichen Bewertung vollkommen einig sind. Das ist ein gutes Signal und zeigt, dass es richtig war, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Insofern bin ich zum Ende dieser Woche zuversichtlicher als noch am Ende der vorigen. Unterm Strich müssen die Flüchtlinge sich entscheiden. Sie haben jetzt die Chance, diesen Weg zu gehen. Und irgendwann muss dann auch eine Entscheidung getroffen werden, weil es nicht sein kann, dass hier auf Zeit gespielt wird.

Was passiert mit Flüchtlingen, die sich trotzdem nicht bei den Behörden melden?

Neumann: Sie verstoßen dauerhaft gegen das Ausländerrecht. Dem werden wir nachgehen und dafür sorgen, dass das Aufenthaltsrecht gilt.

Und wenn die Männer in der Kirche bleiben?

Neumann: Es wird keine Polizeimaßnahmen in der Kirche geben, aber klar ist: Wir können auch nicht hinnehmen, dass Menschen Recht und Gesetz nicht achten und sich damit dann auch noch öffentlich brüsten, insbesondere wenn sie unsere Hilfe erwarten.

Trifft Sie der Vorwurf des Rassismus, der von einigen Gruppen erhoben wird?

Neumann: Er trifft mich besonders insofern, als damit Polizisten und Mitarbeiter des Einwohnerzentralamtes diffamiert werden. Das ist der Versuch, mit der deutschen Geschichte Gegenwartspolitik zu betreiben. Aber so ein Vorwurf macht wohl jeden persönlich betroffen.

Wie bewerten Sie, dass die Bezirksversammlung Altona jetzt die Aufstellung von Wohncontainern an der Kirche genehmigt hat?

Neumann: Das ist Gegenstand der Gespräch mit der Kirche gewesen. Wenn die Menschen ihre Identität offenlegen und in das Verfahren einsteigen, brauchen wir selbstverständlich Unterkünfte. Das war das Angebot des Senats schon im Mai, darüber gibt es keinen Dissens. Noch mal: Voraussetzung ist, dass dort nicht gegen das Ausländergesetz verstoßen, sondern die Identität offengelegt wird.

War der Zeitpunkt der Polizeikontrolle kurz nach dem dramatischen Untergang eines Flüchtlingsschiffes vor Lampedusa nicht unpassend oder zumindest ungeschickt?

Neumann: Zum einen waren die Gespräche mit der Kirche in den Wochen zuvor festgefahren. Das Moratorium hat nicht dazu geführt, dass es eine Lösung gab, so dass klar war, dass wir handeln müssen. Ich glaube, dass viele der Menschen, die den Zeitpunkt kritisieren, in Wirklichkeit mit der Maßnahme an sich nicht einverstanden sind. Denn der Zeitpunkt ist nie richtig. Sechs Wochen später wäre mit der beginnenden Adventszeit argumentiert worden. Wir haben bald ein halbes Jahr lang gesprochen und geworben. Irgendwann muss man dann die Kraft haben zu entscheiden.

Trotzdem war die Verbindung zu den Bildern der Särge auf Lampedusa unglücklich, oder?

Neumann: Lampedusa ist durch die Verhältnisse in den Flüchtlingsunterkünften und die furchtbare Tragödie im Mittelmeer zu einem Symbol geworden. Der Gruppenname „Lampedusa in Hamburg“ ist vielleicht medienwirksam gewählt. Aber die Lage dort ist in keiner Weise vergleichbar mit der in Hamburg, und ich sehe keinen Zusammenhang zwischen den Flüchtlingen hier und den aktuellen, furchtbaren Ereignissen vor Lampedusa.

Bischöfin Fehrs hat sich besonders daran gestoßen, dass es Polizeikontrollen im unmittelbaren Umfeld der St.-Pauli-Kirche gab. Sehen Sie das im Nachhinein als Fehler?

Neumann: Es gibt eben gerade keine verdachtsunabhängigen Kontrollen im weiteren Stadtgebiet. Nach Rechtslage kontrollieren wir Menschen wegen des Verdachts, dass sie gegen das Aufenthaltsrecht verstoßen. Wenn es Orte gibt, an denen sich verdächtige Menschen primär aufhalten, dann müssen wir dort kontrollieren. Und das ist eben nicht die U-Bahnstation Horner Rennbahn, sondern vor allem das Umfeld der Kirche.

Mit anderen Worten: Abseits des Umfelds der Kirche hätten Sie gar nicht kontrollieren dürfen.

Neumann: Ich finde es völlig richtig, dass man nicht völlig wahllos Menschen auf der Straße ansprechen und sie aufgrund ihrer Haut- oder Augenfarbe kontrollieren darf. Es muss einen Zusammenhang geben zu Orten, die einen Verdacht nahelegen. Um es mal anders zu sagen: Wenn die Polizei einen männlichen Straftäter sucht, kontrolliert sie auch keine Frauen. Wenn es darum geht, dass sich Menschen aus Westafrika bei uns illegal aufhalten und man dürfte grundsätzlich keine Schwarzen kontrollieren, wäre unser Rechtsstaat ad absurdum geführt.

Wie bewerten Sie das Verhalten der Kirche in dieser speziellen Flüchtlingsfrage insgesamt?

Neumann: Das habe ich als Innensenator nicht zu bewerten. Zu Bischöfin Fehrs habe ich ein sehr gutes, vertrauensvolles Verhältnis – das schließt aber auch nicht aus, dass man sich mal deutlich die Meinung sagt.

Es gab sehr früh das Wort des Bürgermeisters, dass diese Flüchtlinge hier keine Perspektive haben. Stand diese Aussage nicht einer schnelleren Lösung im Weg, weil sie den Eindruck hinterlassen hat, es würde eben nicht jeder Einzelfall ergebnisoffen geprüft?

Neumann: Diese Flüchtlinge haben sich nicht, wie es Tausende andere machen, an die Behörden gewandt, sondern die Öffentlichkeit gesucht und dort berichtet, woher sie warum kommen. Wenn diese Geschichten, die wir nur aus den Medien gehört haben, so stimmen, gibt es hier keine Perspektive für diese Menschen. Aber das wissen wir nicht, ohne ihre Identität und Flüchtlingsgeschichte zu kennen. Es ist vielmehr ein Problem, wenn vermeintliche Berater fortwährend unerfüllbare Hoffnungen schüren. Dies ist verantwortungslos, weil diese Flüchtlinge für politische Interessen instrumentalisiert werden.

Glauben Sie denn, dass Sie mit Ihrer ordnungspolitischen Linie die Mehrheit der Hamburger hinter sich haben?

Neumann: Das weiß ich nicht, aber es spielt für mich auch keine Rolle. Recht und Gesetz ist keine Frage von populistischen Momentaufnahmen. Wenn die Menschen ein anderes Zuwanderungsrecht wollten, können sie das bei Wahlen durchsetzen. In der Bürgerschaft jedenfalls gab es einen breiten Schulterschluss für die Unterstützung unserer generellen Linie. Und das stellt die Kirche ja auch nicht infrage, wofür ich sehr dankbar bin.

Aus der Situation um die afrikanischen Flüchtlingen auf St. Pauli heraus hat sich eine Welle an Demonstrationen, vielfach unangemeldet und gewalttätig, entwickelt. Wird das aus Ihrer Sicht so weitergehen? Muss Hamburg mit einem heißen Herbst rechnen?

Neumann: Die Fragestellung rund um die Flüchtlinge wurde von anderen Gruppierungen in der Tat als Anlass missbraucht, um das zu tun, was sie ohnehin mal wieder vorhatten. Deswegen glaube ich auch, dass es unabhängig von einer Lösung der konkreten Flüchtlingssituation auf St. Pauli weiteres Geschehen dieser Art gibt. Darauf sind wir vorbereitet. Polizisten müssen dann hier in völlig sinnlose Einsätze gehen. Aber es gibt eben einen kleinen Teil der Menschen in dieser Stadt, der glaubt, mit Gewalt ihre politischen Vorstellungen durchsetzen zu können.

Ihnen wird aus einigen Kreisen vorgeworfen, durch die Haltung des Senats überhaupt erst die Mobilisierung dieser überraschend großen Gruppe von Linken möglich gemacht zu haben.

Neumann: Was wäre die Alternative gewesen? Wir können ja nicht unseren Rechtsstaat aufgeben, nur, um andere nicht zu verärgern. Demokratie darf sich von einer so kleinen Gruppe nicht die Regeln aufzwingen lassen.

Wenn wir auf das Gesamtproblem schauen: Was muss sich ändern in der Flüchtlingspolitik der EU?

Neumann: Wissen Sie, als Hamburger Innensenator sollte man nicht plötzlich den Anspruch erheben, Weltpolitik machen zu können, deswegen werden Sie dazu von mir kein ausgefeiltes Konzept bekommen. Ich halte es aber für eine Schimäre, dass Italien grundsätzlich überfordert ist, des Problems Herr zu werden – so hoch sind die realen Zahlen nicht. Italien stellt sich gern als Opfer dar, die Zahlen belegen das aber nicht. Allein Deutschland nimmt in diesem Jahr 110.000 Menschen auf, also schaffen es doch sehr viele Menschen in diese angebliche Festung Europa. Aber wie gesagt: Ich trage Verantwortung für die Hamburger Belange.

Sie gelten spätestens nach der Debatte der vergangenen Monate als Hardliner. Können Sie damit gut leben?

Neumann: Als Senator muss man damit leben, dass Menschen Urteile fällen, die einen gar nicht kennen.